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Christian Brilla
„Die Dämonen“ – sie sind immer da

18/3/2024

Der Hintergrund

Das russische Originalwerk von Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 - 81) hat den Titel „Besy“ (Бѣсы), was vielmehr „Böse Geister“ bedeutet, die in der russischen Mythologie tief verwurzelt sind. Das wäre auch im Deutschen – mir liegt die Übersetzung von Nora Urban vor – ein viel treffenderer Titel. Auch zahlreiche deutsche Wendungen innerhalb des Textes sind vom Kontext her ungenau gewählt, muten manchmal sogar grotesk an, oder verlaufen sich in ein ausschweifendes Geplauder. Dies war von Dostojewski, geprägt durch ein Todesurteil wegen verschwörerischer Umtriebe, um die es auch in dem vorliegenden Roman geht, eher nicht beabsichtigt und wird in keiner Weise dem bösen Inhalt der Erzählung gerecht. Es sei denn, man sieht Klatsch und Tratsch als eine der Spielarten des Bösen an.

Anmerkung: Nach einer Scheinhinrichtung wurde das Urteil für Dostojewski in Verbannung in ein Lager für Strafgefangene in Sibirien mit anschließendem Militärdienst umgewandelt (1849 – 1859).

Erstausgabe des Romans „Besy“ von Fjodor Dostojewski, 1873

Zu allem Überdruss ist in dieser Ausgabe auch das Kapitel „Bei Tichon“, welches wegen Blasphemie seiner Zeit verboten worden war, komplett weggelassen, was zur schärferen Charakterisierung einer der Hauptfiguren (Nikolaj Wsewolodowitsch Stawrogin) beigetragen hätte, und dessen Frage an den Bischof Tichon „Kann man an den Teufel glauben, wenn man nicht an Gott glaubt?“, den Kern des ganzen Romans aufdeckte. Denn im Zentrum des Romans steht das Böse manifestiert im Nihilismus und moralischen Niedergang. In der Tat ist dieser Roman Dostojewskis aber auch nicht leicht zu lesen, zum einen durch die emotionslose Art des von Dostojewski benutzten Erzählers, was das Böse der Erzählung kontrastiert, zum anderen durch die verstrickten, nicht gleich klarwerdenden Beziehungen der handelnden Personen in der Erzählung. Diese erstreckt sich in der vorliegenden Fassung des Eduard Kaiser Verlages aus Klagenfurt über 516 Seiten und ist in drei Teile mit jeweils 5 – 10 Kapiteln unterteilt.

Während in den ersten beiden Teilen die Beziehung zwischen Warwara Petrowna Stawrogina, der begüterten Witwe des auf dem Weg zum Krim-Krieg (1853-56) verstorbenen Generalleutnants Stawrogin, und dem Gelehrten Stepan Trofimowitsch Werchowenskij im Mittelpunkt steht und sehr zähflüssig erzählt wird, überstürzen sich die Ereignisse im dritten Teil um die zuvor sorgfältig eingeführten, eigentlichen Hauptfiguren der Erzählung, Warwara Petrownas einzigem Sohn, Nokolaj Wsewolodowitsch Stawrogin, und dem Sohn von Stepan Trofimowitsch, Pjotr Stepanowitsch Werchowenskij, der aus einer früheren, oberflächlichen Beziehung Stepans mit einer leicht zu habenden Frau stammte und in Paris geboren wurde. Er wurde als Kind nach dem Tode seiner Mutter nach Russland gebracht und von Tanten fernab seines Vaters aufgezogen, zu dem er keine wirkliche Beziehung hatte. Die Erzählung findet am „Vorabend“ der russischen Revolution statt, einer Zeit geprägt vom Idealismus und Freiheitsbestreben quer durch ganz Europa.

Die Gedanken der französischen Revolution von 1789, „Liberté, Égalité und Fraternité“, hatten sich schon lange quer durch Europa verbreitet und fanden bei der gebildeten Jugend eines sich rasant fortentwickelnden Bürgertums ihren Widerhall. Das Napoleonische Kaisertum (1804 - 15) war im Grunde ein letztes Aufbäumen des Absolutismus gegen die gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen in dieser Zeit. Quer durch die deutschen Kleinstaaten und dem mächtigen Preußen kam es im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zur Auflösung der Leibeigenschaft, in Preußen bereits 1808 (in meiner Heimatstadt Braunschweig im Herzogtum der Welfen war dies schon 1433 geschehen), zuletzt im Königreich Hannover im Jahre 1833, um weitere Demokratiebestrebungen im Keim zu ersticken, wie es dann auch 1848 nach Wahl des ersten Parlamentes in Deutschland und ihrer konstituierenden Sitzung in der Paulskirche in Frankfurt/Main geschah. Dies führte zu einer großen Auswanderungswelle in die etablierte Demokratie der Vereinigten Staaten von Amerika. In Russland wurde die weitverbreitete Leibeigenschaft erst 1861 von Zar Alexander II. abgeschafft, um den zunehmenden Unruhen unter den Bauern in dem riesigen Reich zu begegnen. Etwa 40 % der Bevölkerung des Russischen Reichs waren Leibeigene. Im Grunde fanden die gewaltigen sozialen Verwerfungen in Russland auf dem Höhepunkt seiner territorialen Ausdehnung über drei Kontinente statt. Das Russische Reich erstreckte sich Mitte des 19. Jahrhunderts von der Grenze zu Preußen im Westen bis jenseits der Bering See auf dem amerikanischen Kontinent bis zur kanadischen Grenze im Osten, von der Arktischen See im Norden bis an den Himalaya im Süden.

Die gesellschaftlichen Umbrüche in Russland waren in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts tiefgreifend. Eine große Bildungsreform wurde umgesetzt, die unteren Sozialschichten und Frauen den Zugang zu weiterführenden Schulen und Universitäten erlaubte. Die Zensur der Medien wurde weitest gehend gelockert. Dies fiel jedoch nicht auf konstruktiven Boden, sondern weckte schlummernde, destruktive Strömungen. So war der philosophische Hintergrund in dieser Zeit geprägt vom Nihilismus, wie es Iwan Turgenjew in seinem Werk „Vater und Söhne“ bezeichnete, der gerade auch die Söhne aristokratischer Familien miteinbezog. Diese verwöhnten, jungen Männer der privilegierten Familien, denen alles ohne eigene Leistung offen lag, verfielen häufig der Dekadenz oder dem Nihilismus. Radikaldemokratische Positionen wurden aufgebaut unter Ablehnung aller bisherigen Autoritäten, sei es Familie, Staat oder Kirche. Studentenunruhen entwickelten sich. In Sankt Petersburg ereigneten sich mehrere Brandstiftungen. Die Aristokratie sollte beseitigt werden. Es kam 1866 zum ersten Attentat auf den Zaren, was eine Wiedereinführung der Zensur und verschärftes Durchgriffsrecht der Polizei zur Folge hatte. Die Geister, die jedoch in dieser instabilen Zeit geweckt wurden, wurde man nicht wieder los. Es kam zu einer zunehmenden Radikalisierung. Zar Alexander II. überlebte 1879 zwei weitere Angriffe auf seine Person, bevor er letztendlich 1881 einem Attentat zum Opfer fiel.

Das Böse ist immer gegenwärtig, in Zeiten der Stabilität versteckt, in Zeiten der Veränderung, wenn Neues entstehen soll, wieder auf der Oberfläche erscheinend mit Sichtbarwerden destruktiver Elemente. Denn, wenn etwas Neues entstehen soll, muss immer auch etwas Altes zerstört werden. Dieser Wettstreit zwischen Gutem und Bösem, zwischen Aufbau und Destruktion bedingt einander.

Der Inhalt des Romans

1. Teil

Erzählt wird der gesamte Roman von einem biederen Beamten, Anton Lawrentjewitsch, der Zugang zu allen handelnden Personen hatte, jedoch bis auf eine Begegnung mit dem Schriftsteller Karmasinow und ein von ihm geführtes Gespräch mit einer der Nebenfiguren, dem Bauingenieur Kirillow, keine wesentliche Bedeutung in der Erzählung hat. Karmasinow, der mit seinen Frühwerken beachtlichen Ruhm in Russland erreichte, wird von ihm treffend charakterisiert: „alle … mittleren Talente, die zu ihren Lebzeiten gewöhnlich für Genies gehalten werden, (werden) nicht nur mit ihrem Tode fast spurlos aus dem Gedächtnis der Menschen verschwinden, sondern mitunter auch noch vor dem Grabe…“ (1. Teil, Kapitel 3.2). Bei dem Gespräch mit Kirillow geht es um eine weitere Spielart des verborgenen Bösen, den Selbstmord. „Was hält denn Ihrer Ansicht nach die Menschen vom Selbstmord zurück“, fragt er ihn. Kirillow antwortet: „zwei Vorurteile halten die Menschen zurück“, der Schmerz und das unbekannte Jenseits. Es gäbe zwei Arten von Selbstmördern, zum einen die, die es lange überlegen, und zum anderen jene, die es im Affekt tun. Die meisten „denken viel darüber nach“ und „wäre das Vorurteil nicht, gäbe es noch mehr, viel mehr“ - so wie er eben auch. Denn Kirillow trägt schon lange Selbstmordgedanken mit sich herum und setzt dies aus Überzeugung, um wirklich frei zu sein, auch im Verlauf der Erzählung um. Denn das Böse ist destruktiv und wendet sich, wo es kann, gegen das Leben. Er lässt sich zudem vom Bösen instrumentalisieren, indem er vor seinem Selbstmord unschuldig den Mord an einem Gesinnungsgenossen zum Schutz des Bösen auf sich nimmt. Kirillow meint: „Völlig frei ist der Mensch nur dann, wenn es ihm einerlei ist, ob er lebt oder nicht. Das ist unser Ziel.“ Der Erzähler entgegnet: „Der Mensch fürchtet sich vor dem Tod, weil er das Leben liebt.“ „Hier steckt der Betrug! Das Leben ist Schmerz, das Leben ist Furcht und der Mensch ist unglücklich … der heutige Mensch ist noch nicht der richtige Mensch. Es wird einen neuen Menschen geben, einen glücklichen und stolzen Menschen. Der dem es gleichgültig sein wird, ob er lebt oder nicht, der wird der neue Mensch!“ (1. Teil, Kapitel 3.8). Der Mensch „neuen Typs“ ist eine wesentliche Utopie des Kommunismus. Dabei steht das Individuum nicht im Vordergrund, sondern die Bedürfnisse des Kollektivs. Hierbei degradiert sich der Einzelne zum Teil eines Ganzen, was im engsten Sinne antihuman ist.

Stepan Trofimowitsch ist ein idealistischer Gelehrter, der wie viele Gelehrte gern doziert, aber außer seinem wachen Geist nichts besitzt. Er war Hauslehrer des Sohnes von Warwara Petrowna, und hatte in ihm in einer engen, freundschaftlichen Beziehung nahezu homophile Sehnsüchte erweckt, die nicht zu befriedigen waren (1. Teil, Kapitel 2.1). Sein größtes Werk war eine skurrile Dichtung. „Zwischen Felsen wandelt ein zivilisierter junger Mann umher, pflückt Kräuter und saugt an ihnen. Von einer Fee befragt, warum er dies tue, antwortet er, dass er unter einer Überfülle von Leibeskräften leide, Vergessenheit suche und dies im Safte dieser Kräuter finde, dass es aber sein größter Wunsch (sei), möglichst bald den Verstand zu verlieren… Dann erscheint plötzlich auf einem schwarzen Ross ein Jüngling, dessen Schönheit sich gar nicht beschreiben lässt. Ihm folgen unzählige Völker. Der Jüngling ist der Tod, und alle folgen ihm … Sie singen ein Lied der Hoffnung, worauf der bisherige Herrscher davonläuft…“  (1. Teil, Kapitel 1.1). Diese Dichtung hielt man seitens der Obrigkeit für gefährlich. Auch nach Erwachsenwerdung von Nikolaj Wsewolodowitsch und Beendigung seiner Lehrerfunktion verblieb er in den Diensten von Warwara Petrowna, zu der er ein vertrautes, fast eheliches Verhältnis aufgebaut hat. Stepan Trofimowitsch wohnt auf ihrem Landgut in einem ihm zur Verfügung gestellten Haus mit einem ihm zugeteilten Dienstmädchen. Letztlich lässt er sich von ihr mit Kost, Logis und einem üppigen Taschengeld aushalten. Als Gegenleistung bereichert er ihre Salons, gesellschaftliche Abende in ihrem Gutshaus, die damals in Russland en vogue waren, den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der „high society“ darstellten. Dort wurde, wie in allen aristokratischen Häusern Russlands französisch gesprochen. Viele russischen Adelige konnten noch nicht einmal ihre Landessprache sprechen. So redet auch Stepan Trofimowitsch halb Russisch, halb Französisch, etwa vergleichbar mit dem „Denglisch“ im heutigen Deutschland als Ausdruck des kulturellen Vorbildes der U.S.A. Mode, Design, Tischsitten wurden damals aus Frankreich übernommen, wie heute der „American Way of Life“ im Allgemeinen das Leben in Deutschland bestimmt. Das Gutshaus der Warwara Petrowna befand sich in Skworeschniki, in der Provinz der Hauptstadt Sankt Petersburg, der Stadt, die einst von Peter dem Großen gegründet worden war, als die russische Gesellschaft von Stabilität und Wachstum gekennzeichnet war. Jetzt waren die sozialen Verhältnisse ganz andere.

Das Zarenreich ist nach dem Sieg über den größenwahnsinnigen Kriegsherren Napoleon und dem folgenden Wiener Kongress in 1815 auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Der einhergehende Reichtum seiner Adelsfamilien ging in der Folge einher mit außerordentlichen kulturellen Leistungen in der Musik (z.B. Tschaikowski 1840 - 93), Kunst (z.B. Kramskoi 1837 – 87), Literatur (z.B. Tolstoi 1828 – 1910) und in den Wissenschaften (z.B. Mendelejew 1834 – 1907). Das riesige Reich hielt aber nicht Schritt mit den gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen im Inneren. Ein großes Reich zerfällt immer von innen her, es implodiert – so auch Russland am „Vorabend“ der Revolution durch die Bolschewiken.

Russisches Zarenreich 1867

Dostojewski beschreibt die sozialen Verhältnisse, weniger analytisch wie Tolstoi, sondern instinktiv als Erwachen der „bösen Geister“ in den Söhnen von Warwara Petrowna und Stepan Trofimowitsch. Warwara Petrownas Sohn Nikolaj Wsewolodowitsch ist nach einem ausschweifenden Leben in Sankt Petersburg lange im Ausland gewesen. Er ist eine verlorene Seele – äußerlich ein attraktiver, gebildeter Mann mit vornehmsten Umgangsformen, innerlich besessen vom Bösen ein moralisch-ethisches Wrack. Auf der einen Seite gelang es ihm als junger Offizier in die höchsten gesellschaftlichen Petersburger Kreisen Eingang zu finden. Auf der anderen Seite zeigte sich sein Wesen durch „wilde Zügellosigkeiten, Trunk und Kartenspiel; er sollte mit seinen Trabern Menschen überfahren, und eine Dame der besten Gesellschaft, mit der er ein Verhältnis gehabt (hatte), in der gemeinsten Art öffentlich beleidigt haben. Er sollte brutal und ein Raufbold geworden sein und aus reinem Vergnügen überall Händel suchen“ (1. Teil, Kapitel 2.1).  Aus dem zensierten Kapitel „Bei Tichon“ geht hervor, dass er im Ausland die 12-jährige Tochter seiner Vermieterin missbrauchte, was dieses minderjährige, darüber zerbrochene Mädchen in den Selbstmord getrieben hatte. Aus Jux und Tollerei hat er nach einer verlorenen Wette die hinkende und geistig zurück gebliebene Maria Timofejewna Lebiadkina heimlich geehelicht, obwohl ihm alle großen Partien offenstanden. Jetzt vermutet seine Mutter ein sexuelles Verhältnis zu ihrem jungen, außerordentlich schönen Mündel, der Tochter ihres verstorbenen treuen, leibeigenen Kammerdieners. Deshalb schlägt sie dem 53-jährigen Stepan Trofimowitsch vor, dass dieser ihr 20-jähriges Mündel Darja Pawlowna Schatowa ehelicht, um Gerüchten einer unstatthaften Beziehung ihres Sohnes mit ihr entgegenzuwirken und ihren Sohn mit einer wohlhabenden, standesgemäßen Frau, Lisaweta Nikolajewna Drosdowa, verheiraten zu können (1. Teil, Kapitel 2.7). Dies erniedrigt unbeabsichtigt Stepan Trofimowitsch, der eher von einer bevorstehenden Heirat mit Warwara Petrowna ausging, um ihrem vertrauten, eheähnlichen Verhältnis einen adäquaten Anstrich zu geben. Freilich war er nie sexuell mit ihr vereint gewesen.

Das wirklich Böse ist aber in Pjotr Werchowenskij manifestiert, der wie Nikolaj Wsewolodowitsch nach vielen Jahren aus dem Ausland zurück in die Heimat kommt. Er hat nicht besseres zu tun als seinen gutmütigen Vater öffentlich während einer Zusammenkunft aller wesentlichen Personen der kommenden Geschehnisse im Gutshaus Warwara Petrownas zu brüskieren, indem er die ihm von seinem Vater in einem Brief mitgeteilten sehr privaten, negativen Äußerungen über das Angebot seines Mäzens, der Warwara Petrowna, öffentlich kundtat. Daraufhin erteilte Warwara Petrowna verärgert Stepan Trofimowitsch Hausverbot, da es zu der von ihr geplanten Verheiratung jetzt nicht mehr kommen konnte. Anwesend sind, neben oben Genannten, folgende Personen: der Erzähler, Iwan Pawlowitsch Schatow, dem Bruder von Darja Pawlowna Schatowa, Lisaweta Nikolajewna nebst ihrem Verlobten Mawrikij Nikolajewitsch, den sie nicht liebt, und ihrer Mutter, sowie Maria Timofejewna, die gerade zuvor Warwara Petrowna bei einer Messe im Dom begegnete. Dort kniete die geistig verwirrte Maria Timofejewna zum Erstaunen aller anwesenden Kirchenbesucher vor Warwara Petrowna, die diese Situation falsch als Bettelgesuch interpretierte, nichtsahnend, dass sie ihre Schwiegertochter vor sich habe. Instinktiv nimmt sie diese aber zusammen mit Lisaweta Nikolajewna, der auserwählten Frau für ihren Sohn mit nach Hause. Nach und nach gesellen sich Darja Pawlowna, Hauptmann Lebiadkin, der Bruder Maria Timofejewnas, Pjotr Werchowenskij und Nikolaj Wsewolodowitsch dazu. Der trunksüchtige Hauptmann Lebiadkin will aus Stolz das Geld zurückgeben, das Warwara Petrowna seiner Schwester Maria Timofejewna im Dom gegeben hatte, in der Annahme sie sei eine einfache Bittstellerin. Mit der Wahrheit, dass sie die Ehefrau ihres einzigen Sohnes ist, will er aber nicht heraus, da er zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sonst würde er die finanzielle Unterstützung seiner Schwester durch Nikolaj Wsewolodowitsch gefährden. Also fragt Warwara Petrowna direkt ihren zuletzt dazugekommenen Sohn, um Klarheit über die bei ihr mehr und mehr aufkommende Vermutung über die Beziehung zu dieser sonderbaren Frau zu erlangen: „Nikolaj Wsewolodowitsch, … ich bitte sie mir … zu sagen, ob es wahr ist, dass diese unglückliche, lahme Frau … ihre rechtmäßige Ehefrau ist?“ Völlig ehrlos verneint Nikolaj Wsewolodowitsch seine Ehe mit Maria Timofejewna, indem er die Hand seiner Mutter küsst, und sich Maria Tmofejewna, „die ihre Hände flehend gefaltet hatte“ mit den Worten zuwandte: „ich, obwohl ihr treuester Freund, doch in keiner näheren Beziehung zu Ihnen stehe und weder Ihr Gatte … noch Ihr Bräutigam bin“, worauf er die junge, behinderte, beinahe in sich zusammen gesunkene Frau aus dem Salon führt (1. Teil, Kapitel 5.5). Pjotr Werchowenskij bestätigt die Falschaussage von Nikolaj Wsewolodowitsch, wohl kalkulierend, dass er diesen wegen dieses Dienstes später in seine umstürzlerischen Umtriebe einspannen kann: „Nikolaj Wsewolodowitsch ist schuldlos. Ich kenne ihn seit Petersburg. Die ganze Geschichte macht Nikolaj Wsewolodowitsch nur Ehre, wenn man dieses sonderbare Wort gebrauchen will … “. Denn von Ehre hält er nicht das Geringste. „Nikolaj Wsewolodowitsch schenkte ihr nie die geringste Beachtung. Einmal aber, als man dem Mädchen besonders zusetzte, fasste er … einen Beamten am Kragen und warf ihn aus dem Fenster … Ich erinnere mich, dass Mlle. Lebiadkina schließlich in ihren Phantasien so weit ging, sich einzubilden, Nikolaj Wsewolodowitsch sei so etwas wie ihr Bräutigam… Es wurde sehr viel darüber gelacht. Die Sache endete damit, dass Nikolaj Wsewolodowitsch, als er damals hierherreiste, vor der Abfahrt noch für ihren Unterhalt gesorgt hat …“ (1. Teil, Kapitel 5.6). Die Zusammenkunft endet damit, dass Iwan Schatow völlig unerwartet Nikolaj Wsewolodowitsch mit der Faust ins Gesicht schlägt. Ganz entgegen seinem Naturell nimmt Nikolaj Wsewolodowitsch dies so hin, womit der 1. Teil endet.

Es ist eine Schlüsselstelle des Romans. Eigentlich hätte sich bei dieser Zusammenkunft alles klären sollen. Aus Sicht Warwara Petrownas hätte die geplante Ehe zwischen Stepan Trofimowitsch und Darja Pawlowna verkündet werden sollen, damit der Weg frei gewesen wäre für Nikolaj Wsewolodowitsch und Lisaweta Nikolajewna. Nikolaj Wsewolodowitsch hätte reinen Tisch machen sollen und sich nicht in Lügen verstricken. Die Wahrheit und Entscheidungen blieben jedoch in der Schwebe. Der weitere Fortgang war sich selbst, dem Bösen überlassen. Denn das Böse lauert. Es liegt an uns, dieses zu kontrollieren und zur rechten Zeit Entscheidungen zu treffen. Lässt man die Dinge einfach laufen oder verfällt man der Gleichgültigkeit, unterliegt man letztlich dem Bösen.

2. Teil

So zeichnet sich die Übernahme des Bösen im 2. Teil des Romans ab. Nikolaj Wsewolodowitsch sucht Schatow auf. Ganz kann er den Faustschlag doch nicht auf sich beruhen lassen. Schatow erklärt es ihm: „Ich tat es, weil Sie so tief gefallen sind … wegen ihrer Lüge“ und „weil Sie so viel in meinem Leben bedeutet haben“ (2. Teil, Kapitel 1.6). Wegen dieser tiefen Verehrung warnt ihn Nikolaj Wsewolodowitsch: „Pjotr Werchowenskij kam hierher, unter anderem auch, um ihre Angelegenheit endgültig zu erledigen … Sie … als einen, der zu viel weiß und denunzieren könnte, um die Ecke zu bringen.“ Zudem eröffnet er Schatow, dass er seine Ehe mit Maria Timofejewna öffentlich machen will. Schatow ist zwar für die Wahrheit, versteht aber nicht, warum Nikolaj Wsewolodowitsch sich derart öffentlich demütigen will. Er erinnert ihn an seine früheren beeindruckenden Gedanken, die ihn in seinen Augen so groß haben erscheinen lassen: „Rom habe einen Christus verkündet, der der dritten Versuchung des Teufels erlag (Anmerkung: Allmacht auf der Erde zu erlangen, der er allerdings widerstand), … die Macht des Antichristus heraufbeschworen und die ganze westliche Welt ins Verderben gestürzt habe.“ Nikolaj Wsewolodowitsch habe einst gesagt, „kein einziges Volk hat je sein Leben auf einem Fundament von wissenschaftlichen Errungenschaften … errichtet“ (wie es der Marxismus lehrt). „Der Sozialismus muss schon seinem Wesen nach Atheismus sein, … sich lediglich auf den Grundsteinen von Wissen und Vernunft aufbaut. Die Vernunft und die Wissenschaft aber haben im Leben der Völker von Anbeginn der Zeiten nur eine untergeordnete, dienende Rolle gespielt.“ Es sei nie vorgekommen, dass Völker einen gemeinsamen Gott hatten und „noch nie hat es ein Volk ohne Religion gegeben, dass heißt ohne den Begriff des Guten und Bösen. Jedes Volk hat seine eigene Vorstellung vom Guten und vom Bösen…. Werden diese Begriffe mehreren Völkern gemeinsam, beginnt ihr Verfall, und selbst der Unterschied zwischen Gut und Böse schwindet“ (2. Teil, Kapitel 1.7). Nie sei die Vernunft imstande gewesen, Gutes vom Bösen zu trennen. Im Grunde werden hier Positionen der Potschwennitschestwo-Bewegung im Russland des 19. Jahrhunderts, einer Reaktion auf die Verwestlichung seit Peter dem Großen im 18. Jahrhundert, der Dostojewski nahestand, aufgenommen. Dabei wollten die Potschwenniki keine völlige Abkehr vom Westen, sondern eine auf der russisch-orthodoxen Religion und bäuerlichen Volksgemeinschaft basierten Synthese. Dann wendet er sich vorwurfsvoll an Nikolaj Wsewolodowitsch: „Sie heirateten aus Freude an der Quälerei, an Gewissensbissen, an ethischer Wollust.“ Damit trifft Schatow es auf den Punkt. Nikolaj Wsewolodowitsch will sich für seine vergangenen Sünden bestrafen und sich und seine edle Familie in masochistischer Weise quälen, womit er seinem früheren Ausruf, Marquis de Sade hätte bei ihm noch viel zu lernen gehabt, nachkommt. Auch ihn hat letztlich das Böse an sich ergriffen.

Anschließend macht sich Nikolaj Wsewolodowitsch auf den Weg zu seiner behinderten Frau Maria Timofejewna. Unterwegs überrascht ihn der offensichtlich von Pjotr Werchowenskij gedungene Sträfling Fedka. Dieser gibt vor, Nikolajs Probleme mit seiner Ehe für immer lösen zu wollen und nennt ihm sogar seinen Preis dafür - 1500 Rubel. Er brauche nur eine kleine Anzahlung. Nikolaj Wsewolodowitsch schickt ihm zum Teufel, da er andere Pläne hat. Maria Timofejewna geht jedoch auf Nikolajs Vorschlag mit ihm irgendwo abgelegen in der Schweiz zu leben nicht ein. Sie sieht in ihm ihren Prinzen, der er nicht ist. Sie erkennt ihn noch nicht einmal als ihren Mann: „Mein Mann verbeugt sich selbst vor Gott nur dann, wenn er will, dich aber hat Schatuschka (Schatow) … geohrfeigt!... Fort du Betrüger“ (2. Teil Kapitel 2.3). Er muss sich eingestehen, dass sie völlig von Sinnen ist und kehrt um, wieder um Fedka zu begegnen, der auf ihn gewartet hat. Erneut bettelt dieser ihn um drei Rubel an. Nikolaj Wsewolodowitsch wirft ihm letztlich ein ganzes Bündel Rubel zu, um ihn loszuwerden, jedoch intelligent genug zu wissen, was dies zur Folge haben wird, und was er später seiner Dascha (Darja Pawlowna) gesteht, die ihm entgegnet: „Möge Gott Sie von ihrem Dämon beschützen“(2. Teil, Kapitel 3.4). Als Nikolaj Wsewolodowitsch in einem Gespräch mit Mawrikij Nikolajewitsch unmissverständlich zugibt, dass er bereits verheiratet ist, entlässt er diesen völlig verwirrt, da er gerade seine Verlobte Lisaweta Nikolajewna an ihn abtreten wollte. Denn es ist ihm klar geworden, dass diese an Nikolaj verfallen ist. Daraufhin tritt die andere böse Natur, Pjotr Werchowenskij, ein, um Nikolaj Wsewolodowitsch zu einer Versammlung „der Unsrigen“ abzuholen. Unterwegs berät Nikolaj Wsewolodowitsch diesen: „was zur Bildung revolutionärer Gruppen führen könnte. Beamtenwesen und Sentimentalität sind ein guter Kleister, aber es gibt noch etwas Besseres: bereden sie vier ihrer Mitglieder, ein fünftes umzubringen, weil es, sagen wir, ein Denunziant ist, und das vergossene Blut wird diese Leute stärker als mit einem Strick zusammenkleben. Die Herrschaften werden sofort ihre Sklaven…“ (2. Teil, Kapitel 6.7).

Pjotr Werchowenskij will die zunehmenden Unruhen im Land gnadenlos ausnutzen.  Er wird fanatisch von der Idee getrieben, alle Autoritäten zu stürzen. Dazu intrigiert er nach allen Seiten, insbesondere auch unter Ausnutzung seiner guten Beziehung zu Julia Michajlowna, der Frau des Gouverneurs Andrej Antonowitsch von Lembke, und bedient sich skrupellos eines organisierten Bundes. So trifft man sich im Hause eines Verbündeten, Wirginskij, unter dem Vorwand dessen Namenstag zu feiern. Etwa 50 sorgfältig ausgesuchte Mitstreiter kommen zusammen, darunter sein engster Kreis, das Fünferkomitee, dem neben Wirginskij, dessen Schwager Schigaljow, der Beamte Liputin, Lämschin, sowie Tolkatschenko, der ein gutes Netzwerk zu Kriminellen hat, angehören, und zu dessen erweitertem Umfeld auch Schatow und Kirillow zählen. Pjotr Werchowenskij macht ihnen vor, eine von Tausenden über das ganze Land verteilten, revolutionären Zellen zu sein, die von einer geheimen Zentrale gesteuert würden, die wiederum mit der in Europa vorbereiteten Weltrevolution verbunden sei. Im Grunde verhält er sich wie es sein Vater Stepan Trofimowitsch theoretisch formuliert: „…die wirkliche Wahrheit ist immer unwahrscheinlich… Um die Wahrheit wahrscheinlich zu machen, muss man ihr unbedingt ein wenig Lüge beimischen.“ (2. Teil, Kapitel 1.2).  Er stellt sich vor, er könne durch Unruhen im ganzen Land und mit Hilfe von Nikolaj Wsewolodowitsch, der ihm durch seine Unterstützung bei der Lüge wegen seiner tatsächlichen Ehe mit Maria Tmofejewna verpflichtet ist, ein von Schigaljow entworfenes politisches System errichten, in dem 90 Prozent aller Menschen auf einer primitiven Daseinsstufe bei absolutem Gehorsam arbeiten müssen und von den restlichen 10 Prozent uneingeschränkt beherrscht werden. (Anmerkung: Dies sollte sich dann auch in der Tat nach einem halben Jahrhundert unter den Bolschewiken entwickeln.) Pjotr Werchowenskij ist ein Mann der Tat und will nicht nur wie in den letzten 30 Jahren debattieren, sondern einen Umsturz des herrschenden politischen Systems herbeiführen. „Man schreit Hundert Millionen Köpfe! … Selbst wörtlich genommen ist nichts daran fürchterlich…“ (2. Teil, Kapitel 7.2). Schatow kann dem Ganzen nicht mehr zuhören und verlässt die Versammlung als Erster, was ihm von Anwesenden übelgenommen wird. Es wird Denunziantentum befürchtet, was allerdings abwegig ist. Denn ein wirklicher Denunziant würde sich nie so offen verraten.

Nach ihm verlassen auch Nikolaj Wsewolodowitsch und Pjotr Werchowenskij die Versammlung. Pjotr Werchowenskij bietet Nikolaj Wsewolodowitsch offen an seine behinderte Frau mit ihrem Bruder umbringen zu lassen, um ihn für immer an sich und seine Umsturzpläne zu binden. Nikolaj Wsewolodowitsch durchschaut dies und lehnt ab. Pjotr Werchowenskij ist geradezu besessen davon, „dass alles aus den Fugen geht.“ Er will Schigaljows Ideen der Gleichheit umsetzen. „Bei ihm muss jedes Mitglied der Gesellschaft das andere überwachen… Jeder gehört allen, und alle gehören jedem. Im äußersten Falle darf mit Verleumdung und Mord vorgegangen werden, die Hauptsache bleibt die Gleichheit. Vor allem wird … das Niveau von Wissenschaft und Talent gesenkt“ (2. Teil, Kapitel 8.1). Denn das ist nur höher Begabten erreichbar, welche immer Despoten geworden seien. „Man vertreibt sie oder richtet sie hin.“ Eine absolute Nivellierung von allem, Gleichheit, Auslöschung jedweder Individualität sei das Ziel, ein Mensch neuen Typs. „Bedürfnis nach Bildung ist schon aristokratisch. Mit der Familie oder der Liebe wächst das Verlangen nach Eigentum. Wir müssen dieses Verlangen erwürgen und das Denunziantentum fördern. Wir werden das Genie im Säuglingsalter umbringen …, so dass vollständige Gleichheit entsteht… im Westen wird der Papst regieren, bei uns aber… – Sie!“ Wie der Satan versucht hat Jesus zu verführen, versucht Pjotr Werchowenskij Nikolaj Wsewolodowitsch für seine Sache zu gewinnen. “Ich bin ein Nihilist, aber ich liebe die Schönheit! Und Sie sind mein Idol!“ Er will die absolute Anarchie heraufbeschwören mit Nikolaj Wsewolodowitsch als Gallionsfigur. Er verspricht nicht nur Maria Timofejewna beseitigen zu lassen sondern ihm auch die begehrenswerte Lisaweta Nikolajewna zuzuführen, wenn er seiner Bewegung als „Zarewitsch“ folge. Nikolaj Wsewolodowitsch geht nicht darauf ein, aber weist dies Angebot auch nicht kategorisch zurück. Er lässt die Dinge treiben. Wie ernst es Pjotr Werchowenskij meint, zeigt sich auch daran, dass er selbst seinen eigenen Vater, der als brillanter Denker verehrt wird, bei der Obrigkeit denunziert, so dass dessen Haus durchsucht wird. Dort werden tatsächlich zwei möglicherweise anstößige Flugblätter gefunden, weshalb sich Stepan Trofimowitsch beim Gouverneur erklären muss. Dort wird er mit seinem Freund, dem Erzähler der Geschichte, Zeuge von polizeilicher Gewalt beim Niederknüppeln einer eigentlich harmlosen Arbeiterabordnung, die sich wegen ihrer Entlassung beschweren wollen. Die Obrigkeit hatte in ihnen Rebellen gesehen, was sie nicht waren. Der Gouverneur erkennt die Unschuld von Stepan Trofimowitsch und die Boshaftigkeit von Pjotr Werchowenskij, obwohl seine Frau diesen in naiver Weise protegiert. Der zweite Teil endet mit der Offenbarung von Nikolaj Wsewolodowitsch gegenüber Lisaweta Nikolajewna und seiner Mutter, Warwara Petrowna, dass die behinderte Maria Timofejewna tatsächlich seit fast fünf Jahren seine Frau ist, was in der Folge zum Stadtgespräch wird.

3.  Teil

Mit oder ohne Einwilligung Nikolajs treibt Pjotr Werchowenskij die Dinge voran. Ein geeigneter Anlass, die Staatsautoritäten beim Volk der Lächerlichkeit preiszugeben, ist das große Fest, welches Julia Mihajlowna schon seit Monaten organisiert. Pjotr Werchowenskij hat geschickt seine Vertrauensleute in das Festkomitee integriert. Überhaupt hat er durch ständige Schmeicheleien großen Einfluss auf Julia Mihajlowna gewonnen. Pjotr Werchowenskij ist durch und durch böse. Er will die geordneten Strukturen in seiner Heimat von Grund auf zerstören. Dabei schreckt er vor keiner menschlichen Schandtat zurück. Das Böse ist häufig versteckt hinter einer schmeichelnden Maske. Der schwache Gouverneur von Lembke und dessen Frau Julia Mihajlowna sind für ihn ein leichtes Spiel. „Der junge Werchowenskij nämlich legte vom ersten Augenblick an eine entschiedene Respektlosigkeit … an den Tag.“  Von Lembke beklagt sich zwar von Zeit zu Zeit, wie zum Beispiel: „Ich kann doch nicht dulden, dass er in meiner Gegenwart und vor vielen anderen Menschen behauptet, die Regierung gebe dem Volke absichtlich den Branntwein (Anmerkung: eigentlich Vodka), um es zu verdummen und dadurch von einem Aufstand abzuhalten“ (2. Teil, Kapitel 4.3).  Aber seine Frau legt immer wieder ihre schützende Hand über Pjotr Werchowenskij, so dass der Gouverneur letztlich in rasende Eifersucht getrieben wird. Im Grunde hat Pjotr Werchowenskij ein probates Herrschaftsprinzip erkannt. Der enorme Vodkakonsum ist auch heute unter dem diktatorisch regierenden Präsidenten Putin und seinen Schergen gern in Russland gesehen. Wer sich besäuft, zettelt keine Rebellion an. Das gleiche gilt übrigens für den Rauschgiftkonsum in den U.S.A. Nur so lässt sich dort, in einer formalen Demokratie, der eklatante Unterschied zwischen den „to have“ und „to have not“ überbrücken, indem man letztlich die unterprivilegierten Menschen im Rausch dahinträumen lässt.

Zurück zum Fest, welches geradezu der Startschuss sein sollte für die anarchischen Umtriebe des Pjotr Werchowenskij und seiner Gruppe. Aus der ganzen Gegend sind Hunderte Gäste in Festtagskleidung herbeigeströmt. Bevor das eigentliche Tagesprogramm starten sollte, bittet Liputin, einer der Schergen von Pjotr Werchowenskij, ein spontan anlässlich der Feier zugesendetes Gedicht vortragen zu dürfen, was ihm gewährt wird. „Der vaterländischen Gouvernante der hiesigen Gegend von einem Dichter am Festtag gewidmet: Sei gegrüßt, du Gouvernantchen, freue dich, empfinde tief! Magst du rot sein wie George-Sandchen, oder ganz konservativ!“ (3. Teil, Kapitel 1.1). Die Fortsetzung des Gedichtes ist eine Aneinanderreihung von dümmlichen Versen, die nichts weiter bewirken sollten als Gelächter und Respektlosigkeit gegenüber den anwesenden Autoritäten. Der anschließende Auftritt des zwar berühmten aber in seiner Selbstverliebtheit maßlosen Schriftstellers Karmasinow schürt neben verbreiteter Unruhe die Unzufriedenheit des Publikums. Er gestattet sich über eine Stunde aus seinem letzten Werk, „ein Bericht über Empfindungen und Erinnerungen“, einfach vorzulesen und das Publikum grässlich zu langweilen. „Ungestraft erträgt niemand eine öffentliche literarische Vorlesung länger als 20 Minuten“ (3. Teil, Kapitel 1.2). Zu allem Missgeschick reagiert er auf Zwischenrufe wie „was für ein Unsinn“ und muss sich letztlich mit rotem Gesicht „abgekocht“ mit einer übertriebenen, tiefen Verbeugung vom Publikum verabschieden. In dieser aufgeheizten Stimmung muss als nächster Stepan Trofimowitsch auftreten, der die These verkündet: „die Dummheit ist den Geschicken der Menschheit genau so nötig wie das Genie.“ Es ist nie förderlich als vortragender Gelehrter weniger gebildete Zuhörer zu provozieren. Ein Sturm der Entrüstung bricht an. Auf dem Gipfel der Erregung muss er schreien, um überhaupt noch Gehör zu finden: „Ich erkläre, dass Shakespeare und Raffael höher stehen als … die Nation, höher als der Sozialismus, höher fast als die gesamte Menschheit, denn sie sind die … wahre Frucht dieser Menschheit. Wisst ihr denn nicht, dass die Menschheit … bestehen kann, … auch ohne Russland … und selbst ohne Brot – nur ohne die Schönheit nicht, denn trostlos wäre dann die Welt!“ (3. Teil, Kapitel 1.3). Tumult breitet sich aus. Stepan Trofimowitsch hat im Grunde einen Anfängerfehler gemacht. Er hat seine Darbietung nicht auf das Publikum abgestimmt. Ich habe in meinem Leben über hundert medizinische Fachvorträge gehalten. Meine erste Frage lautete immer: vor was für einem Publikum rede ich, vor Wissenschaftlern, Spezialisten, oder allgemeinen Praktikern. Den gleichen Sachverhalt muss man dann unterschiedlich präsentieren, damit er vom Auditorium angenommen werden kann und nicht missverstanden wird. Selbstverliebte Redner, die sich nur selbst gern reden hören, sind fehl am Platz. Stepan Trofimowitsch hat sich von diesem Misserfolg nie wieder erholt.

Julia Mihajlowna empfindet den fehlgeleiteten literarischen Vormittag ihres Festes als Verschwörung gegen sie, was Pjotr Werchowenskij ihr mit Redegewandtheit ausredet. Denn sie soll unbedingt am für den Abend geplanten festlichen Ball teilnehmen, was sie auch mit ihrem Gemahl, dem Gouverneur tut – jedoch nur um das gleiche respektlose Desaster zu erleben. Auf dem Höhepunkt des Tumultes schreit jemand plötzlich „Feuer! Die ganze Stadt jenseits des Flusses brennt!“ – und zwar unabhängig voneinander an drei unterschiedlichen Stellen, was sofort größten Schrecken verursacht: „Brandstiftung“ (3. Teil, Kapitel 2.3). In der Tat waren wohl drei Arbeiter der Abordnung, die zuvor unter Annahme einer Rebellion rücksichtlos niedergeknüppelt worden waren, an der Brandstiftung beteiligt – aufgewiegelt durch den Lakaien von Pjotr Werchowenskij, den ehemaligen Sträfling Fedka, der den betrunkenen Hauptmann Lebiadkin und dessen Schwester Maria Timofejewna, die Ehefrau von Nikolaj Wsewolodowitsch, sowie deren Dienstmädchen brutal ermordet hat.  Das Feuer sollte einfach dazu dienen diese grausame Tat zu vertuschen. In der allgemeinen Unruhe wird geplündert. Die Rechtsordnung ist außer Kraft gesetzt. Auf den zur Brandstätte hingeeilten Gouverneur und dessen Anordnungen achtet niemand mehr, so dass er schreit „Nihilismus! Wenn etwas brennt, so ist es Nihilismus! … die nackte Wahrheit hat immer etwa Erschütterndes“, konstatiert der Erzähler (3. Teil, Kapitel 2.4). Denn die Brandstifter glaubten offenbar an gar nichts, hatten weder Ehrgefühl noch Moral, und schreckten auch vor dem Tod nicht zurück. Sie wollten nur zerstören. Beim Versuch eine schreiende Greisin aus ihrem brennenden Haus zu retten, wird der Gouverneur von einem herabfallenden Balken getroffen und stürzt besinnungslos zu Boden. Am nächsten Morgen wird Maria Timofejewna mit Messerstichen am ganzen Körper aufgefunden, nebst ihrem Bruder, der bei durchschnittenem Hals völlig ausgeblutet war. Der Magd, die offensichtlich den Mörder überraschte, war der Schädel zertrümmert worden. Da das Haus von Nikolaj Wsewolodowitsch für seine Ehefrau gemietet worden war und dieser, wie beobachtet worden war, in der besagten Nacht Lisaweta Nikolajewna zu sich holen ließ, macht in der Stadt schnell das Gerücht die Runde, dass der Mord nur verübt worden war, damit er frei für seine neue Liebschaft war – eine Annahme die wahr war, wenn auch mit anderen Akteuren.

Derweil verabschiedet sich in der Tat Lisaweta Nikolajewna von Nikolaj Wsewolodowitsch nach einer schönen gemeinsamen Nacht: „wir werden nicht lange zusammenbleiben“, worauf er verständnislos antwortet „ich liebe dich jetzt noch mehr als gestern“. Ihr ist klar geworden, dass sie mit Nikolaj nicht ins Ausland fliehen will. Sie will in Moskau Hof halten, was aber wegen seines verheirateten Zustandes nicht geht. Sie weiß noch nichts vom Tod seiner Ehefrau in dieser Nacht. „Lisa, was war denn gestern?“, sie an ihre gemeinsamen glücklichen Stunden erinnernd. Sie entgegnet: „Es war, was es war“, worauf er erschüttert reagiert: „Das ist unmöglich! Das ist grausam“, worauf sie ihm an den Kopf wirft: „Wenn es grausam ist, müssen sie es eben ertragen … Warum beunruhigen Sie sich? Aus verletzter Eitelkeit, weil eine Frau Sie sitzen lässt, noch ehe Sie sich von ihr losgesagt haben?und das ist Stawrogin, der Blutsauger Stawrogin, wie eine hiesige Dame Sie nennt … Ich muss gestehen, schon damals in der Schweiz hatte sich in mir der Gedanke festgesetzt, dass Sie etwas Furchtbares, Schmutziges und Blutiges auf dem Gewissen haben…“ (3. Teil, Kapitel 3.1), wohl den Selbstmord der verführten Minderjährigen irgendwie spürend. Warum sie überhaupt die Nacht mit ihm verbracht hat, ist rational nicht erklärbar, wie das so häufig ist, wenn man von jemandem angezogen wird, und wenn es das Böse ist. Nikolaj Wsewolodowitsch wird von einem Geräusch außerhalb des Zimmers aufgeschreckt und lässt Lisaweta zurück. Draußen eilt Pjotr Werchowenskij herbei und erzählt ihm von den Geschehnissen der Nacht, was Lisaweta im Nebenzimmer nur bruchstückhaft mitbekommt. Als sie dann von der Ermordung von Nikolajs Ehefrau hört, fragt sie diesen, ob er etwas damit zu tun habe: „Nikolaj Wsewolodowitsch sagen Sie mir, wie wenn Sie vor Gott ständen, sind Sie schuldig oder nicht? Ich schwöre Ihnen, dass ich Ihrem Worte wie dem Worte Gottes glauben und Ihnen bis ans Ende der Welt folgen werde!“ Es bleibt Nikolaj nichts anderes übrig als die Wahrheit, die reine Wahrheit zu sagen: „Ich habe sie nicht getötet und bin dagegen gewesen, aber ich wusste, dass sie umgebracht werden sollten und habe die Mörder nicht zurückgehalten. Gehen Sie, Lisa“ (3. Teil, Kapitel 3.2). „Lisa bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und verließ das Haus.“ Sie geht zu Fuß begleitet von Mawrikij Nikolajewitsch, der die ganze Nacht vor dem Haus Stawrogins auf sie gewartet hat, völlig durchnässt durch den Regen umgehend zum Ort des schrecklichen Mordes. Warum sie dies tut? Wieder wird sie vom Bösen angezogen. Sie ahnt es sogar, indem sie zu ihrem Verlobten sagt „Ich werde sterben, ich werde sehr bald sterben…“ (3. Teil, Kapitel 3.3). Das Böse ist wie ein Schatten. Es ist immer mit uns, sogar in uns, in unserem Unterbewusstsein. Unterwegs trifft sie noch Stepan Trofimowitsch in Wanderkleidung, der seinem bisherigen Leben Lebwohl sagte und diesen schrecklichen Ort einfach nur verlassen will. „Ich flüchte aus einem Fiebertraum, ich entfliehe, um Russland zu suchen“, sagt er noch. An der Brandstätte der Lebiadkins angekommen, wird sie erkannt und vom aufgebrachten Mob, sie als Mittäterin ansehend, erschlagen. Das Böse wuchert unaufhaltsam.

Und es geht weiter. Pjotr Werchowenskij will, dem Rat von Nikolaj Wsewolodowitsch folgend, seine Vertrauten aus dem Fünfer-Komitee eng an sich binden, indem er einen ihm unbequemen Kritiker, Iwan Schatow, den Bruder Warwara Petrownas Mündels Darja, selbst Mitglied seines geheimen Zirkels, ermorden lassen will. Er setzt dies ohne Rücksicht auf die Bedenken der Bundesgenossen durch und überzeugt sie, da Kirillow, sowieso seinen Selbstmord planend, die Schuld in einem Abschiedsbrief auf sich nehmen will. Willkürlich bezichtigt er Schatow des potenziellen Verrates. Zur gleichen Zeit taucht bei Schatow plötzlich seine hochschwangere Frau Maria Ignatjewna auf, von der er schon seit drei Jahren getrennt lebte. Obwohl das ungeborene Kind nicht von ihm ist, sondern mutmaßlich von dem Frauenverführer Stawrogin (Maria: „Nikolaj Stawrogin ist ein Schuft!“), kümmert er sich selbstlos um seine Frau, schafft eine Hebamme, die Frau Wirginskijs, herbei. Der introvertierte Kirillow versorgt ihn mit heißem Tee. Irgendwie hat dieser schon abgeschlossen und lässt seinen Gedanken freie Bahn: „Es gibt Sekunden – fünf oder sechs – da fühlt man plötzlich die Gegenwart der völlig erreichten, ewigen Harmonie. Das ist nichts Irdisches … der Mensch … muss sich entweder physisch umgestalten oder sterben. Es ist, als empfände man die ganze Natur“ (3. Teil, Kapitel 5.5). Dann kommt das Kind zur Welt. Maria will es Iwan nennen – nach Schatow, den sie wegen seiner Fürsorge mit ganz anderen Augen ansieht. „Das Geheimnis des Erscheinens eines neuen Wesens ist ein unerklärliches Mysterium“, bemerkt Schatow und sagt zu Maria Ignatjewna: „Lass uns arbeiten und zu dreien einen neuen Weg beginnen… (3. Teil, Kapitel 5.6).

Noch in der gleichen Nacht wird Schatow unter einem Vorwand in den Park von Skworeschniki gelockt. Maria will ihn gar nicht gehen lassen, nur mit seinem Versprechen, dass dies der letzte Dienst für seine Gruppe sei. Wie wahr! Die Gruppe weiß, dass Schatows Frau gerade ein Kind geboren hat und er in seinem Glück nicht an Denunziation denken kann. Trotzdem wird er dort auf Betreiben des jungen Werchowenskijs heimtückisch gemeinschaftlich ermordet, wobei Pjotr Werchowenskij ihm wehrlos auf dem Boden liegend in den Kopf schießt. Anschließend wird er mit Steinen beschwert im Parkteich entsorgt. Pjotr Werchowenskij kommentiert die grausame Tat: unser „ganzes Tun muss vorläufig darauf gerichtet sein, dass alles zusammenstürze, sowohl der Staat als seine Moral. Nur wir bleiben dann übrig, wir, die wir von vornherein zur Übernahme der Gewalt bestimmt sind. Wir müssen eine ganze Generation umbilden … Uns stehen noch viele Tausende solcher Schatows bevor“ (3. Teil, Kapitel 6.1). Wie recht sollte er behalten, wenn man sich die 280.000 zum Teil grausamsten Hinrichtungen (Häutungen, Aufspießen) während des „Roten Terrors“ in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution bis 1922 und die mindestens 700.000 Hinrichtungen unter Stalin allein in den Jahren der großen Säuberungen 1937/38 ins Gedächtnis ruft.

Die Wöchnerin Maria Ignatjewna, die am folgenden Morgen vergeblich auf ihren Mann wartet, treibt es mit ihrem Neugeborenen voller böser Ahnungen in die Kälte hinaus, um ihn zu suchen. Der peitschende Regen und die Kälte sind zu viel für sie und das Kind. Beide sterben. Derweil begibt sich Pjotr Werchownskij nach vollendetem Mord an ihrem Mann zu Kirillow, um sicher zu stellen, dass dieser auch vor seinem Selbstmord die Schuld der begangenen Tat auf sich nimmt, von der er noch nichts wissen konnte. Kirillow macht sich und Pjotr Werchowenskij klar: „Ich bin verpflichtet, mich zu erschießen, weil der wichtigste Punkt meines freien Willens der ist, mir mein Leben selbst zu nehmen.“ Für ihn ist klar: niemand hat uns gefragt auf die Welt zu kommen, geboren zu werden. Dies will er wenigstens beim Tod verhindern, welcher sonst auch ungefragt zu uns kommt. „Der Mensch hat nie etwas anderes getan, als sich … immer wieder einen Gott zu erfinden, nur um zu leben“ (3. Teil, Kapitel 6.2), - und die Illusion zu erfinden, ewig zu leben. „Das Attribut meiner Gottheit ist der Wille!“ Bevor er sich durch einen Schuss in die Schläfe seinem Willen entsprechend selbst tötet, unterschreibt er den gewünschten Abschiedsbrief. Daraufhin macht sich Pjotr Werchowenskij aus dem Staub und verlässt Skworeschniki mit dem Zug. Auch sein Vater hat seine Heimat verlassen. Er hat sich vorgenommen auf der Landstraße zu sterben.

Der Roman endet mit einem in den Wahnsinn getriebenen Stepan Trofimowitsch, der als gutmütiger Idealist völlig die Erdung in der vom Bösen beherrschten Welt verliert. Vor seinem Tod will er noch einmal die Allegorie „von den Säuen“ hören, von einer christlich-naiven Frau, die ihm unterwegs begegnete. „Es war daselbst eine große Herde Säue … auf dem Berge. Und sie baten ihn (Jesus), dass er ihnen erlaube … in sie zu fahren … Da fuhren die Teufel von dem Menschen aus, und fuhren in die Säue, und die Herde stürzte sich mit einem Sturm in den See und ersoff. Da aber die Hirten sahen, … was geschehen war, und kamen zu Jesus, und fanden den Menschen, von welchem die Teufel ausgefahren waren, sitzend zu (seinen) Füßen … und … verkündigten … wie der Besessene gesund geworden war (Lk 8,32-33). Stepan Trofimowitsch vergleicht diese Teufel mit all den Bosheiten, die sich über Jahrhunderte in seinem geliebten Russland angesammelt haben. Dann wird er endlich von seinen Schmerzen erlöst und stirbt in den Armen seiner verehrten Warwara Petrowna, die nach ihm gesucht hatte, mit den Worten „Die Liebe ist höher als das Dasein, sie ist die Krone des Daseins, und wie soll ihr da das Dasein nicht unterstellt sein?“ (3. Teil, Kapitel 7.2). Für ihn ist es ein Beleg der Unsterblichkeit, wenn man liebt.

Letztlich fallen den Umtrieben des Bösen in Skworeschniki zum Opfer: Maria Timofejewna, die Frau von Nikolaj Wsewolodowitsch, ihr Bruder Hauptmann Lebiadkin und deren Magd, sowie der gedungene Mörder Fedka, der nach einem Streit mit Pjotr Werchowenskij später tot aufgefunden wird, daneben Iwan Schatow und seine eben niedergekommene Frau Maria Ignatjewna mit dem Neugeborenen, Lisaweta Nikolajewna Drosdowa, Stepan Trofimowitsch und eben letztlich und von Dostojewski in einem Resümee des Erzählers fälschlicherweise zu früh (vor Beschreibung des Geschehens) genannten Nikolaj Wsewolodowitsch. Er erhängt sich aus Lebensverdrossenheit, als nach dem Tod Lisawetas die von ihm erneut umspielte Geliebte Darja Pawlowna nur eine Nacht zu spät auf seine Avancen reagiert. Angesichts dieses Verlustes verblassen der ganze Reichtum und Stolz seiner Mutter, die bewusstlos zu Boden sinkt, als sie ihren erhängten Sohn auffindet. Die Behörden entschlüsseln rascher als von Pjotr Werchowenskij gedacht die schrecklichen Geschehnisse. Denn der Zusammenhalt des Fünfer-Komitees erwies sich ohne Anwesenheit von ihm als nicht real. Liamschin liefert nach missglücktem Selbstmordversuch ein volles Geständnis ab. „Es sei geschehen zum Zwecke einer systematischen Erschütterung der Fundamente, einer planmäßigen Zersetzung der Gesellschaft und sämtlicher Prinzipien…“ Aber das Böse an sich, Pjotr Werchowenskij, verschwindet einfach, um sein Unwesen an anderer Stelle zu treiben. Das wirklich Böse ist eben nicht zu fassen. Es verschwindet im Untergrund, um wieder an der Oberfläche zu erscheinen, sobald Schwächen oder instabile Verhältnisse in einer Gesellschaft auftauchen.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski, umgeben von Dunkelheit, im Jahre 1872, als er den Roman „Die Dämonen“ („Besy“) schrieb; Gemälde von Wassili Perow (Öl auf Leinwand, 100 x 81 cm), Tretjakow Galerie, Moskau

Perzeption

Es ist ein großartiger Roman und nicht verwunderlich, dass Franz Kafka durch diese düstere Erzählung zu seinen surrealen Erzählungen inspiriert worden war. Natürlich wurde auch das schlummernde Böse in den Menschen durch diesen Roman geweckt. Der Propagandaminister Nazi-Deutschlands und nach Hitler einflussreichster Nazi, Joseph Goebbels, hatte in einem Geleitwort seiner Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades "Dr. phil." am Fachbereich Germanistik der Universität Heidelberg ein Zitat aus Dostojewskis „Die Dämonen“ vorangestellt: „Vernunft und Wissen haben im Leben der Völker stets nur eine zweitrangige … Rolle gespielt - …; Von einer ganz anderen Kraft werden die Völker gestaltet, - … von einer befehlenden und zwingenden Kraft“. Dostojewski war in den 1920er Jahren ein Bestseller in Deutschland. Allein 1920-22 wurden 400.000 Bücher von ihm in Deutschland verkauft. Albert Camus war von dem Werk so beeindruckt, dass er „Die Dämonen“ für die Bühne bearbeitete. Er stellte die Bedeutung Dostojewskis sogar über die von Karl Marx, da die im Roman beschriebenen, nihilistischen, gesellschaftlichen Strukturen für ihn eine größere prophetische Kraft besaßen als die nüchternen, wissenschaftlich-philosophischen Vorhersagen des Marxschen historischen Materialismus und die gesellschaftliche Katastrophe des 20. Jahrhunderts vorausahnen ließ.

Als Vorlage bediente sich Dostojewski den Umtrieben des während der Studentenunruhen Mitte der 1860er Jahre in St. Petersburg aktiven Nihilisten Sergei Gennadijewitsch Netschajew (1847 – 82) und seiner Ermordung eines jungen Mitglieds in seiner revolutionären Gruppe (1869). Das ermordete Mitglied trug den gleichen Vornamen wie die Figur Schatow in seinem Roman, Iwan, wurde ebenfalls verprügelt und durch Kopfschuss hingerichtet.  Auch Netschajews Geheimbund „Narodnaja Rasprawa (Strafgericht des Volkes) bestand lediglich aus einer Fünfergruppe, der er den Glauben an eine Verschwörung mit zahlreichen, anderer Untergrundgruppen suggerierte. Nach dem Mord floh Netschajew in die Schweiz, wurde jedoch 1872 nach Russland ausgeliefert, wo er 10 Jahre später bei Verbüßung einer Zuchthausstrafe in St. Petersburg verstarb. Dostojewski hat erahnt, was auf sein Heimatland, sein geliebtes Russland, zukommen würde. Vor dem großen Tag der Verkündigung der Abschaffung der Leibeigenschaft durch den Zaren, grummelte sein idealistischer Protagonist Stepan Trofimowitsch automatisiert immer wieder vor sich hin: „Mit Beilen bewaffnete Bauern kommen, schreckliche Dinge werden geschehen“ (1. Teil, Kapitel 1.8). Unter den Bolschewiken und den stalinistischen Säuberungen wurden in Russland mehr Menschen ermordet bzw. wurden dem Hungertod überlassen als durch die Gräueltaten der über Russland hergefallenen Schergen Nazi-Deutschlands getötet wurden – und das waren 24 Millionen, das pure Böse.

Epilog: Das Böse

Gewaltige soziale Veränderungen, selbst zum vermeintlich Guten, gehen immer mit Zerstörung und dem Bösen einher. Denn, wenn etwas Neues aufgebaut werden soll, muss in der Regel das Alte zerstört werden. Dies liegt auch daran, dass das Alte, d.h., die alten Herrschenden ihre Privilegien bis zuletzt verteidigen wollen.

Dies war auch bei der französischen Revolution (1789), dem Übergang der aristokratischen in die bürgerliche Gesellschaft, der Fall. Wie viele Tausend unschuldige Menschen wurden neben aristokratischen Ausbeutern zur Guillotine geführt bis die Revolution ihre eigenen Kinder fraß. Selbst Maximilien de Robespierre, ein Führer der Revolution, wurde durch das Fallbeil hingerichtet. Die Zahl der Toten wird auf ca. 300.000 geschätzt. Allein durch die Guillotine wurden über 20.000 Menschen öffentlich hingerichtet. Nach der Oktoberrevolution in Russland ordnete Lenin an die gesamte Zarenfamilie zu ermorden, ohne Gnade, einschließlich der Ehefrau und der fünf Kinder im Alter von 13 – 22 Jahren, darunter vier Mädchen. Stalin ließ in grausamster Weise selbst die hinrichten, die die kommunistische Revolution erst möglich machten. So wurde Leonid Trotzki, der als Volkskommissar für das Kriegswesen die Rote Armee aufgebaut hat und maßgeblich für den Sieg der Bolschwiken verantwortlich war, durch einen Attentäter im Exil in Mexiko am 21.8.1940 mit einer Axt brutal erschlagen. Denn er war eine prinzipielle Gefahr für den vom Bösen erfassten, machtbesessenen Stalin. Hitler brachte sich mutmaßlich mit Zyankali ums Leben und ließ sich verbrennen, um nicht den Befreiern Deutschlands in die Hände zu fallen. Das Böse will sich dem Guten nicht ergeben. Es will das Leben zerstören und wendet sich auch ohne zu zögern emotionslos selbst gegen seine Protagonisten. Das sollte jedem Handlanger des Bösen klar sein.

Die Manifestation des Bösen im Verlauf der Menschheitsgeschichte

Das Böse war immer da und geht bis auf die Genesis der Menschheit zurück, niedergeschrieben im Alten Testament der Bibel aus dem 9. Jhdt. v.Chr., Geschehnisse beschreibend die weit vor unserer Zeitrechnung stattfanden und mündlich über Generationen überliefert wurden. So kam es schon bei den Kindern der mythologisch ersten Menschen, aus purem Neid zum schrecklichen Brudermord von Kain an Abel - weil der angeblich allwissende Gott die Opfergaben Abels vorzog ohne offensichtlich geahnt zu haben, was dies in Kain bewirkte (Gen 4,4-8). Im weiteren frühen Verlauf der Menschheitsgeschichte wird eine Sintflut beschrieben, die das Böse unter den Menschen auslöschen sollte und mutmaßlich zwischen 2578 – 2282 v.Chr. aufgetreten ist.

Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden…,

da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte…

und er sprach: ich will die Menschen… vertilgen von der Erde…

Aber Noah fand Gnade vor dem Herrn…

Da sprach Gott zu Noah: Mache dir einen Kasten von Tannenholz…

Dreihundert Ellen sei die Länge, fünfzig Ellen die Breite, und 30 Ellen die Höhe…

Denn siehe, ich will eine Sintflut kommen lassen auf Erden…“ (Gen 6,5-27).

Der das Gute repräsentierende Gott der Juden forderte von Abraham, der aus der babylonischen Stadt Ur stammend um 2000 v.Chr. gelebt haben muss, dass er ihm seinen einzigen Sohn Isaak als Menschenopfer darbringt. Er ließ erst im letzten Augenblick, als Abraham schon das Messer ansetzen wollte, davon ab. Gott wollte Abraham prüfen, ob er ihn mehr liebe als seinen eigenen Sohn – was für eine Prüfung, das absolut Böse zu fordern, „dass er seinen Sohn schlachtet“ (Gen 22, 1-12). In einer anderen überlieferten Geschichte quälte Gott den zutiefst gläubigen Hiob mit unsagbaren Plagen, nur um dem Bösen und seiner Inkarnation Satan zu beweisen, wie sehr Hiob an ihn glaubt. Spätestens hier muss die Vorstellung von einem allmächtigen Gott, der allein das Böse in die Schranken verweisen kann, dem Reich der Illusionen zugeordnet werden. Denn Gott fiel selbst auf die List des Bösen herein, welches ihn provozierte und Hiob so viele Grausamkeiten erdulden ließ: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen… Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (Hiob 1, 6-21; 2, 1-10). Hiob verteidigte Gott bis zuletzt, selbst vor seiner Frau, konnte aber letztlich nicht verstehen, dass er, trotz seiner Güte, so viel Unheil ertragen musste, und klagte, „warum leben die Gottlosen, werden alt und nehmen zu an Gütern?“, eine Frage, die man sich heute mehr denn je stellen muss. Denn Gerechtigkeit ist kein Lebensprinzip, sondern Macht.

In der griechischen Mythologie, niedergeschrieben von Hesiod um 700 v.Chr., wurde Pandora von Zeus zu den Menschen geschickt, die - wie so häufig das Böse mit blendender Erscheinung maskiert - Plagen, Krankheiten, Seuchen und Hunger aus ihrer Büchse auf die Menschheit losließ. Einzig die Hoffnung verblieb in der Büchse, die zuletzt stirbt - an die sich so viele Menschen klammern und dabei versäumen, wirklich zu leben, wenn sie immer nur hoffen. Letztlich ist die Hoffnung als zentraler Bestandteil der christlichen Religion die Essenz dessen, was Karl Marx als „als Opium des Volkes“ beschrieben hat, nämlich auf die Gerechtigkeit im Jenseits zu hoffen, um die fortwährenden Qualen des wirklichen Lebens zu erdulden. Eine differenzierte Vorstellung von der Funktion des Bösen wurde im antiken Persien entwickelt. Im 6. Jhdt. v.Chr. (einige Historiker datieren es sogar auf das 18. Jhdt. v.Chr.) lehrte Zoroaster (Zarathustra), dass in der Welt ein Dualismus von Gut und Böse herrscht, wobei der Mensch das einzige Lebewesen ist, welches zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Nach ihm gibt es nur einen Gott, dessen auf die Erde gekommene Sohn am Ende der Zeit, am Jüngsten Gericht, entscheidet welche Menschen aufgrund ihrer guten Lebensweise Gott in der Ewigkeit beiwohnen dürfen. Diesen Gedanken hat später das Christentum übernommen. Cicero hat im 1. Jhdt. v.Chr. gewarnt, dass man sich vor nichts mehr in Acht nehmen sollte als kritiklos wie ein Schaf einer Herde zu folgen. Denn die Herde kann von Bösem beeinflusst sein. Ihm selbst widerfuhr beim Übergang der Republik zur Monarchie das absolut Böse. Es wurden ihm Kopf und Hände abgeschlagen und öffentlich auf dem Forum Romanum zur Schau aufgestellt, als er den politischen Interessen von Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, potentiell gefährlich werden konnte (43 v.Chr.). Die Schreckensherrschaft der nachfolgenden römischen Kaiser Caligula (37 – 41 AD) und Nero, der zu seiner Ergötzung große Teile Roms in Brand setzen ließ (64 AD) war bis dahin beispiellos. In diesem Jahr muss auch der Apostel Paulus (5 – 64 AD) den grausamen Christenverfolgungen durch die Römer zum Opfer gefallen sein. In einem Brief an die Römer hat Paulus zum Ausdruck gebracht, dass das Böse immer in uns verweilt:

„Denn ich weiß, dass in mir, d.h. in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt …

das Gute, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will …

Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt“ (Röm 7, 18-20).

Der Kirchengelehrte Origines aus Alexandria (185 – 253), der immer wieder mit der zunehmend institutionalisierten Kirche aneckte, ging sogar noch weiter in seinen Vorstellungen. „Recedere (autem) a bono, non aliud est quam effici in malo“ (Sich vom Guten zurückzuziehen ist nichts anderes, als böse zu werden). Für mich ist dies ein Leitgedanke, nicht abzulassen das Gute zu unterstützen, für das Allgemeinwohl einzutreten. Ganz im Gegenteil war der ganze Reichtum Roms und ihrer Herrschenden nur auf der ständigen kriegerischen Unterwerfung und Versklavung ganzer Völker aufgebaut, was heute in Anbetracht der vielen kulturellen Errungenschaften der Römer gern übersehen wird. Das gilt ebenso für das Kulturvolk der Mayas auf der anderen Seite der Erde (21. Jhdt. v.Chr. - 16. Jhdt. AD). Ihr Ritual des bei lebendigem Leib Herausschneidens der Herzen besiegter Krieger war an Grausamkeit nicht zu überbieten (10. - 16. Jhdt.).

Aus der Vorstellung eines Dualismus von Gut und Böse, entsprechend den früheren Gedanken Zoroasters, hat sich der Manichäismus entwickelt, durch den Augustinus (354 – 430), der erste große römisch-katholische Kirchenlehrer, geprägt worden war.  Der Manichäismus basiert auf zwei Vorstellungen: 1) Das Gute, das Licht, und das Böse, die Dunkelheit, sind unerschaffen, also anfangslos; 2) Das Gute, das Aufbauende, und das Böse, das Zerstörerische, sind im ständigen Widerstreit miteinander und gewährleisten dadurch das Gleichgewicht auf der Erde. Ein Turmbau zu Babel konnte nicht unendlich in die Höhe wachsen und musste naturgemäß irgendwann einstürzen, damit wieder etwas Neues entstehen konnte, so wie heute der ausufernde Kapitalismus auf sein Ende zuzusteuern scheint. Goethe hat diesen zentralen Gedanken später in seinem Drama „Faust“ aufgenommen, wo sich Satan (Mephistopheles) dem Gelehrten Faust so vorstellt:

Faust: „Nun gut, wer bist du denn?“

Mephistopheles: „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Faust: „Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?“

Mephistopheles: „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht; Drum besser wär‘s, dass nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element.

Faust: „Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir.“

Mephistopheles: „… Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, gewöhnlich für ein Ganzes hält – Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht, den alten Rang, den Raum ihr streitig macht… Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön … und mit den Körpern wird’s zugrunde gehen.“ (Faust, der Tragödie 1. Teil).

„Der Geist, der stets verneint“ ist das Diabolische, das wörtlich „auf den Kopf stellen“ heißt. Es ist diese mephistophelische Kraft der Zerstörung, die Vorbedingung ist, damit überhaupt etwas Neues entstehen kann. Ein zweiter essentieller Gedanke ist, dass das Böse schon immer war, ein Teil der Finsternis, der „Mutter Nacht“, aus der das Licht, alles Leben, und was wir Gutes nennen, entstand. Goethe nahm den elementaren Gedanken der orphischen Kosmogonie aus der griechischen Mythologie auf, in der das finstere Chaos vor der Entstehung alles Lebens bestand. Erst durch Paarung des Chaos mit der Erdgöttin Gaia in der allgegenwärtigen Finsternis entstand dann Eros, der Gott der Liebe, die Vitalkraft allen Lebens.

Das Christentum wollte sicher in den Anfängen nur Gutes für die Menschen. Jesus von Nazareth (4 v.Chr. – 31 AD) lehrte in seiner Bergpredigt: „Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5, 43-44). Seine Absicht war jegliche gewaltsame oder kriegerische Auseinandersetzung im Keim zu ersticken. Denn alles beginnt mit Hass oder Gier und endet mit Rache. Leider wird dieser zentrale Gedanke seiner Bergpredigt durch das Böse bis heute unterdrückt, und das obwohl die Bergpredigt als Kern der Lehre Jesu angesehen wird. Das Gute der christlichen Lehre war vom Bösen nur durch Unterwanderung der Kirche zu bekämpfen. Obwohl auch Jesus mit dem Bösen zu ringen hatte, wie seine „Verfluchung des (unschuldigen)Feigenbaumes“ (Mt 21, 18-19) zeigte, konnte ihn das Böse, repräsentiert durch die Figur des Satans, nicht verführen, selbst nicht mit dem Versprechen ihm die ganze Welt zu Füßen zu legen:

„Abermals (zum dritten Mal) nahm ihn (Jesus) der Teufel mit auf einen sehr hohen Berg, zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sagte zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weiche Satan!“ (Mt 4, 8-10)

Es blieb dem Teufel also nichts anderes übrig als eine Institution aufzubauen bzw. zu unterwandern, die für sich das Recht beansprucht Gottes Stellvertreter auf Erden zu repräsentieren, deren Handeln aber häufig in Ausbeutung, Drohung und Gewalt besteht. Es wird zwar das Gebot der Liebe gepredigt, jedoch nur als Teil der Unterdrückung - bis heute mit dem Verbot der Geburtenkontrolle im übervölkerten Afrika und dem häufigen sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener, junger Kinder. Als Folge sollten nicht nur die Boten der christlichen Lehre als Lügner empfunden werden, sondern auch die Lehre selbst als Lüge. In diabolischer Weise wurden im Laufe der Kirchengeschichte alle Andersdenkenden, die von den Dogmen der Kirche abwichen, als Häretiker hingerichtet. Die Intellektuellen in der Frühkirche, die Gnostiker wurden gnadenlos verfolgt, und ihre Schriften verboten. Nach ihnen ist das höchste Gottprinzip Abraxas, ein Begriff, der dem Gnostiker Basilides aus Alexandria (85 - 145 AD) zugeschrieben wird. Es ist die Energie, die alles Sein aufrecht erhält und die die unzählig vielen Manifestationen der Materie bewirkt. Erst eine Ebene darunter ist der uns geläufige Gott für den Aufbau und sein Gegensatz, der Teufel, für die Zerstörung, angeordnet – ein Dualismus, der schon rund 700 Jahre zuvor von Zoroaster erkannt wurde. Im 5. Jhdt. wurde in Alexandria die Gelehrte Hypatia, die Tochter des letzten Direktors der großen Bibliothek, bestialisch von einem aufgebrachten christlichen Mob geradezu zerfleischt.  Ganze Völker wurden während der Christianisierung ausgerottet, wenn sie sich nicht den Gesetzen der Kirche, maskiert als heilbringende Religion, unterwarfen. Bevor die spanischen Konquistadoren im 15. Jhdt. nach Haiti kamen, gab es dort 500.000 Ureinwohner. Nach der Missionierung 500. Francisco Pizarro, ein ursprünglich ungelernter Tagelöhner, der weder lesen noch schreiben konnte, aber umso ruchloser war, hatte den ihm freundlich begegnenden König der Inkas, Atahualpa, heimtückisch gefangen genommen, nachdem er dessen Leibwache von 6.000 Männern von seinen schwerbewaffneten Kriegern niedermetzeln ließ. Sein darauffolgendes Versprechen ihn freizulassen, wenn sein Volk ein ganzes über mannshohes Zelt mit Gold und zwei weitere mit Silber füllen würde, hielt er seinem bösen Wesen entsprechend nicht ein, sondern ließ ihn durch die Garotte hinrichten. Atahualpa hatte die boshafte Gier nach Gold der spanischen Eroberer durchschaut, entsprechend seiner Worte vor seinem Tod am 19.8.1533: „Sie wollen Gold. Sie winseln um Gold, sie schreien um Gold, sie zerfleischen einander um Gold.“ Nach der Ermordung Atahualpas zog Pizarro mit seinen Truppen und von ihm gegen die Inkas aufgewiegelten indigenen Stämme mordend und brandschatzend durch Peru, nahmen die Hauptstadt Cuzco ein und zerstörten letztlich die Hochkultur der Inkas. In der Tat tötete Pizarro in der Folge aus reiner Machtgier auch seinen engsten Waffenbruder Diego de Almagro, dessen Anhänger wiederum Francisco Pizarro am 26.6.1541 in der neu gegründeten Hauptstadt Lima aus Rache ermordeten. Wenn man dem Bösen freien Lauf lässt, verschont es niemanden, auch seine Handlanger nicht.

Während des Mittelalters, das zu Recht im Angelsächsischen als „Dark Ages“ bezeichnet wird, war Denken nicht erwünscht. Man sollte glauben, natürlich an das, was die Kirche vorschrieb. Grausame Herrscher wurden von „Gott gegeben“ deklariert. Bis heute wird ein Franken-Kaiser, namens Karl, als „der Große“ verehrt, der Zehntausende von Sachsen allein bei einer Gelegenheit köpfen ließ, weil sie sich nicht dem Kreuz, der christlichen Religion, unterordneten. Jegliche Wissenschaft wurde unterdrückt, wenn sie nicht den strikten Dogmen der Kirche entsprach. Nur große, mächtige Persönlichkeiten, wie Frederico Secundo, der große König von Sizilien und spätere Hohenstaufen-Kaiser des gesamten Heiligen Römischen Reiches, konnten sich dem entziehen. Die römisch-katholische Inquisition (12. - 18. Jhdt.) war für grausame Folterungen und Hinrichtungen auf dem Scheiterhaufen oder durch das Beil verantwortlich. Allein bis zu 60.000 Frauen fielen den wahnhaften Hexenverfolgungen quer durch das christianisierte, abergläubische Europa und Nordamerika zum Opfer. Wenn z.B. eine schöne Frau von einem vom Bösen durchdrungenen Mann begehrt wurde, und die Frau diesen ablehnte, musste er sie aus Rache nur als Hexe denunzieren, was sie unter größten Folterqualen dann auch häufig gestand. Sie wurde bei lebendigem Leib verbrannt. Aus überlieferten Akten von Vergewaltigungsprozessen geht hervor, dass Männer nur vorzugeben brauchten, sie seien von dem Vergewaltigungsopfer verhext worden, um diese dem Schafott zu überführen. Diese Täter-Opferumkehr ist auch heute noch ein gern angewendetes Mittel des Bösen, wie an der überzogenen Kritik des von der Terrororganisation Hamas überfallenen Israel zu beobachten ist. 1347 begann die Pestepidemie in Europa, der in den folgenden Jahrhunderten Millionen von Menschen zum Opfer fallen sollten. In der Folge kam es immer wieder zu Judenpogromen, so 1349 u.a. in Straßburg, Basel, Freiburg und Erfurt. Denn man gab den Juden die Schuld an der Seuche, obwohl die jüdische Lebensweise besonders hygienisch ist, einfach weil sie aufgrund ihrer gelebten Traditionen als Minderheit gut ausmachbar zum Sündenbock taugen. Zudem wurden sie von den Christen schon früh ins Bank- und Handelsgeschäft gedrängt, weil es Christen nicht erlaubt war Zinsen zu nehmen, und Juden untersagt war Land zu besitzen und zu bestellen. So wurden Juden geradezu in lukrative Branchen gedrängt, die viele sehr wohlhabend machten und den Neid der Christen schürten.  

Es gab auch schon zuvor dem Bösen frönende Judenverfolgungen und diese waren nicht nur von Christen verschuldet. Die nachweislich erste Judenverfolgung fand 38 AD in Alexandria, der damals mit 500.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt des Römischen Reiches, statt. Sie wurde ausgelöst durch die polytheistischen Einwohner griechischer Abstammung, unter denen Homosexualität und Pädophilie weit verbreitet war, was bei den Juden als sündhaft angesehen wurde. Als die dort lebenden 200.000 Juden wegen ihrer Verdienste um die Stadt die volle Staatsbürgerschaft beantragt hatten, wurden sie von den privilegierten Griechen aus purem Hass unter Duldung des römischen Statthalters grausam niedergemetzelt. Die Interessen des römischen Statthalters waren durch Habgier geprägt. Er wollte einfach weiter die Kopfsteuer der Juden als Nicht-Staatsbürger eintreiben können. Der heute im Vordergrund stehende, bösartige, islamische Antisemitismus brach schon zu Lebzeiten Muhammads aus, der sich von den reichen Juden Medinas verraten fühlte und diese von seinen Anhängern ermorden bzw. versklaven ließ. Später, im Jahre 1066, kam es aus purem Neid zu einem barbarischen Judenpogrom, als der Muslim-Mob im südspanischen al-Andalus den Kalifenpalast stürmte, weil es ein Jude aufgrund seines Könnens bis zum Großvesir gebracht hatte. Sie kreuzigten diesen und massakrierten den Großteil der jüdischen Bevölkerung. König Philipp II von Frankreich erließ am 14.3.1182 ein Verdikt alle Juden zu enteignen und des Landes verweisen, nur um mit deren Vermögen seine marode Staatkasse auszugleichen.  

Niccolo Machiavelli rechtfertigte in seinem Buch „Il Principe“ (1532) das Recht, sogar die Pflicht der Herrscher zum Bösen, zu Gewalt und Grausamkeit. Aber nicht nur Juden wurden verfolgt. In der Bartholomäusnacht (1572) fielen Tausende Hugenotten aufgrund ihres protestantischen Glaubens der Mehrheit der Katholiken in Paris zum Opfer. Giordano Bruno, der wohl größte Philosoph des Mittelalters, wurde für seine bahnbrechenden Gedanken über den Aufbau des Universums und der möglichen Existenz extraterrestrischen Lebens von der Inquisition verurteilt und auf dem Campo de Fiori in Rom verbrannt (1600). Während des 30-jährigen Krieges (1618 - 48), einem Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten, wo es im Grunde nur darum ging, dass weltliche Herrscher den Protestantismus annahmen, um sich die großen Kirchenländereien anzueignen, wurde ein Drittel der Bevölkerung Zentraleuropas durch Krieg, Hunger und Pest eliminiert. Manche Gegenden in Deutschland verloren bis zu 80% der Bevölkerung. Das Böse konnte sich quer durch ganz Europa austoben. Es war neben dem 2. Weltkrieg der schrecklichste Krieg in Europa. Gottfried-Wilhelm Leibniz rechtfertigte später in seiner „Theodizee“ all dieses Böse (1710), da es im Grunde nur zum Guten führe und zum Gleichgewicht in der Welt beitrage. Das stand jedoch im Gegensatz zu seiner eigenen These, dass der Mensch nur böse werden kann, wenn er sich von Gott abwendet, was von ihm als "malum morale" bezeichnet wurde.

Letztlich brachte erst die Epoche der Aufklärung ab 1720, mit ihrem Leitspruch „sapere aude (wage zu denken)“, den Umschwung und eine rasante Entwicklung von Philosophie und Wissenschaften zum Wohle der Menschheit. Kirchengeschichtlich hatte die Theodizee, also der verzweifelte Rechtfertigungsversuch wie ein allmächtiger, guter Gott so viel Böses zulässt, ihren eigentlichen Ursprung im Jahre 1755. Es war der 1. November, der christliche Feiertag Allerheiligen, an dem die streng katholische Bevölkerung Lissabons Kerzen in ihren Häusern anzündete, um Gott und alle Heiligen zu ehren.  Nach einem fürchterlichen Erd-/Seebeben wurde zuerst ein Großteil der Gebäude zum Einsturz gebracht, dann durch einen Tsunami weite Teile der Stadt überflutet und letztlich durch ein über die vielen angezündeten Kerzen entfachtes Großfeuer nahezu die gesamte Stadt verwüstet. An diesem Tag wurde etwa ein Drittel der gesamten Bevölkerung Lissabons, einer Stadt, die damals mit ca. 250.000 Einwohnern so groß war wie London, ausgelöscht. Wie konnte es ein allmächtiger, gütiger Gott zulassen, dass an einem kirchlichen Feiertag so viele an ihn glaubende Menschen grausam zu Tode kamen? Philosophen, wie Immanuel Kant (1724 – 1804), nahmen in der Folge alle sogenannten Gottesbeweise auseinander. 1793 sprach Kant das „radikale Böse“ als integralem Bestandteil der menschlichen Natur in seiner Abhandlung „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ direkt an. Denn Menschen sind nicht nur Wesen mit Vernunft, sondern haben auch materielle, animalische Begierden. Etwa zeitgleich im 18. Jhdt. ging Jean-Jacques Rousseau davon aus, dass der Mensch von Natur aus gut sei, wobei gut nicht artig im moralischen Sinn heißt, sondern naturgemäß lebend. Durch äußere Umstände wären die Menschen jedoch dazu gezwungen, sich mit anderen zu größeren Gemeinschaften zu verbinden, und dadurch den Eintritt des Bösen (z.B. Eifersucht, Streben nach Ruhm) in die Welt ermöglichten. „Wie viele Verbrechen, Kriege, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle (ihrer Zäune, die ihr Land abgrenzte)ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: Hütet euch, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört,“ so Rousseau.

Eine abgrundtief böse Folge des Privateigentums war die Entwicklung einer Sklavenhalter-Gesellschaft, was bis in die Antike zurückreicht. Letztlich basierte die Pracht der ägyptischen, griechischen und römischen Städte auf dem Schweiß und Blut der Millionen Sklaven, die allgemein wie Vieh behandelt wurden, von wenigen gebildeten Haussklaven einmal abgesehen. Später, zwischen 1519 und 1867, wurden etwa 12 Millionen Afrikaner im Rahmen des transatlantischen Sklavenhandels nach Amerika verschleppt und begründete den bis heute andauernden Rassismus in Amerika einschließlich den technologisch so hoch entwickelten U.S.A. („black lives matter“) und von Weißen besiedelten Ländern Afrikas. Erst das großherzige Verhalten von Nelson Mandela hat dem Bösen, die endlose Spirale der Gewalt in Südafrika, durch die Einführung der Wahrheits- und Versöhnungskommission 1996 Einhalt gebieten können – durch ihn, dem so viel Böses widerfahren war mit einer Kerkerhaft von 27 Jahren. Die Zahl der Sklaven, die als Folge des Sklavenfangs, während der innerafrikanischen und transatlantischen Transporte umkamen, wird auf etwa 1,5 Millionen Menschen geschätzt. Ein weiterer Grund für Massenmorde ist der religiöse Fanatismus. Die Spiritualität, die dem Menschen hilft die Mühsal des Lebens und den unausweichlichen Tod zu ertragen, kann durch Fanatismus sein Wesen verkehren und sich gegen den Menschen richten. Denn nur die Anhänger des gleichen Glaubens werden akzeptiert. Dies führte nach dem Aufstand der Dunganen, einer muslimischen Minderheit im Nordwesten Chinas, 1862 -77 zu Millionen von Toten und erklärt das rigorose Vorgehen der heutigen kommunistischen Machthabenden in China mit den muslimischen Uiguren, die immer wieder für Unruhen sorgten. Dies wird bei der „woken“ Außenpolitik westlicher Regierungen wegen fehlender Geschichtskenntnisse viel zu wenig beachtet.

Nach Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) ist das Gute, das Aufbauende, immer auch vom Bösen, dem Zerstörerischen, begleitet, entsprechend den früheren Gedanken Zarathustras und des Manichäismus, wobei anders als in der christlichen Mythologie bei ihm das Böse durchaus auch als notwendig angesehen werden muss. Es gehört zur Ökonomie der Arterhaltung. Denn alles in der Natur ist primär der Arterhaltung untergeordnet – Leben will leben, und selbst wenn Teile einer Lebensform dafür zugrunde gehen müssen. Selbst Schicksalsschläge, die gegen einen selbst gerichtet sind, sollen angenommen, sogar geliebt werden („amor fati“ – liebe das Schicksal). „Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch … Ich der Staat bin das Volk“. Es ist eine Illusion, dass der Staat dem einzelnen dient, für das Volk da ist, es dient immer den jeweils Herrschenden in der Gesellschaft. In der Tat, wie gut wäre das Leben heutzutage, wenn wir nationale Grenzen loswerden könnten, wenn die Menschen überall hingehen könnten, wohin sie wollen, und ihr Fachwissen und ihre Arbeit anbieten könnten, um sich so ein gutes Leben aufzubauen, sofern sie nicht nur Sozialgeld drainieren wollen. Dadurch könnten sie nirgends von bösen Herrschern eingeschlossen und ausgebeutet werden, weil sie einfach gehen würden.  In „Jenseits von Gut und Böse“ und „Zur Genealogie der Moral“ machte Nietzsche klar, dass die herkömmlichen Bergriffe „Gut“ und „Böse“ in unserer Kultur christlich geprägt und Bewertungen einer Sklavenmoral sind, in der die Starken von den Schwachen als böse bewertet werden. Dies ist natürlich Unsinn. Denn wirklich stark sind nur die, die das Böse, das immer gegenwärtig ist, wenn auch häufig unterschwellig und versteckt, kontrollieren können.  

So haben sich die Herrschenden Europas 1914 in den 1. Weltkrieg treiben lassen, eigentlich aus einem global nichtigen und nur lokal bedeutsamen Anlass heraus. Der Thronfolger der K.u.K.-Monarchie Österreich-Ungarn wurde durch ein Attentat eines minderjährigen, serbischen Nationalisten getötet, was wie ein Funke wirkte und den bösartigen Nationalismus aller europäischen Großmächte gegeneinanderhetzte. Dabei hatte Kaiser Wilhelm II. gezaudert seinem „Bruderstaat“ Österreich-Ungarn beizustehen und in den Krieg einzutreten. Die von den Medien und dem bösen Zeitgeist aufgepeitschten Menschen gingen jedoch enthusiastisch mit „Hurra“-Schreien in den Krieg, nicht wissend, was an Gräueltaten auf Deutschland in der Folge noch zukommen würde. Im deutschen Parlament, das dem Kriegseintritt zustimmen musste, gab es nur eine einzige Gegenstimme, die des Sozialdemokraten Karl Liebknecht, der deshalb später aus der SPD ausgeschlossen wurde und wegen Kriegsverrates zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen. Da ermordete ein junger „Hitzkopf“, in einer Gruppe von nur wenigen serbischen Nationalisten, den österreichischen Großherzog Franz Ferdinand und dessen Frau. Daraufhin wurde von Österreich-Ungarn dem kleinen Serbien der Krieg erklärt, dem Russland wegen eines Paktes zur Seite stehen musste. Deutschland stand wiederum neben dem Osmanischen Reich und dem Königreich Bulgarien der K.u.K-Monarchie Österreich-Ungarn zur Seite, und Frankreich wiederum Russland. Das British Empire verblieb nicht neutral, obwohl es weder an Russland noch an Frankreich durch einen Pakt gebunden war und wendete sich vor allem gegen das Deutsche Reich, das ihm viel zu mächtig geworden war. Letztlich traten an das British Empire gebundene Staaten wie Australien mit Expeditions-Corps in den Krieg gegen die Achsenmächte Deutschland und Österreich-Ungarn ein, wobei die USA durch versehentliche Versenkung ihrer Handelsschiffe durch deutsche U-Boote in den Krieg hineingezogen wurden. Während des Krieges verübten die Türken, von der Weltöffentlichkeit unbeobachtet, einen Völkermord an Armeniern mit über 1 Million Toten (1916/17). Zusätzlich traten Italien und Japan wegen Gebietsinteressen (Japan an der deutschen Kolonie Tsingtao auf dem chinesischen Festland) gegen Deutschland bzw. Österreich in den Krieg ein – insgesamt, ein Wahnsinn, wenn man an den Auslöser denkt. Historiker haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wer nun schuldig war an diesem Desaster und übersahen, dass es das latente Böse an sich war, das einmal unkontrolliert losgelassen eine Kettenreaktion entfachte.

Die Hölle auf Erden: Atombombenabwurf „Fat Man“ durch US Air Force, Nagasaki 9.8.1945, Ödland hinterlassend mit 64,000 unmittelbar zu Tode verbrannten Einwohnern (Collage, basiert auf Foto von Charles Levy, US National Archives & Records Administration, u. US government, public domain).

Der 1. Weltkrieg war jedoch nur ein „warm up“ des Bösen, gemessen an dem, was dann kam. Deutschland wurde ein Frieden aufgezwungen, als ob Deutschland an dem Krieg allein verantwortlich war - eine Schuld von der sich die Alliierten bis heute nicht freimachen können - und was sich rächen sollte. Hinzu kam eine Weltwirtschaftskrise mit galoppierender Inflation, die nach einem kulturellen Zwischenhoch in Deutschland in den „Goldenen 1920er“ den Weg ebnete für das Böse schlechthin, Adolf Hitler und seine Schergen. Ein simpler Gefreiter im 1. Weltkrieg, Österreicher, setzte sich mit seiner volksverführenden Demagogie und ausgefeilten Rhetorik an die Spitze des Deutschen Reiches. Die politische Macht wurde 1933 legal übernommen und mittels eines Ermächtigungsgesetzes und gewaltsamer Unterdrückung der KPD und SPD unter Zustimmung der bürgerlichen Zentrumsparteien, aus denen später einmal die CDU/CSU hervorgehen sollte, in eine Diktatur überführt. Ein ganzes Volk war dem Bösen ausgeliefert. Im Grunde konnte man alles, was dann geschah, vorhersagen. Denn es war in Hitlers Buch „Mein Kampf“ beschrieben. Es folgte ein Genozid an allem sogenannten unwerten Leben. Mit einem menschenverachtenden Euthanasieprogramm wurden 250.000 geistig und körperlich Behinderte vergast. 250.000 Zigeuner und politisch anders Denkende wurden systematisch Konzentrationslagern zugeführt und letztlich in Vernichtungslagern umgebracht. 7 Mio. Zivilisten und 3 Mio. Kriegsgefangene der Sowjetunion wurden massakriert. 1,8 Mio. polnische und über 300.000 serbische Zivilisten wurden umgebracht. Es wurde die größte Judenverfolgung organisiert, die die Welt je gesehen hat. Am 20.1.1942 fand die Wannseekonferenz statt, wo die „Endlösung“, d.h. Vernichtung aller europäischer Juden beschlossen wurde. Insgesamt vielen der Schoa 6 Mio. Juden nach entsetzlichen Qualen zum Opfer. Sie wurden erschlagen, erschossen und in Gaskammern massenhaft ermordet, Frauen, Kinder, ohne Gnade. Sie wurden als Ungeziefer bezeichnet. Wissenschaftler und Ärzte ließen sich einspannen, um die jüdische Minderwertigkeit zu begründen. Im Grunde kam es der Regierung unter Hitler primär darauf an, das Vermögen der Juden zu konfiszieren, um damit ihren Eroberungskrieg zu finanzieren. Wie konnte ein normal denkender Mensch nur im Entferntesten daran glauben, dass jemand minderwertig sei, nur weil er/sie einer anderen Religion angehörte, wobei die Nazis sowieso Atheisten waren. Man wollte es glauben, da Nicht-Juden davon profitierten, sei es, dass sie gute berufliche Positionen, die vorher von Juden eingenommen waren, übernehmen konnten, sei es, dass sie Vermögenswerte jüdischer Kaufleute billigst übernehmen konnten. Das Neckermann-Kaufhaus-Imperium, das bis über den 2. Weltkrieg hinaus bestand, konnte so seine Kaufhäuser entwickeln, weil es die Häuser der jüdischen Familie Wertheim billigst übernehmen konnte – ein Beispiel von vielen. Ich war glücklich als diese Kaufhauskette in den 70er Jahren durch Misswirtschaft und finalem Konkurs verschwand. Insgesamt forderte der 2. Weltkrieg über 50 Mio. Todesopfer, darunter 24 Mio., also fast die Hälfte, sowjetische Zivilisten und Soldaten. Es ist den Russen zu verdanken, dass Deutschland und die Welt von dieser Geißel der Menschheit, dem diabolischen Hitler, befreit wurde. Dies gelang aber nur unter Entstehung eines anderen grausamen Tyrannen, in ihren eigenen Reihen, Stalin.

Wer aber denkt, dass die Menschheit durch das unsägliche Morden im 2. Weltkrieg und den Nachkriegsjahren in der Sowjetunion kuriert ist, sieht sich getäuscht. Massaker zwischen Hindus und Muslims zwangen zur Auftrennung der früheren indischen Kolonie des British Empire in zwei unabhängige Staaten, Pakistan und Indien. Nach dem erfundenen Tonkin-Zwischenfall im Golf von Hanoi und der Beseitigung des pazifistisch orientierten U.S.-Präsidenten John F. Kennedy durch ein Attentat zettelten die USA einen jahrelangen Krieg mit Nord-Vietnam an, der zu grausamen Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten führte und in den Jahren 1964 – 1973 über 3 Mio. Tote, ganz überwiegend Vietnamesen, forderte. Darüber hinaus trugen über 1 Mio. Vietnamesen bleibende Schäden von dem von den US-Truppen eingesetzten, chemischen Kampfmittel „Agent Orange“ zur Entlaubung des Dschungels davon. Damals grassierte die „Domino-Theorie“. Wenn Süd-Vietnam in kommunistische Hand fiele, würde ein südostasiatisches Land nach dem anderen wie ein Dominostein umfallen und kommunistisch werden. Wie wir wissen war dies bis auf Kambodscha nach dem Sieg Nord-Vietnams über die U.S.A. nicht der Fall. Heute wird das gleiche Argument für den Eroberungskrieg Russlands in der Ukraine angewendet. Wenn die Ukraine fiele, würden die baltischen Staaten und Moldawien als nächstes an die Reihe kommen, ungeachtet dessen, dass die baltischen Staaten NATO-Mitglieder sind. Ein Angriff auf sie würde einen obligaten Weltkrieg zur Folge haben, den keiner der Konfliktparteien in Anbetracht der nuklearen Konsequenzen für die gesamte Menschheit ernsthaft beabsichtigen kann. Diese Theorien werden mutmaßlich von der internationalen Waffenindustrie gefördert. „It’s all about money“. Etwa zur gleichen Zeit wie der Vietnamkrieg fand die von Mao Zedong angestoßene Kulturrevolution in der Volksrepublik China statt (1966 - 76).  Wie unter der bösen Nazi-Herrschaft in Deutschland wurden Eltern und Großeltern von indoktrinierten Kindern wegen angeblich konterrevolutionärer Umtriebe denunziert und dadurch in KZ-ähnliche Lager deportiert. Es wird geschätzt, dass in China in diesen Jahren bis zu 70 Mio. Menschen den Umtrieben der Schergen Mao Zedongs zum Opfer fielen. Von Mao Zedong selbst, der trotz weitverbreiten Hungers in seinem Land durch seine große Leibesfülle auffiel, wird berichtet, dass er stolz war nie sein Genitale waschen zu müssen, da ihm regelmäßig die schönsten Frauen Chinas zugeführt würden und er dies „in ihnen“ bewerkstelligen könnte. Wie Stalin und Hitler war er in seiner unumstößlichen Vormachtstellung vom Bösen erfasst. 1975 - 79 wurden unter der kommunistischen Herrschaft des Pol Pot Regimes der roten Khmer in Kambodscha bis zu 2,5 Mio. Menschen ethnischer und religiöser Minderheiten, sowie politisch Andersdenkende durch Massenmorde, Folter und Hunger getötet. 1994 kam es zu einem entsetzlichen Völkermord in Ruanda, als die Mehrheit der Hutus die Minderheit der Tutsis in rund 100 Tagen durch Macheten abschlachteten oder zusammenschossen. Insgesamt starben in dieser kurzen Zeit des absolut Bösen auf den Straßen bis zu 1 Mio. Menschen. Im 3. Golfkrieg (2003 - 11), verursacht durch falsche Anschuldigungen der USA, dass Massenvernichtungswaffen im Irak entwickelt worden wären (die nie gefunden werden konnten), gab es mehr als 1 Mio. Opfer, hauptsächlich irakische Bürger, Soldaten und Zivilisten. Darüber hinaus ereigneten sich böse Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von US-Soldaten begangen wurden. So kann selbst ein demokratisches Musterland wie die USA leicht dem Bösen verfallen.

Werkzeuge des Bösen

Hannah Arendt (1906 – 75) hat im 20. Jahrhundert untersucht, wie sich das Böse entwickeln kann. Immer wenn Menschen sich organisieren, entstehen Machtstrukturen. Dabei ist häufig die „Banalität des Bösen“ erschreckend, ein ihr zugeschriebener Terminus, den sie aber eigentlich von ihrem Lehrer Karl Jaspers (1883 – 1969) übernahm, wobei Jaspers auf das „banal verbrecherische“ der Nazis abhob und sich gegen eine mystifizierte Dämonisierung der Nazi Schergen wandte.  Arendt hat aber durchaus recht. Das Böse versteckt sich gern hinter Normalität und Pflichterfüllung in einem amoralischen System oder maskiert sich durch eine blendende, verführerische Erscheinung. Alle schweigenden Mitläufer tragen Verantwortung. Auf reine Pflichterfüllung kann man sich nicht berufen. Die junge Sophie Scholl, eine der wenigen Widerstandskämpfer gegen das Böse an sich, den Faschismus in Nazi-Deutschland, hat dies noch prägnanter ausgedrückt.„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt (habt)!“ Denn Gleichgültigkeit ist ein Werkzeug des Bösen. Auch die Wissenschaften werden zur Zerstörung und Ermordung Hunderttausender von Menschen vom Bösen an sich missbraucht. Der Abwurf der beiden Atombomben auf die Zivilisten der japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki war wohl nach den Gräueln der Nazis, den politischen Säuberungen der Bolschewiken, der Kulturrevolution in der Volksrepublik China und den Massenmorden der Roten Khmer in Kambodscha das größte Verbrechen an der Menschheit, verursacht durch das reine Böse verkleidet in Ideologien, die sich gegen das Leben richten.

Das Böse ist nicht auszurotten. Es ist verborgen in uns allen als Teil der Entwicklung, nach Carl Gustav Jung (1875 - 1961) präsent im Unterbewusstsein jedes einzelnen als Schatten, dem Bösen jedes individuellen Menschen, dass es zu kontrollieren gilt. Es folgt dem Menschen wie sein physischer Schatten auf Schritt und Tritt und kann geprägt durch die Anima (beim Mann) bzw. Animus (bei der Frau), der vermittelnden psychischen Instanz zwischen Unterbewusstsein und Bewusstsein, aus den Tiefen des Unterbewusstseins ins Bewusstsein hervorgeholt werden. Wer hat nicht schon einmal einen bösen Gedanken gehabt? Aufgrund seiner umfassenden psychoanalytischen Arbeit war Jung von der Präsenz des Bösen überzeugt und sagte wörtlich: „es liegt im Bereich der Möglichkeit, dass man das Relativ-Böse seiner Natur erkennt, wohingegen es eine ebenso seltene wie erschütternde Erfahrung bedeutet, dem Absolut-Bösen ins Auge zu sehen.“ Die Sünde ist nichts anderes als die Expression des Schattens. Nicht durch Verdrängung des Bösen, sondern nur durch stetige Auseinandersetzung mit diesem durch starke Menschen und seiner Bändigung lässt sich das Böse auf der Welt kontrollieren.

Bei näherer Betrachtung des Bösen ist zu differenzieren: 1. Das Böse der Natur (z.B. Katastrophen, Seuchen und Krankheiten, zufällige Unfälle); 2. Das systemisch Böse (z.B. Sklavenhaltung, traditionelle, weibliche Genitalverstümmelung, Prostitutionszwang, Rassismus, Antisemitismus, Religionsfanatismus, totalitäre Ideologien); 3. Das zweckmäßige Böse (Zweck heiligende Mittel wie z.B. Folter bei der Terroristenbekämpfung, Lügen); 4. Das perverse Böse (z.B. Größenwahn, Pädophilie, Sodomie); und 5. Sadismus (z.B. Befriedigung durch Schmerz anderer, Vergewaltigung, Masochismus). Während einige Formen des Bösen allgemein als solches erkannt werden, ist gerade das systemisch Böse gefährlich, da es unterschiedlich oder von einzelnen Gruppen gar nicht als solches wahrgenommen wird. So wird die Kulturrevolution in der Volksrepublik China bis heute nicht als abgrundtief böse wahrgenommen. Dies wird vom fortwährenden Bösen in der Politik unterdrückt. Wir erleben derzeit gerade wieder ein Aufflackern des Antisemitismus von extrem rechten und linken politischen Gruppen, sowie Religionsfanatikern des Islam. Karl Jaspers fand drei Ebenen des Bösen: 1) moralisches Böses, manifestiert als Vernachlässigung moralischer Gesetze (basierend auf Kant, siehe unten); 2) ethisches Böses, manifestiert als Schwäche der Charaktere, oft entschuldigt als Alternativlosigkeit; und 3) metaphysisches Böses, als Ungleichgewicht zwischen Liebe und Hass, Sein und Nicht-Sein, Schöpfung und Zerstörung. Die erste Stufe erfordert die Kontrolle der Triebe, sei es der Machttrieb, sei es der Sexualtrieb. Auf der zweiten Stufe ist eine Stärkung des Charakters mit Hinwendung zur Wahrhaftigkeit und zum kategorischen Imperativ, unbedingt das Gute zu wollen, vonnöten. Auf der dritten Stufe muss man sich dem Willen zum Bösen entgegenstellen, sicher die schwierigste Herausforderung. Denn das Böse ist stark und übt eine große Anziehungskraft aus, wie in der populären Spielfilmserie „Star Wars“ für breite Massen so überzeugend durch „Darth Vader“ dargestellt, dem zur „dunklen Seite“ der Macht mutierten, naiven Anakin Skywalker. Es ist ein Archetypus, weshalb diese fiktive Filmerzählung neben der eingesetzten, wegweisenden Technik bis heute auf so viele eine so große Faszination ausübt.

Die Mittel des Bösen sind vielfältig. Es bedient sich der emotionslosen Gleichgültigkeit, der Angst, der Schmeichelei, der Verleumdung, Denunziation, Einschränkungen nicht-verhandelbarer menschlicher Grundrechte wie während der Corona-Krise, bis hin zur Täter-Opfer-Umkehr, wie wir es derzeit selbst auf höchster multinationaler Ebene, der UN-Organisation, bei inadäquater Kritik der Verteidigung Israels gegen einen bestialischen Terrorangriff durch Religionsfanatiker erfahren. Weitere Mittel des Bösen sind Heimtücke, List, Ruhmessucht, häufig als Ehrgeiz verschönert dargestellt, Eifersucht, Habgier, Neid, Hass, Machtgier und Wollust. Entscheidungsschwäche, Anarchie und das unkritische Herdenbewusstsein des „main stream“ sind ein nahrhafter Boden für das Hervorkommen und die Verbreitung des Bösen. Es kann sich leicht hinter übertriebener Freundlichkeit, in der Lüge und im Klatsch und Tratsch verstecken. Ein weiteres wichtiges Medium des Bösen ist die „Gleichschaltung“ aller Staatsorgane und der öffentlichen Meinung wie sie perfekt unter Hitler oder Stalin vollzogen wurde. Heute ist diese erkennbar in der Verteufelung alternativer Meinungen und der Abwehr einer pluralistischen Gesellschaft, die im Diskurs bestmögliche, gute Lösungen bei gesellschaftlichen Problemen erreichen will. Das Böse zeigt sich unverhohlen in der Begierde andere zu beherrschen, zu übervorteilen, zu beleidigen, und letztlich sich oder andere zu morden, leiden zu sehen. Wieviel Böses latent vorhanden ist, erkennt man daran, wie sehr die Masse „zivilisierter“ Menschen Krimi-Filme oder -Romane liebt, wo es in der Regel um Mord und Todschlag geht. Ich frage mich immer wieder, wie man sich daran unterhalten kann. Das Fernsehen ist voll von diesem menschlichen „Trash“. Ich glaube nicht, dass es sich dabei um eine schlichte Katharsis handelt, also das Ausleben von bösen Emotionen, die man im Alltag nicht erleben will. Denn eine Faszination dieser Krimi- oder Gewalt-Süchtigen ist nicht zu bestreiten. Ich habe einmal die Anzahl von Kriminalsendungen bzw. Filme, wo es um Gewalt geht, in der TV-Programmvorschau pro Woche gezählt und kam auf eine so erschreckend hohe Zahl (über 50%), dass ich nicht verwundert bin, dass die einfachen Menschen sich so von der Kriegstreiberei der „Grünen“ (Mitglieder einer früheren, politischen Umwelt-Partei)  und einer pseudo-liberalen Fr. Strack-Zimmermann (Lobbyistin der Waffenindustrie) der FDP mitreißen lassen und jedem der interessensdienenden Narrative zu Gunsten der Waffenindustrie in den Nachrichten unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks Glauben schenken - selbst einfachsten Lügen wie der sich „mitten in Europa“ abspielende Ukraine-Russlandkrieg. Ein orientierender Blick auf die Landkarte zeigt, dass sich dieser schreckliche Krieg am östlichen Rand Europas zwischen zwei früheren Sowjet-Republiken abspielt und nicht in der Mitte Europas, unabhängig davon, dass es sich um einen schrecklichen Angriffskrieg der russischen Armee handelt, und der russische Präsident Putin, vom Bösen erfasst, bis zum Schluss log, die Ukraine nicht angreifen zu wollen.

Das Böse ist nur selten so offensichtlich wie bei oben genannten totalitären Regimen und Kriegen. So versteckt, wie es in jedem einzelnen von uns ist, so versteckt und maskiert kommt es auch zum Vorschein. Denn selbst „gut“ und „böse“ sind relativ. Was der eine für gut hält, kann für einen anderen die Ausgeburt des Bösen sein. Eines der oben genannten Werkzeuge des Bösen, zum Beispiel die List, wird in der chinesischen Kultur als kluges Merkmal angesehen. Eine List für das Gute anzuwenden, könnte sicherlich ein Weg sein, um ein besseres Leben zu haben. In den meisten Fällen wird diese jedoch nur verwendet, um jemanden gegen seine Interessen auszunutzen. Das berühmteste Beispiel für eine List war das "Trojanische Pferd", das von Odysseus gebaut wurde, wie es in der Ilias von Homer im 8./7. Jhdt. v.Chr. beschrieben wurde. Es wurde von den Griechen verwendet, um die Trojaner zu täuschen und war entscheidend, um den Krieg gegen sie zu gewinnen. Die Trojaner dachten, dass das riesige, hölzerne Pferd ein Opfer der Griechen für die Götter war, um gute Winde für ihre Rückkehr nach Griechenland zu bekommen, nachdem sie erkannten, dass sie den Krieg gegen Troja nicht gewinnen konnten. So nahmen sie es stolz in ihre von hohen Mauern geschützte Stadt auf. Das Pferd war jedoch hohl und versteckte die stärksten griechischen Krieger. Nachts kamen sie heraus, töteten die trojanischen Wachen, setzten alles in Brand und öffneten die Tore der Stadtmauer, um dem griechischen Heer den Zugang zu ermöglichen. Danach töteten sie jeden trojanischen Bürger, den sie fangen konnten, einschließlich unschuldiger Zivilisten, Frauen und Kinder, die nichts mit dem Raub der Helena durch Paris zu tun hatten. Als Ergebnis dieser tödlichen und bösen List wurde Odysseus vom Schicksal auf eine ein Jahrzehnt lange "Odyssee" über das Mittelmeer geschickt, um endlich nach Hause zurückzukehren.

Nur sehr selten erfahren wir das absolut Böse, wie in der Gestalt Adolf Hitlers, der aber sehr gefühlvoll mit seinem Hund, einem Deutschen Schäferhund, umging und sich liebevoll von seiner Nichte mit seinem Spitznamen „Adi“ riefen ließ, seine böse Natur verbergend. Er hielt sich wahrscheinlich noch nicht einmal für böse, obwohl er die Inkarnation dessen war. Platon hat diesen relativen Charakter des Bösen in seinem Dialog „Menon“ herausgearbeitet, in dem Sokrates klar macht, dass niemand sich das Schlechte wünscht, es sei denn er wünscht sich, ein Unglückseliger zu sein.

Sokrates: „Meinst du, dass diejenigen, die glauben das Schlechte sei nützlich, auch erkennen, dass es schlecht ist?“

Menon: „Das glaube ich allerdings durchaus nicht.“

Sokrates: „So ist es also klar, dass diejenigen, die das Schlechte nicht kennen, auch nicht danach trachten, sondern sie begehren das, was sie für gut halten, während es dann freilich schlecht ist.“

Menon: „So scheint es.“

Sokrates: „Wer nun aber… das Schlechte begehrt und der Meinung ist, dass das Schlechte… Schaden bringt, … der erkennt doch wohl, dass er dadurch geschädigt wird?“

Menon: „Notwendig.“

Sokrates: „Aber glauben diese nicht, dass wer Schaden erleidet auch elend ist…?“

Menon: „Notwendigerweise...“

Sokrates: „Und die Elenden halten sie doch für unglücklich?“

Menon: „Ja, ich glaube.“

Sokrates: „Gibt es nun einen Menschen, der elend und unglücklich sein will?“

Menon: „Ich glaube nicht, Sokrates.“

Sokrates: „So will denn also keiner, Menon, das Schlechte, wenn anders er nicht elend und unglücklich sein will.“

Sokrates schließt also, dass Menschen, die das Schlechte bzw. Böse nicht erkennen, sich etwas Schlechtes bzw. Böses wünschen oder betreiben, weil sie es für etwas Gutes halten. Ich denke hier muss man weiter differenzieren. Gut bzw. schlecht für wen, im Allgemeinen, für einen selbst oder für einen anderen? Die Nazis wussten sehr wohl, dass die Juden unsäglich leiden mussten. Sie wussten sogar, dass die eigenen Schergen, die diese Gräuel unmittelbar ausüben mussten, in ihrer „Pflichterfüllung“ und blindem Gehorsam leiden mussten. So sprach der SS-Reichsführer Heinrich Himmler im Angesicht des Holocaust in seiner Posener Rede vor SS-Schergen 1943: „Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen … wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei … anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein … niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“. Sie taten es zum Wohl der Reinheit des genetischen Pools, zumindest gaben sie dieses vor. Bei der Vernichtung schwer geistig oder körperlich Behinderter traf dies wohl zu. Bei der Vernichtung der Juden spielten dagegen ökonomische Interessen die größte Rolle, was heute immer noch unterdrückt wird. Bei einem Sadisten befriedigt gerade die Qual des Anderen. Bei einer Vergewaltigung ist dem Vergewaltiger völlig klar, dass sein Gegenüber dies nicht will und nicht schön findet und tut es trotzdem, um sich zu befriedigen, entweder weil er ein Sadist ist oder sich nur befriedigen kann, wenn er Macht ausübt.

Für Baruch de Spinoza (1632 - 77) gab es kein absolut Böses oder Gutes. Er relativierte entsprechend dem Lebensprinzip der Relativität. In der Tat, was für den einen gut ist, kann für einen anderen schlecht sein. Für einen Missmutigen kann beschwingende Musik gerade recht sein, um ihn aufzumuntern, also gut sein, für einen Trauernden jedoch unpassend und schlecht, in seiner Trauerarbeit störend; für einen Tauben weder gut noch schlecht, da er sie gar nicht hören kann. Spinozas Originalwerk (Opera) ist in Latein geschrieben. Im Lateinischen steht „malus“ sowohl für „schlecht“, als auch „böse“. Die Unterscheidung muss aus dem Kontext getroffen werden, wobei er wie viele christliche Philosophen das „Böse“ verdrängt hat, und in der Regel „malus“ im Sinne von „schlecht“ anwendete. Sich mit dem Bösen zu beschäftigen war zu seiner Zeit höchst gefährlich, um nicht vor die Inquisition zu geraten. So definierte er sehr vorsichtig, gut sei das, „wovon wir gewiss wissen, dass es uns nützlich sei“, und böse (schlecht) sei das, „wovon wir gewiss wissen, dass es uns hindert, irgendeines Guten teilhaftig zu werden.“ Für ihn war es wichtig zu verstehen, dass Menschen Affekten unterliegen. Diese sind gemäß seiner Definition Affektionen des Körpers, wodurch dessen Leistungsvermögen erhöht oder vermindert wird. Heute würde man von Motivation oder Demotivation bzw. von Lust oder Unlust sprechen. Ein negativer, zum Bösen führender Affekt, kann nur durch einen entgegengesetzten Affekt mit mindestens gleicher Intensität aufgehoben werden. Das menschliche Unvermögen im Beherrschen der Affekte ist deren Knechtschaft des Zufalls. Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Zufälle bestimmen in den wesentlichen Dingen das Leben des Einzelnen. Warum verliebt man sich gerade in diese Frau, oder diesen Mann? Warum wählt man diesen Beruf und keinen anderen? Diese lebensentscheidenden Dinge unterliegen häufig dem Zufall. Dies schließt auch die Entwicklung zum Bösen mit ein. Warum wird der eine ein guter Mensch, während ein anderer vom Bösen erfasst wird? Freilich gibt es prädisponierende Faktoren. Adolf Hitler war nicht von Anfang an böse. Im Gegenteil, er hatte sich als junger Mann den schönen Künsten zugewandt, wollte an der Akademie in Wien Kunst studieren und wurde schmählich abgewiesen. Wladimir Putin wollte sich dem Westen annähern, wollte sogar Russland in die NATO führen, und wurde schmählich abgewiesen. Die einstige Weltmacht Russland wurde seiner Zeit vom naiven US-Präsidenten Barak Obama zur Regionalmacht degradiert, nicht wissend, dass verletzter Stolz Böses induzieren kann.

Selbst für einen selbst kann in einem Lebensabschnitt etwas, z.B. ein bestimmter Musikstil gut sein, so die hohen, harten Töne einer elektrischen Gitarre der Rockmusik, und im vorgerückten Alter eher quälend wirkend. Ich erinnere mich noch gut, wie ich die „fiependen“ Gitarrenklänge eines Carlos Santana in der Jugend mochte, die mir jetzt eher als etwas Verkrampftes vorkommen, als wenn jemand einen Orgasmus bekommen möchte, dies aber nicht kann. Jeder wird die Erfahrung gemacht haben, dass die Geschmäcker, also die Bewertungen „gut oder schlecht“ sich mit der Zeit verändern. Im Gegensatz zu Spinoza bin ich aber der Meinung, dass es tatsächlich etwas absolut Gutes und absolut Böses gibt, allein schon deshalb, um überhaupt eine Bewertungsskala zwischen den absoluten Polen denken zu können. Als das absolut Gute stellen sich die meisten abstrakt „Gott“ vor, und als das absolut „Böse“ den Teufel. In der Praxis ist das absolut Gute in der Liebe zwischen zwei Menschen repräsentiert. Es ist etwas Mystisches, eigentlich nicht Sagbares, weil jedes Wort das Gefühl verringern, die Absolutheit der Liebe relativieren würde. Das Gleiche passiert einem bei der Erfahrung des absolut „Bösen“, wie dem grausamen Abschlachten einer geliebten Person, was man mit eigenen Augen ansehen muss – massenhaft geschehen unter der Herrschaft des absolut Bösen in Nazi-Deutschland oder bei den Roten Khmer in Kambodscha. Diese Grausamkeiten sind unaussprechlich. Es ist das „radikal Böse“, wie es Hannah Arendt ausdrückte, dass man weder verstehen noch erklären kann. Sie übernahm den Ausdruck von Immanuel Kant, benutzte aber „radikal“ mit unterschiedlicher Bedeutung, nämlich im Sinne von „extrem“. Hier hat allgemein ein Wandel im Sprachgebrauch stattgefunden, während Kant dagegen auf die ursprüngliche Bedeutung abhob und „fundamental“ meinte, das Böse als integralem Bestandteil eines Menschen. In seiner Abhandlung „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ hat sich Kant wie nur sehr wenige Philosophen mit dem Bösen intensiv auseinandergesetzt. Es ist schon erstaunlich, dass Aristoteles (384 – 322 v.Chr.) in seiner umfassenden Abhandlung der Nikomachischen Ethik das Böse im Grunde gar nicht erwähnte. Für ihn gab es als Gegensatz zum Guten nur das Schlechte, die Schlechtigkeit (gr. kakia). Zum Beispiel wurde ein Übermaß an Lust von ihm als schlecht angesehen, weil eine übertriebene sexuelle Lust zu Wollust führt. Eine übermäßige Machtgier ist nicht nur schlecht, sondern verführt - aus meiner Sicht - zum Bösen. Macht muss immer kontrolliert („checks and balances“) und limitiert sein, sonst besteht die Gefahr das alles von ihr erdrückt wird, was zutiefst böse ist. Aristoteles, der seinen Schüler Alexander den Großen (356 – 323 v.Chr.) überlebt hat, hat sicher von dessen Bösartigkeit gehört, als er im Rausch und Streit seinen unbewaffneten Jugendfreund und Heerführer Kleitos mit einem Speer aufspießte (328 v.Chr). Wie anders, als vom Bösen im Affekt überrascht, kann dies geschehen sein? Als Alexander seine Untat klar wurde, wollte er sich selbst umbringen und musste von seinen Getreuen davon abgehalten werden. In der hellenistischen Welt wurde dieser Mord eingehend diskutiert, wobei man entweder Alexander oder Kleitos, der Alexander im Streit reizte, einen „Dämon“ zuschrieb.

Kant bestimmte einen Menschen nach drei Kriterien: 1) nach seiner „Tierheit“, den animalischen Trieben im Menschen; 2) nach seiner Vernunft; und 3) nach seiner Persönlichkeit, der Achtung moralischer Gesetze. Ich würde hier noch 4) Schönheit und 5) Stärke hinzufügen. Insbesondere Charakterstärke erachte ich als ganz wesentlich dem Bösen zu widerstehen, das einem nur selten offen gegenübertritt, sondern in der Regel verführerisch. Und Schönheit will naturgemäß das Hässliche, das Böse nicht, zumal gilt: mens sana in corpore sano (ein gesunder Geist ist in einem gesunden Körper). Als böse Entgleisungen des Menschen bzgl. 1) sah Kant Laster wie Völlerei und Wollust an, bzgl. 2) z.B. Egoismus, Eifersucht und Neid, und 3) Missachtung moralischer Gesetze. Wenn ein Mensch die Missachtung moralischer Gesetze in seine „Maximen“ aufnehme, bezeichnete Kant diesen als „bösen Menschen“ oder von „Natur aus böse“, wobei dies nicht angeboren, sondern immer durch eine entsprechende Sozialisation erworben ist. Dabei sah er Abstufungen, jemand der einfach labil sei, jemand der gemischt moralische und unmoralische Maxime aufnehme, und letztlich diejenigen, die einen „Hang“ zum Bösen mit Übernahme unmoralischer Maxime haben und durch Bösartigkeit („Verderbtheit“) gekennzeichnet sind. Sie repräsentieren das „radikal Böse“ der menschlichen Natur. „Dieses Böse ist radikal, weil es den Grund (das Fundament) aller Maximen verdirbt; zugleich auch…  durch menschliche Kräfte nicht zu vertilgen (ist).“  Ein Mensch ist böse, heißt bei Kant schon der, welcher lediglich gelegentlich unmoralische Gesetze in Kenntnis der Moral den Vorzug gibt. Der Mensch wird böse, indem er die moralischen Gesetze seiner Selbstliebe und ihren bösen Neigungen unterordnet. Die Selbstliebe ist nach Kant also die Quelle des Bösen, wobei die übersteigerte Selbstliebe, der Egoismus gemeint ist, der alles, auch die Moral unter seine Begierden stellt. Von einem gar „bösen Herz“ sprach Kant, wenn man gänzlich unfähig sei, moralische Gesetze in seinem Inneren, seinen Maximen aufzunehmen. Um ein moralisch guter Mensch zu werden, reicht es nicht, den Keim des Guten, der freilich dem Menschen inne ist, sich entwickeln zu lassen, sondern man muss auch die in „uns befindliche, entgegenwirkende Ursache des Bösen … bekämpfen“, was auf die Lehre der Stoiker zurückgeht. Das Mittel dazu ist die Tugend. Dabei ist die Bosheit, die mit seelenverderbenden Grundsätzen die Gesinnung untergräbt, ein gut versteckter, häufig unsichtbarer Feind, was das Böse so gefährlich macht. Das Gute und Böse sind „wie Himmel und Hölle zwei einander entgegengesetzte Prinzipien im Menschen“, ein Gedanke, der schon viel früher von Zarathustra und dem auf ihm aufbauenden Manichäismus präzise ausgearbeitet wurde (s. oben).

Später rückte Arendt vom Terminus des „radikal Bösen“ ab, wohl um die Mehrdeutigkeit des Wortes zu umgehen, und sprach dem Bösen jegliche Tiefe und Dämonie ab. Es wuchere nur an der Oberfläche. Arendt übersah aber, dass das Böse immer da war, von Urzeiten an, versteckt und maskiert, und immer an die Oberfläche kommt, wenn die gesellschaftlichen Situationen fragil sind, wenn es zu Umbrüchen kommt. Es ist radikal (lt. radix, die Wurzel) und hat seine Wurzeln bis in unser Unterbewusstsein. Es breitet seine ganze Wucht aus, wenn es integraler Bestandteil einer systemischen Ideologie wird, der sich alle Gesellschaftsmitglieder unterwerfen müssen, wie dies im 3. Reich Deutschlands oder in der Sowjetunion unter Stalin geschah und jetzt wieder unter Putin geschieht. Nur so kann das Böse seine ganze Kraft entfalten. Die gleichgeschalteten Individuen verlieren dabei jede Möglichkeit der Unterscheidung von Gut und Böse, wenn sie nicht über starke Persönlichkeiten verfügen. Und das sind nur wenige.

Die konzentrierte Nivellierung der Urteilskraft jedes Einzelnen und damit die antihumane Beseitigung der Individualität im Namen eines überhöhten Kollektivs (des „Volkes“, „Proletariats“, oder heute der „Klimaretter“) bezeichnete Ayn Rand (1905 - 82) im engeren Sinn als das „Böse“. Die heutige „political correctness“ in den Massenmedien ist ein eklatantes Beispiel dafür. Sobald die Medien gleichgeschaltet sind, wie bei der Berichterstattung während der Corona-Krise, oder jetzt bei der „Klimakatastrophe“ wird es für den Menschen gefährlich. Denn alternative Meinungen, die zur Wahrheitsfindung unabdingbar sind, werden nicht zugelassen. Ein Alarmzeichen ist die zunehmende Verbreitung eines „restricted code“ in der Sprache durch die Verwendung von „short messenger“-Systemen wie „WhatsApp“, was im Sinne der Herrschenden ist, um jedweder Urteilsfähigkeit von vornherein das Medium, eine differenzierte Sprache, wegzunehmen. Viele junge Menschen können heute gar keine größeren, zusammenhängenden Texte mehr verfassen. Mich erinnert dies an die bösen Vorahnungen von George Orwell in seinem Meisterwerk „1984“, in dem er diese gezielte Entwicklung einer rudimentären Sprache („Neusprech“) erschreckend genau beschreibt. Um den dem Menschen innewohnenden Aggressionstrieb im Zaum zu halten, muss die Kultur nach Sigmund Freud (1856 – 1939) alles entgegenstellen, was sie hat, einschließlich des christlichen Fundamentalgebotes „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, was der menschlichen Natur nach Eigenliebe und dem primären Naturgesetz nach Selbsterhaltung zuwiderläuft. Der Destruktions- oder Todestrieb des Menschen, der das irrationale Kriegsgeschrei der unkontrollierten Massen und der Kriegstreiber erklärt, ist auf Zerstörung aus und dem Sexualtrieb, der die Schöpfung will, entgegengesetzt. „Wenn die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluss des Destruktionstriebes ist, so liegt es nahe, gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen. Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muss dem Krieg entgegenwirken“, so Sigmund Freud in einem Brief an Albert Einstein im Jahre 1932.

Das Böse ist immer durch eine Ablehnung der herrschenden Ordnung gekennzeichnet, wie in Dostojewskis „Die Dämonen“ treffend beschrieben, durch Zerstörung und einer „terroristischen Einsamkeit“ innerhalb der Gesellschaft (Jean-Paul Sartre, 1905 - 80). Wie sonst kann ein Mann, ein Dschihadist, einen Lastwagen in eine unschuldige, feiernde Menschenmenge fahren und 13 Männer und Frauen töten - in dem Glauben den Anforderungen seiner das Böse predigenden, religiösen Anschauung gehorchen zu müssen (Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin am 19.12.2016, den ich mit meiner Partnerin wenige Tage zuvor besucht hatte)? Wie kann eine Gruppe von Terroristen Maschinengewehrfeuer auf unschuldige, tanzende Gäste im renommierten Club "Reina" in Istanbul am Silvesterabend 2016 eröffnen, den ich zusammen mit meiner Partnerin und ihrer brasilianischen Freundin ein paar Wochen zuvor besucht habe, wenn nicht von purem Bösen getrieben. Das ausübende Element des Bösen ist in der Regel kein dominanter Sadist, sondern ein charakterschwacher Mensch mit häufig erniedrigenden Erfahrungen und dem konsekutiven Bedürfnis nach Anerkennung, dem unsere Medien in ihrer Dümmlichkeit bereitwillig zu Diensten sind, indem die Meldung solcher terroristischen Anschläge weltweit verbreitet und dadurch dem minderwertigen Terroristen erst die Bühne bereitet wird. Wenn ein Terrorist wüsste, dass seine Taten gar keine Beachtung finden, wäre ihm bzw. ihr im Grunde die Motivation entzogen. Denn er/sie könnte dadurch gar keinen Terror, eine weitverbreitete Angst, mehr auslösen. Das Gleiche gilt in vielen Fällen für die vom Bösen getriebenen Amokläufer, wenn diese nicht einfach durch einen pathologischen Alkohol- oder Drogenrausch zu ihren boshaften Taten getrieben werden. Selbst der das absolut Böse verkörpernde Adolf Hitler war in seinem schrecklichen Größenwahn ein Mensch, der in seiner Sozialisation in Wien erniedrigende Erfahrungen machte. Er war kein 1,90 m großer, blonder, nordischer Hüne, sondern ein schmächtiges Kerlchen mit einer großen Klappe und in seinen späteren Jahren als Diktator von der Zitterkrankheit, einem essentiellen Tremor der Hände, geplagt.

Das Töten eines Menschen ist nicht einfach. Wenn man anonym auf einen Knopf drückt und dadurch eine todbringende Drohne in Gang setzt, mag die Überwindung eines inhärenten Widerstandes für einen normalen Menschen noch zu leisten sein. Aber auf jemanden mit den nackten Fäusten oder nur mit einem Messer bewaffnet los zu gehen, ist für einen Menschen unter normalen Bedingungen im Grunde nicht möglich. Deshalb war das Leitmotto der grausamen Roten Khmer: „Löscht eure Herzen aus!“ Die gehorsamen Gefolgsleute mussten lernen das Menschliche in ihnen zu überwinden. Sie wurden zu "System-Menschen", die ihre eigene Individualität aufgaben zugunsten eines vom System vorgegebenen Denken. Das Gleiche galt für die Nazi-SS-Schergen oder die Tscheka, Stalins Geheimpolizei, die vorgegebene Todeslisten gehorsam abarbeiteten. Böse Systeme bedienen sich also gehorsamer Mitläufer ohne eigene Urteilskraft, was unglücklicherweise die Mehrheit einer Bevölkerung ist, nämlich alle die leicht zu manipulierenden "Schafe" unter Männern und Frauen, die es vorziehen, etwas zu glauben, anstatt ihr Gehirn zum Beurteilen zu verwenden. Dieses Prinzip, das heute von allen Herrschenden - im Osten und Westen - verwendet wird, geht auf die alten Römer zurück, wie von Seneca wiedergegeben: „unusquisque mavult credere, quam iudicare“ (jeder will lieber glauben als urteilen). Wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen irgendeinem Job nachgehen, nur um ihre Existenz zu sichern, und dafür an 46 Wochen im Jahr mit Hin- und Rückweg 10 Stunden pro Arbeitstag über 40 Jahre Arbeitsleben aufbringen, raubt ihnen dies außerhalb notwendiger Schlafenszeit 15 Jahre und 9 Monate freies Leben. Es ist also kein Wunder, dass sich die meisten Menschen wie Sklaven benehmen, weil sie es de facto (obwohl nicht de iure) sind. Böse Systeme brauchen also gar keine Sadisten oder Psycho- bzw. Soziopathen für ihre Absichten, sie haben genügend „Sklaven“. Dagegen handelt es sich bei den Führungspersonen böser Systeme sehr wohl um Menschen mit gravierenden psychischen Krankheitsbildern, sei es Paranoia oder narzisstische Perversionen. Nach Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) kann ein sehr starker Wille, der nicht befriedigt werden kann, weil die erhofften Wünsche einfach realitätsfern oder sogar größenwahnsinnig sind, in Boshaftigkeit umschlagen. Hannah Arendt kam zu dem Schluss, dass die Fähigkeit zu denken und sich zu erinnern, wesentlich für die Moral und die Vermeidung des Bösen sei. Ich würde noch weiter gehen. Nur die Vernunft kann das Böse kontrollieren, das immer lauert. Schopenhauer stellte zurecht die Frage, warum der allmächtige Schöpfer in Anbetracht der Schönheit und Vollendung der physischen Welt nicht von vornherein das Böse eliminiert hat? Um das Böse zu beseitigen wurde die „Freiheit“ des Willens erfunden, der aber nicht frei und gerichtet ist, sondern ein blinder Drang, quasi die Essenz von allem, die Dinge an sich, die unsere Welt uns als subjektive Vorstellung, zu der auch das Böse gehört, erscheinen lässt.

Das Böse zu bekämpfen obliegt jedem einzelnen von uns. Der Evangelist Lukas sprach dies deutlich aus, indem er Jesus von Nazareth zitierte, als dieser auf die Frage der Pharisäer, „wann das Reich Gottes komme“, antwortete: „Es kommt das Reich Gottes nicht so, dass es zu beobachten wäre; man wird auch nicht sagen: seht hier ist es, oder dort! Denn seht, das Reich Gottes ist in eurer Mitte.“ (Lk 17, 20-21). Das Böse wird jedoch kontinuierlich verdrängt, als ob es nicht existent wäre, was dessen Absicht ist, um versteckt agieren zu können. Dabei ist unser ganzes Leben dualistisch aufgebaut, angefangen bei den subatomaren Elementen von Elektronen und Protonen bis zu Mann und Frau beim Menschen. Dualismus ist ein Lebensprinzip. Wir können nur etwas als hell wahrnehmen, wenn wir wissen, was Dunkelheit ist. Als schön können wir etwas bezeichnen, wenn wir auch seinen Gegensatz, das Hässliche, kennen. Genauso verhält es sich mit „gut“ und „böse“. „Gut“ ist ohne „Böses“ gar nicht vorstellbar. Wenn alles ununterscheidbar gut wäre, was wäre das? Alles, was wir moralisch bewerten, bewerten wir zwischen diesen beiden Polen. Das Gute und das Böse sind aber nicht nur abstrakte Begriffe, sondern beides manifestiert sich in menschlichen Handlungen, die beim Bösen bis zur Vernichtung anderer und zur Selbstzerstörung führen können. Es ist existent. Alles, was existiert, muss einen Grund seiner Existenz haben, selbst wenn es wie häufig der Zufall ist. Denn der Zufall ist ein wesentliches Mittel des Lebens. Wenn wir wissen, dass etwas existiert, dann fragen wir sogleich, warum es ist, und unserem Kausalitätsprinzip entsprechend, was seine Ursache ist. Wenn wir nicht genau wissen, ob etwas ist, wie die Zweifler an der Präsenz des Bösen, dann helfen vielleicht die Gedanken von Aristoteles weiter. Im Allgemeinen erhärten nach Aristoteles vier Gründe oder Kriterien, dass etwas existent ist: Wesen (was ist es?), Voraussetzungen (was sind die Ursachen, die dazu führen, dass dieses Unbekannte notwendig ist?), primäre Ursache (was hat es ursprünglich verursacht?) und Zweck (wozu ist es?). Das Wesen des Bösen ist klar, es ist Zerstörung, welche gegen alles Lebende und Bestehende gerichtet ist. Die Voraussetzung des Bösen ist die Existenz, das Sein, und dessen Ungleichgewicht. Die primäre Ursache des Bösen ist das Nicht-Sein, aus dem sich das Sein ursprünglich entwickelte. Der Zweck des Bösen ist die Wiederherstellung des Nicht-Seins und führt dadurch im besten Fall zu einem Gleichgewicht zwischen Sein und Nicht-Sein, einem immerwährenden Kreislauf.

Mit der Zeit kann sich durchaus verändern, was wir für gut oder böse halten. So waren Aristokraten in der Vergangenheit gut und wurden als edel, als Edelmänner bezeichnet, woraus sich das Wort adelig oder Adel ableitet. Später wurden diese während der französischen und russischen Revolution vom „einfachen“ Volk und aufgewiegelten Pöbel verfolgt und bestialisch ermordet, weil einfache Menschen zu lange unter deren Primat leben mussten. Diktaturen des Proletariats entstanden, die vom Bösen unterwandert, letztlich ihre eigenen Kinder fraßen und nach der französischen Revolution nur sehr kurz andauerte, nach der russischen rund 70 Jahre, um wieder in ein autokratisches System zu verfallen. Es ist ernüchternd wie beste Grundsätze bei notwendigen, gesellschaftlichen Umstürzen in Zeiten der Fragilität und des fehlenden Gleichgewichtes immer wieder von bösen Elementen innerhalb der Gesellschaft in ihr Gegenteil verkehrt werden können. Denn was ist aus den Grundsätzen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nach der französischen Revolution geworden? Es hat sich ein Kolonialismus mit grausamer Unterwerfung ganzer Völker Afrikas entwickelt. Die Menschen sind bis heute nicht einander gleich mit gleichen Chancen. Man muss sich nur in den tristen Vorstädten von Paris aufhalten, um sofort zu erkennen, wie gespalten die französische Gesellschaft bis heute ist. Was ist aus den kommunistischen Idealen eines Karl Marx in der früheren Sowjetunion und seinen Nachfolgestaaten geworden?  Marxens zentrale humanistische Idee war es, das Reich der Freiheit, die geistige Welt, vom Reich der Notwendigkeit, der materiellen Welt, weitest gehend zu befreien. Die geistige Welt jedes Einzelnen sollte frei sein in seiner Entwicklung und die materiellen Notwendigkeiten auf das Essentielle beschränkt sein. Es ist eine Utopie. In der Realität kann in Russland von geistiger Freiheit keine Rede sein.  Die überwiegende Mehrheit der Menschen vegetiert am Existenzminimum, während sich die herrschenden Cliques (Oligarchen und Politeliten) den Reichtum Russlands unter sich aufteilen und alle materiellen Freiheiten der Welt genießen, solange sie sich dem menschenverachtenden System unterordnen. Wie steht es in unseren so gepriesenen, so genannten demokratischen Systemen im „Westen“. Glaubt man wirklich, dass das mächtige Vorzeigeland U.S.A. von einem gewählten, altersschwachen und geistig verlangsamten Präsidenten regiert wird? Zugegeben – in demokratischen Systemen darf gewählt werden – aber nur die uns Vorgegebenen. In den USA sind dies lediglich zwei, einer schlechter als der andere. In Deutschland steht eine Negativ-Selektion von Politikern zur Wahl, deren Prädikat es ist durch böse Machenschaften zu intrigieren, im Hinterzimmer durch eigennützige Absprachen Opponenten auszuschalten, denen es nicht darum geht, die bestmöglichen Lösungen für Probleme zu finden, für das Allgemeinwohl zu sorgen, sondern die getrieben sind von nahezu wahnhaftem Egoismus als Quelle alles Bösen. Die öffentliche Meinung ist weitgehend manipulativ unter Kontrolle des Systems. Wer eine abweichende Meinung hat, darf diese im Gegensatz zu Russland oder China zwar äußern, muss aber damit rechnen gesellschaftlich isoliert zu werden, wie dies während der Corona-Krise erschreckend praktiziert wurde. Ein wirklicher Diskurs um die zukünftige Enzwicklung unserer Gesellschaft findet nicht mehr statt. Denn diese würde das Primat der politischen Parteien zugunsten einer direkten Vertretung aller Einzelbereiche der Gesellschaft in Frage stellen. Das Böse tritt gerade heute wieder offen zu Tage mit Schreien nach einem 3. Weltkrieg, der alles, was auf dieser Erde lebt, vernichten würde. Dann hätte das Böse seinen Willen erfüllt. - Nur mit Vernunft und Liebe können wir es aufhalten.

Die Inkarnation des absoluten Bösen: Lucifer, Gemälde von Franz v. Stuck, 1890. Öl auf Leinwand (161 x 153 cm), National Gallery of Foreign Art, Sofia

Versuch einer Definition

Das Böse ist ein Prinzip, das gegen das Leben an sich und alles Seiende gerichtet ist.

Es ist häufig versteckt, maskiert hinter einer vorgeschobenen, sogar manchmal reizvollen Fassade und tritt skrupellos zum Vorschein, wenn etwas aus dem Gleichgewicht kommt, wenn instabile Verhältnisse auftreten. Dies gilt im Allgemeinen wie beim Einzelnen. Jeder weiß, wie ungehalten man ist, wenn der Körper durch starken Hunger aus dem Gleichgewicht kommt. Es ist wie das Chaos, dessen Präsenz Teil der Natur ist - wie der prasselnde, chaotische Regen ohne jegliche Regelmäßigkeit zwischen dem anfänglichen, rhythmischen Tröpfeln und dem finalen, gleichmäßigen Regenguss. Es ist heimtückisch, voller List; es schmeichelt unserer Eitelkeit; es ist die Ruhmessucht, die Eifersucht, die Habgier, der Neid, der Hass, die Wollust. Es bedient sich der Gleichgültigkeit Unbetroffener, der Angst, der Entscheidungsschwäche, des unkritischen „main stream“. Es ist versteckt in übermäßiger Freundlichkeit, in der Lüge, im Tratsch und äußert sich in dem Verlangen, andere zu beherrschen, andere leiden zu sehen, andere zu übervorteilen, zu beleidigen, zu diffamieren, zu denunzieren und entfaltet seine ganze Kraft, wenn es zum System wird. Es schreckt vor keiner Grausamkeit zurück, nicht vor Folter, Mord oder Selbstmord. Es kennt kein Erbarmen, keine Gnade und wendet sich rücksichtslos auch gegen seine Protagonisten.

Das Böse ist immer da, ohne Anfang und Ende. Es ist wie ein schwarzes Loch im Universum, in das alles hineingesaugt wird, was ihm zu nah kommt und sich seinem Einfluss ausliefert. Aber man kann es kontrollieren, zumindest für sein eigenes Leben – mit Vernunft und Wissen, dass es existiert, so dass man in der Lage ist ihm fernzubleiben. Der Widersacher alles Bösen ist Eros, die Liebe, die ebenso zeitlos ist und überall, wo sie ist, Leben entstehen lässt. Es ist eine ebenbürtige Kraft, die dem Bösen, der Zerstörung, die Schranken weist. Wer liebt, kann das Böse vertreiben. Es kann die Liebe zu einem abstrakten Gott sein, oder zu Mitmenschen, zur Natur.

Am Ende aller Tage wird jedoch alles in einem gigantischen schwarzen Loch untergehen, aus dem ein gewaltiges Inferno wieder etwas ganz Neues entstehen lässt. Aufbau und Zerstörung sind in einem gigantischen, kosmischen Zyklus miteinander verbunden und stehen im Gleichgewicht. Denn nichts kann ungebremst „in den Himmel wachsen“. Es würde alles andere erdrücken. Dem Bösen kommt also, so grausam es ist, so grausam der Tod für das Leben und den Einzelnen ist, in der Natur durchaus eine regulatorische Funktion zu, auch wenn wir es aufgrund unseres religiös geprägten Wertesystems nicht wahrhaben wollen.

Empfohlene Literatur:

Altes Testament. Das Buch Hiob. In: Die Bibel. Dt. Bibelgesellsch., Stuttgart, 1984.

Arendt, Hannah. Elemente totaler Herrschaft. Europ. Verlagsanstalt, Frankfurt/M, 1958.

Arendt, Hannah. Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. Piper V., München, 2003.

Aristoteles. Lehre vom Beweis oder zweite Analytik. In: Philosophische Schriften, Bd. 1. Felix Meiner V., Hamburg, 1995.

Brilla, Christian. Die 12 Prinzipien des Lebens. Amazon eBooks, 2021.

Einstein, Albert und Freud, Sigmund. Warum Krieg? Diogenes V., Zürich, 1972.

Freud, Sigmund. Abriss der Psychoanalyse. Das Unbehagen in der Kultur. Fischer V., Frankfurt/M, 1976.

Goethe, Johann Wolfgang von. Faust. Der Tragödie 1. Teil. In: Goethe Werke, Bd.3. C.H. Beck V.; München, 1981.

Hesiod. Werke und Tage. Übers. & Hrsg. Otto Schönherger. Philipp Reclam, Stuttgart, 2007.

Jung, Carl Gustav. Aion. In: Gesammelte Werke, Bd. 9/II. Walter-V., Olten, 1980.

Kant, Immanuel. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In: Kant Werke IV.Wiss.Buchges. Darmstadt,1983.

Machiavelli. Der Fürst, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1972.

Nietzsche, Friedrich. Jenseits von Gut und Böse. Nietzsche Werke, Bd. 7. Alfred Kröner V., Leipzig, 1923.

Nietzsche, Friedrich. Genealogie der Moral. Nietzsche Werke, Bd. 7. Alfred Kröner V., Leipzig, 1923.

Orwell, George. Nineteen Eighty-Four. Penguin Books, London, 1954.

Platon. Menon. In: Sämtliche Werke, Bd. 2. Artemis V., Zürich, 1974.

Rousseau, Jean-Jacques. Abhandlung von dem Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen. J.B Metzler, Stuttgart, 2000.

Sartre, Jean-Paul. Entwürfe für eine Moralphilosophie. Rowolth V., Reinbek, 2005.

Schopenhauer, Arthur. Die Welt als Wille und Vorstellung. In Zürcher Ausgabe, Werke, Bd. 1. Diogenes V., Zürich, 1977.

Schopenhauer, Arthur. Die Welt als Wille und Vorstellung II. In Zürcher Ausgabe, Werke, Bd. 3. Diogenes V., Zürich, 1977.

Spinoza, Baruch de. Ethica. In: Opera, 2. Bd. Wiss. Buchgesellsch., Darmstadt, 1989.

Voltaire. Das Erdbeben von Lissabon. In: Voltaires Werke in zeitgemäßer Auswahl, 1.Teil. Otto Wigand V., Leipzig, 1854.

Der Stern von Bethlehem

21/12/2023

Eine schöne, aber auch fragwürdige Geschichte ist das – die Weihnachtsgeschichte. Da folgten drei Könige aus dem Morgenland einem hell leuchtenden Stern, der ihnen den Weg zum neugeborenen König der Juden wies. Liest man die wichtigste Quelle dieser Geschichte, das Evangelium nach Matthäus, so erfährt man, dass es sich um drei Magier und nicht Könige handelte (Mt 2,1-2). Später wurden daraus Könige gemacht, um die Geschichte zu verschönern. Denn Magiern haftet immer etwas Trügerisches an. Es sind Illusionisten, die uns etwas vormachen können, was nicht ist. Auf ihrem Weg kamen sie nach Jerusalem, dem Sitz des damals herrschenden Königs Herodes der Große, der erwiesenermaßen bis 4 v.Chr. lebte. Als dieser von den Magiern von der Geburt eines neuen Judenkönigs hörte, ließ er in der Folge alle Neugeborenen in Bethlehem meucheln, nachdem er erfuhr wohin die Magier weiterzogen – was für eine grausame Tat im Zusammenhang mit der Geburt des von Gott vorgesehenen Erlösers der Menschheit.

„Anbetung der Magier“ von Giotto, 1305, Fresko 2 x 1,85m, Capella degli Scrovegni; die wohl schönste Darstellung der Geburt Jesu.

Der Stern führte die Magier also nach Bethlehem, wo sie in das Geburtshaus Jesu gingen und dort das neugeborene Kind mit seiner Mutter Maria vorfanden, dem sie huldigten und ihre Geschenke darbrachten (Mt 2, 9-11). Weder von Joseph und schon gar nicht von einem anwesenden Ochsen und Esel ist bei Matthäus die Rede. Letztere wurden zur Ausschmückung der Weihnachtsgeschichte während des Frühchristentums einfach hinzugefügt. Dabei bezog man sich auf den Propheten Jesaja des Alten Testaments („Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“, Jes 1,3).  Auch dass es sich bei dem Geburtshaus Jesu um einen Stall gehandelt haben soll, wird bei Matthäus nicht erwähnt. Ein schwacher Hinweis dafür findet sich im Evangelium nach Lukas, wonach Maria das Neugeborene in eine Krippe legte, weil sie in einer Herberge kein Platz fand (Lk 2,7). Von der Anwesenheit von Ochs und Esel ist aber auch in diesem Evangelium keine Rede. Dafür wird eingehend berichtet, dass Hirten, die ihre Tierherden auf den benachbarten Weiden hüteten, von Engeln herbeigerufen wurden (Lk 2,8-16). Dies ist ein Beleg, dass Jesus nicht an einem 24. Oder 25. Dezember geboren wurde. Denn im Winter finden die Tiere in dieser Gegend kein Gras mehr auf den Weiden und werden in Ställen gehalten. In der Tat wurde das Geburtsdatum Jesu unter dem römischen Kaiser Konstatin I. im 4. Jahrhundert willkürlich auf den 25. Dezember festgelegt, wobei dieses höchste Christenfest offensichtlich mit dem damaligen traditionellen Fest des Sonnengottes Sol Invictus zusammengelegt wurde, was die Christen schon 275 unter Kaiser Aurelian beabsichtigten, um so die „Heiden“ besser für sich zu gewinnen.

Warum Jesus Geburtsort von den Evangelisten in Bethlehem verortet wurde, wird klar, wenn man weiß, dass dies die Stadt des glorreichen jüdischen Königs David ist, von dem Jesus nach den über Jahrhunderte wiederholten Prophezeiungen als ersehnter Messias des Judenvolkes obligat abstammen musste. Als Grund für die Reise nach Bethlehem wird von Lukas der vom römischen Kaiser Augustus angeordnete Reichzensus angegeben: „… dass der gesamte Erdkreis aufgezeichnet werde“ (Lk 2,1-7), dem zufolge sich alle Bürger Roms im gesamten Imperium Romanum erfassen lassen mussten. Dies fand nach Funden im Augustus- und Romatempel in Ancyra (Ankara) auch tatsächlich 8 v.Chr. statt, betraf aber nur Bürger Roms, was Joseph nicht war. Denn sonst hätte man seinen Sohn später gar nicht auf Verlangen der jüdischen Kleriker kreuzigen dürfen. Lukas verwechselt zudem den Reichzensus mit dem Provinzialzensus, die Erfassung aller männlichen Bewohner einer bestimmten Provinz, die das römische Bürgerrecht nicht besaßen. Diese mussten sich in ihrer Heimatstadt erfassen lassen. Allerdings fand dieser Zensus nur in römischen Provinzen statt, was Judäa (Bethlehem) und Galiläa (Nazareth) zur Zeit der Geburt Christi nicht waren. Sie waren Teil des jüdischen Königreiches von Herodes dem Großen, der als Vasall Roms bis zu seinem Tod 4 v.Chr. herrschte. Augustus schickte erst 6 n.Chr., also 10 Jahre später Quirinius als Statthalter nach Syrien, in das nach Querelen unter den Erben Herodes das Königreich Judäa kurz zuvor eingegliedert worden war. In der Tat wurde 6 n.Chr. ein Provinzialzensus in der gesamten, neu geordneten Provinz Syria durchgeführt, was zu dokumentierten Aufständen in Judäa führte. Josephs Geburtsstadt war Bethlehem. Er lebte aber in Nazareth, wo mutmaßlich auch Jesus geboren wurde. Denn im gesamten weiteren Verlauf seines Lebens spricht man nur von Jesus, dem Nazaräer. Wieso sollte auch ein gutherziger Mann wie Joseph seiner nur 12-jährigen, hochschwangeren und erstgebärenden Verlobten eine äußerst strapaziöse Reise über 156 km von Nazareth über unwegsame Pfade und Bergüberquerungen nach Bethlehem zumuten, zu Fuß oder auf dem Rücken eines Esels. Jeder, der einmal geritten ist, weiß dass dies im hochschwangeren Zustand nicht zumutbar ist. Zumal Frauen, die damals nicht zählten, vom Zensus gar nicht erfasst wurden. Joseph selbst soll nach der außerbiblischen Überlieferung der „Historia Josephi“ bei Jesu Geburt schon ein Greis von 80 Jahren gewesen sein.  Primäres Anliegen der Evangelien war einfach die Überzeugung der Juden, dass Jesus tatsächlich der Messias ist. Deshalb verwendete Matthäus auch 16 Psalmen am Anfang seines Evangeliums, um die direkte Nachkommenschaft von Jesus über Joseph, Salomon, David bis zurück nach Abraham über 52 Generationen zu zeichnen (Mt 1,1 – 16). Dabei ist er doch durch unbefleckte Empfängnis Mariens zur Welt gekommen, ist also gar nicht von Joseph gezeugt worden (Mt 1,18 -23), der zum Zeitpunkt der Geburt mit Maria lediglich verlobt war und dessen innerer Größe es zu verdanken war, dass er Jesus an Sohnes statt angenommen hat. Sollte man einigen vagen Überlieferungen glauben, dass Jesus mit einem Zwillingsbruder zur Welt kam, nämlich Thomas, einem seiner unmittelbaren Gefährten und Verfasser des von der Kirche unterdrückten Thomas-Evangeliums wird die Weihnachtsgeschichte total gesprengt.

Komet 1P/Halley, sog. Halleyscher Komet, am 8.3.1986. (W. Liller, NASA)

Welches war aber nun dieser außerordentliche Stern, der Jesus Geburt angezeigt hat? War es eine Supernova, war es ein leuchtender Komet oder eine Konjunktion mehrerer Planeten? Eine Supernova, d.h. das finale, helle Verglühen eines massenreichen Sterns am Ende seiner Lebenszeit war zuletzt mit bloßem Auge am Firmament 1604 sichtbar und strahlte sichtbar über ein Jahr lang, was eigentlich zu lang für das Anzeigen eines singulären Ereignisses ist. Als Komet kommt der periodische Halleysche Komet infrage, der der auf seiner langgestreckten Ellipsenbahn durch unser Sonnensystem alle 74 – 79 Jahre nahe genug an unserer Erde vorbeifliegt, so dass er mit bloßem Auge gesehen werden kann. Dies geschah Berechnungen zufolge auch 12 v.Chr. Jesu Geburt wird heute auf das Jahr 7 – 4 Chr. datiert. Alle vier Jahre müssen wir einen zusätzlichen Tag in unseren artefiziellen Kalender einbauen, da das astronomische Jahr (Umkreisung der Sonne) auf der Erde eben nicht genau 365 Tage, sondern 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden länger dauert. Eine auffallend geringe Diskrepanz von nur fünf Tagen über einen zurückliegenden Zeitraum von rund 2030 Jahren erscheint mit wechselnden Kalenderzählungen (“ab urbe condita”, d.h, seit der Gründung Roms 753 v.Chr., julianischer Kalender, gregorianischer Kalender) durchaus vertretbar. Da Kometen mythologisch eher mit negativen Ereignissen assoziiert werden, kam im Mittelalter die Hypothese auf, dass der Stern von Bethlehem auch durch eine Konjunktion (Überlagerung) von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische verursacht worden sein kann, die dann zusammen strahlen. Dies machte insofern Sinn, da Jupiter als der Königsplanet, Saturn für den „Planet des Volkes Israel“ stehe und das Sternbild der Fische als Symbol für das Land Judäa, in dem Bethlehem liegt, angesehen wurde. Kein geringerer als Johannes Kepler vertrat diese Ansicht, als er am Weihnachtsmorgen 1603 von seinem Fenster in Prag die Konjunktion von Merkur, Jupiter und Saturn am Firmament beobachtete und zurückrechnete, dass 7 v.Chr. Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische einander sehr nahegekommen sein müssen. Bei den Magiern aus dem Morgenland handelte es sich vermutlich um Sternkundige aus Babylonien. Funde von babylonischen Keilschrifttafeln geben jedoch keinerlei Hinweise, dass man seiner Zeit der Konjunktion von Jupiter und Saturn eine besondere Bedeutung beimaß. Diese wurde erst im Mittelalter so interpretiert. Vielleicht ist der Stern von Bethlehem aber auch nur eine Legende wie alle anderen Begleitumstände der Geburt Jesus von Nazareth. Matthäus primäres Anliegen seines Evangeliums war es, die jüdische Bevölkerung zu überzeugen, dass Jesus der so lange erwartete Messias war und seine Ankunft in Prophezeiungen des Alten Testaments mit dem Leuchten eines besonderen Sterns angekündigt sein sollte.

„Anbetung der Hirten“ von Rembrandt, 1646, Öl auf Lw 97 x 72 cm, Alte Pinakothek München; Christus als Quelle des Lichts ist imposant. Der Rest verschwindet im „Rembrandtschen Halbdunkel“.

Als gesichert ist festzuhalten, dass Jesus irgendwann in den Jahren 7 – 4 v.Chr. zur Welt gekommen ist, in Nazareth und nicht in Bethlehem, nicht an einem 24./25. Dezember, und dass zu dieser Zeit der Halleysche Komet, der mögliche „Stern von Bethlehem“, an der Erde vorbeiflog. Auffallend ist, dass die großen Denker des Frühchristentums, die Gnostiker, und zwar allesamt sich mit der Geburt Jesu Christi nicht befassten. Die Vorstellung, dass Gott seinen eigenen Sohn zur Erde schickt, der am Jüngsten Gericht, entscheidet welche Menschen aufgrund ihrer guten Lebensweise Gott in der Ewigkeit beiwohnen dürfen, geht bis auf den persischen Philosophen Zoroaster (Zarathustra, 630 -553 v.Chr.) zurück, der die erste monotheistische Religion entwickelte, und von dem gebildete Juden und Griechen ausreichend Kunde hatten. Die Geburt von Gottes Sohn als Mensch ist also kein Alleinstellungsmerkmal der christlichen Religion. Das Evangelium nach Lukas entstand etwa 70 n.Chr. Lukas ist Jesus nie begegnet. Er war ein gebildeter syrischer Arzt und enger Mitarbeiter des Apostels Paulus, der Jesus auch nicht direkt kannte. Matthäus, dessen Evangelium als das erste Evangelium bezeichnet wird, wurde erstmals 130 n.Chr. namentlich erwähnt. Matthäus selbst war bis zu seiner „Berufung“ Zöllner in Kapharnaum am See Genezareth und hat Jesus ebenfalls nicht persönlich gekannt. Beide Evangelisten haben alte Überlieferungen geordnet und mit der Absicht Nichtchristen zum Christentum zu bewegen, niedergeschrieben. So sind auch inhaltlichen Fehler bzw. fiktive Darstellungen erklärbar.

Die Weihnachtsgeschichte ist aber einfach zu schön, erweckt so viele Kindheitserinnerungen von Geborgenheit und Liebe, gut duftenden, frisch gebackenen Plätzchen und Tannengrün, den vielen Lichtern und Geschenken, dass man an sie einfach glauben will, so romantisch verklärt – und darauf kommt es an.

Shakespeare – „Not in Love“

5/11/2023

William Shakespeare (eigentl. nach der zu seiner Zeit in England üblichen Schreibweise „Shakspere“; s. seine eigene Signatur unten) gilt allgemein als einer der, wenn nicht der größte Dichter der Geschichte. Ich stimme damit nicht überein, trotz seiner ihm zugeschriebenen z.T. seitenlangen Gedichten (darunter die aus 154 Gedichten bestehenden „Sonnets“), 14 Komödien (darunter „A Midsummer Night’s Dream“), 10 Historien (darunter „King Henry VIII“), sowie 12 Tragödien, darunter „Hamlet, Price of Denmark“ und „Romeo and Juliet“. Auf letzteres werde ich weiter unten im Detail eingehen. Ich bin „not in love“ mit ihm, entgegen einem früheren Oscar-prämierten Film „Shakespeare in Love“ von 1998, und will die Gründe dafür darlegen.

William Shakespeare, Stich von Martin Droeshut, Titelblatt der 1. Gesamtausgabe seiner Dramen (1623), 7 Jahre nach seinem Tod

Shakespeare lebte in einer Zeit in England, als das Vereinigte Königreich sich unter Königin Elizabeth I. aus seiner Insel-bedingten Isolation befreite und sich mittels eines ungebremsten Kolonialismus zur Etablierung eines weltumspannenden Imperiums aufmachte. Damit einher ging die rasante Entwicklung einer Bourgeoisie, die nach immer mehr Unterhaltung lechzte. Was heute „Hollywood“ ist, war damals die Theaterszene in London. Dorthin trieb es den jungen Shakespeare. Wer war er?

Er wurde vermutlich am 23.4.1564 in Stratford upon Avon, einer kleinen Stadt in der englischen Provinz südlich von Birmingham, als Sohn eines Gutspächters geboren (sein in Lexika datiertes Geburtsdatum, 26.4.1564, ist sein Taufdatum). Sein Vater hatte es durch Fleiß und Einheirat in eine wohlhabende Bauernfamilie zu einigem Wohlstand gebracht. Er konnte dadurch William zumindest eine Basisausbildung in der für das einfache Volk zugänglichen Lateinschule am Ort ermöglichen. Dort müssen die klassischen Themen wie „Julius Caesar“ und „Antony and Cleopatra“ früh sein Interesse geweckt haben. Beides sollte ihn später veranlassen, diese wie andere Themen aus der Antike als Dramen zum Schauspiel zu bringen. Warum er die Schule abbrach, bleibt unklar. Er hatte sich zumindest nicht als exzellenter Schüler hervorgetan, der für eine weitere akademische Bildung in Betracht kam (z.B. an den seit 1096 bzw. 1209 zu großem Renommee gekommenen Universitäten in Oxford oder Cambridge). Dies erklärt auch seine rohe Sprache, die in seinen Originalwerken zu Tage tritt, und mir im englischsprachigen Original und in ihrer klassischen, eher poetisch-blumigen, aber ungenauen Übersetzung (1789-1810) durch August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) vorliegen. Die neueste Übersetzung durch Frank Günther (1947-2020), die sich mehr an der Rohheit der Worte Skakespeares anpasst, wirkt eher abstoßend und wird wohl deshalb weniger geschätzt, da sie der Illusion des überragenden Dichtertums Skakespeares widerspricht.

Shakespeare muss sich schon früh für das andere Geschlecht interessiert haben. Denn er hat schon mit 18 Jahren eine acht Jahre ältere Frau aus einer wohlhabenden Bauernfamilie geheiratet, mit der er zeitnah zur Heirat in 1582 drei Kinder haben sollte. Das erste Kind wurde bereits ein halbes Jahr nach der Trauung geboren. Bald nach der Geburt seiner jüngeren Zwillinge in 1585 musste Shakespeare wohl plötzlich aus seiner Heimatstadt fliehen, wobei als Grund Wilderei angenommen wird. Das Wild gehörte dem Lehensherren, einem Aristokraten. Das Jagen von Wild zum eigenen Verzehr war den Gutspächtern bei hoher Strafe untersagt. Letztlich kam es aber nie zu einem dokumentierten Gerichtsprozess. Vielleich war auch dem jungen Shakespeare das kleinbürgerliche Familienleben einfach zu erdrückend geworden, so dass es ihn in die Metropole nach London verschlug, wo es ihn seiner Neigung entsprechend zum Schauspiel hinzog. Namentlich als Mitglied einer Schauspieltruppe wurde er erstmals 1592 genannt, als er in einem Pamphlet als dichterischer Emporkömmling beleidigt wurde. Shakespeare war Schauspieler – aber nicht irgendein Schauspieler, sondern direkt vor Königin Elizabeth I. spielend und zuletzt von ihrem Nachfolger Jakob I. als „königlicher Schauspieler“ („King’s Men“) tituliert. Er und sein Schauspielensemble mussten nicht wie gewöhnliche Schauspieler umherziehen, sondern er war Teilhaber an zwei feststehenden Theatern in London, wo er seine Aufführungen höchst erfolgreich präsentierte.

Wie jeder Schauspieler wollte er seinem Publikum gefallen. Er spielte gern die seriösen Rollen von z.B. Königen. Dabei hatte er sich insbesondere durch das Abfassen der Libretti, beim Film würde man sagen der Drehbücher, hervorgetan. Denn in der Regel benutzte er bereits vorliegende Bücher oder überlieferte Sagen und gestaltete diese theatergerecht und publikumswirksam um. Seiner eigenen Fantasie oder Kreativität sind die wenigsten Werke entstanden. Bei den heutigen „Copyright“-Regeln wäre dies nicht mehr möglich. Von Dichtungen im eigentlichen Sinne, also was ursprünglich auf ihn zurückging, kann man bei den meisten Werken also nicht sprechen, insbesondere bei den später berühmtesten nicht. Er schrieb eigentlich nicht für die Nachwelt, signierte noch nicht einmal seine Werke, oder veranlasste ihre Publikation in seinem Namen. Seine Autorenschaft war ihm nicht so wichtig, die Umsetzung seiner Stücke und Ideen im Theater war es. Er wollte keine Weisheiten, die er gar nicht entwickeln konnte, mitteilen. Er wollte bestens unterhalten.

Damit machte Shakespeare regelrecht Karriere in London und brachte es zu einigem Reichtum, den er in Immobilien in seiner Heimatstadt investierte. Seiner Familie, die er jährlich besuchte, blieb er immer verbunden. Dort zog es ihn auch als 46-Jährigen 1610 wieder zurück. Denn irgendwann hatte er genug vom Schauspiel. Er war zweitreichster Mann seiner Heimatstadt geworden und konnte sich dort das zweitgrößte Haus leisten. Er schrieb seit seiner Rückkehr zur Familie auch nichts mehr Wesentliches – ein Beleg, dass er dies nur für das Schauspiel getan hatte. Kurze Zeit nach dem Besuch eines Schauspielerkollegen verstarb er dann plötzlich gerade 52-jährig nach reichlich Alkoholgenuss am 26.4.1616. Er war schon früh zu einem gebrechlichen Mann geworden, was seine zittrige Unterschrift unter sein wenig zuvor geschriebenes Testament zeigt. Seine ältere Frau überlebte ihn.

Shakespeares Unterschrift als „William Shakspere“ unter seinem Testament

William Shakespeare war also ein großartiger, wenn nicht bester Schauspieler seiner Zeit in England, vielleicht heute vergleichbar mit dem britischen Schauspieler Daniel Day-Lewis, der als einziger Schauspieler für seine herausragenden Leistungen 3-mal den Oscar als Hauptdarsteller gewann und sich zuletzt, satt von seinen Publikumserfolgen, aus dem Schauspielbetrieb zurückgezogen hat. Zudem war Shakespeare ein höchst erfolgreicher Schreiber von Theaterstücken, in denen ziemlich häufig viel Blut floss. Aber ist Shakespeare auch der „all-time“ beste Poet? Zur Klärung dieser Frage habe ich sein bekanntestes Werk näher betrachtet.

Romeo und Julia

Diese Tragödie, die später idealisiert in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingehen sollte, stammt gar nicht von Shakespeare. Es gab schon zuvor mehrere Fassungen in Italien, Frankreich und England. Die älteste stammt wohl von Masuccio di Salerno (ca. 1474–1476). Durch neue Eigennamen und zusätzliche Handlungselemente wie etwa die Balkonszene oder den doppelten Selbstmord am Ende erhält sie bei Luigi da Porto um 1535 ihre vertraute Gestalt. Als unmittelbare Vorlage diente Shakespeare die englisch publizierte Fassung „The Tragical History of Romeus and Juliet“ von Arthur Brookes aus 1562, von dem er zahlreiche Verse wörtlich übernahm. Shakespeares Verdienst war es lediglich eine für das Theater adaptierte, publikumswirksame Fassung zu erarbeiten, was er vermutlich 1594-1596 vornahm. Dabei komprimierte er die sich bei Brookes über 9 Monate erstreckende Liebesgeschichte aus dramaturgischen Gründen auf 5 Tage, was viele Abläufe unrealistisch erscheinen lässt. Aber darauf kam es Shakespeare nicht an. Denn das, was viele für eine echte Liebesgeschichte, wenn nicht den Prototyp einer tatsächlich so abgelaufenen Liebesbeziehung halten, ist reine Fiktion. Offensichtlich kommt es der Allgemeinheit gar nicht auf den Wahrheitsgehalt an. Die Illusion einer so großartigen, wenn auch tragischen Liebe ist entscheidend und hat im Verlauf der Geschichte zu vielen musikalischen Inspirationen und künstlerischen Bearbeitungen geführt. Das Ballett „Romeo und Julia“ von Sergei Prokofjew aus dem Jahre 1938 sei hier besonders hervorgehoben. Bis heute erfreut sich Shakespeares Theaterinszenierung großer Popularität. Man will diese grandiose Liebesgeschichte einfach glauben, auch wenn viele Details in der Geschichte einfach abstrus sind.

Statue der Julia (von Nereo Constantini, 1969) unter dem Balkon des Hauses der Familie Capulet in Verona. Der Balkon ist eine für Touristen erstellte Attrappe (von mir 2009 fotografiert).

Es ist also eine fiktive Geschichte, die in Verona und Mantua im 16. Jahrhundert spielt. Eine „Julia“ hat es im Stammbaum der Familie Capulet in Verona nie gegeben, obwohl sowohl die Capulets als auch die Familie Romeos, die Montagues, nicht ganz aus der Luft gegriffen sind. Diese verfeindeten Familien wurden schon bei dem ebenfalls aus Verona stammenden Dante Alighieri (1265 – 1321) erwähnt, dessen Geburtshaus ich 2009 wie das vermeintliche Haus der Julia besuchte. Welcher Hype sich aber um diese fiktive Liebestragödie später entwickeln sollte, ist eigentlich unfassbar. Shakespeare hatte schon ein Gespür dafür, nach was das Publikum sich sehnt. Selbst der berühmte Balkon aus der Balkonszene, wo sich Romeo und Julia in der Geschichte ihre Liebe zueinander gestehen, ist reine Attrappe, für Touristen als Fassade an das ehemalige Haus der Capulets angebaut. Die Statue der Julia, 1972 unter dem Balkon in dem kleinen Innenhof des Hauses aufgestellt, wurde zum Fetisch der Touristen, die sich durch Betasten der rechten Brust der Statue Liebesglück erhofften, aber nur ein Loch in der Statue verursachten, so dass die Originalstatue an einen anderen Ort verbracht werden musste. Jetzt steht dort eine Kopie. Mir ist es unbegreiflich, wie man sich derart einer unreifen Liebesgeschichte zweier Pubertierender hingeben kann. In der Geschichte ist Romeo gerade mal 16 und Julia 13 Jahre alt. Wie läuft die Geschichte ab?

Tag 1 (Sonntag, Liebe auf den ersten Blick):

Romeo ist noch in Gedanken an seine letzte Liebe, Rosalinde, als er zum Spaß mit Freunden eine Gesellschafts-Party der verfeindeten Capulets beiwohnt, die vom Vater Julias veranstaltet wird, um standesgemäß einen Edelmann, den Grafen Paris, an Julia heranzuführen. Junge Mädchen wurden damals früh verheiratet. Heute würde man von Pädophilie sprechen, oder Unzucht mit Minderjährigen, wenn man Mädchen in diesem Alter erwachsenen Männern zuführt. Häufig wurden solche Gesellschaftsabende in der Renaissancezeit in Italien mit Kostümen und Masken zelebriert, so auch dieser. Romeo erblickt dort Julia und verliebt sich auf den ersten Blick, gerade eben noch an eine andere denkend, wie das öfters Pubertierenden passiert. Er nähert sich ihr an, wird jedoch von ihrem Vetter Tybalt entdeckt, der ihn umgehend des Hauses verweisen will, da er nicht geladen war und zudem Sohn des Familienoberhauptes der aufs Schärfste verfeindeten Montagues ist. Warum der Vater Julias, der doch die Party nur zum Kennenlernen von Julia und Graf Paris veranstaltet hat, Tybalt daran hindert Romeo hinauszuwerfen und diesen sogar an Julia herantreten lässt, ist wohl nur der Logik Shakespeares zu verdanken. Völlig unglaubwürdig ist, dass Julia sich von Romeo im Sturm erobern und unter den Augen ihres Vaters und des um sie werbenden Graf Paris gleich zweimal spontan küssen lässt.

Im originalen Wortlaut heißt es, als Romeo zum ersten Mal zu Julia spricht (meine Übersetzung darunter):

Rom.  If I profane with my unworthiest hand

This holy shrine, the gentle fine is this,

My lips, two blushing pilgrims, ready stand

To smooth that rough touch with a tender kiss.

Jul.  Good pilgrim, you do wrong, your hand too much,

Which mannerly devotion shows in this;

For saints have hands that pilgrims’ hands do touch,

And palm to palm is holy palmers’ kiss.

Rom.  Have not saints lips, and holy palmers too?

Jul.  Ay, pilgrim, lips that they must use in prayer.

Rom.  O, then, dear saint, let lips do what hands do;

They pray, grant thou, lest faith turn to despair.

Jul.  Saints do not move, though grant for prayers’ sake.

Rom. Then move not while my prayer’s effect I take.

Thus from my lips, by yours, my sin is purg’d.

Kissing her.”

Rom: Wenn ich mit meiner unwürdigsten Hand

Dieses Heiligtum entweihe, ist dies die sanfte Strafe:

Meine Lippen, zwei errötende Pilger, sind bereit

Diese rohe Berührung mit zartem Kuss zu glätten.

Jul: Guter Pilger, du gehst fehl deiner Hand zu sehr zu schulden,

Welch anstandsvolle Hingabe sie doch zeigt;

Denn Heilige haben Hände für Pilger zur Berührung,

Und Hand in Hand ist der Pilger heilige Kuss.

Rom: Haben Heilige keine Lippen, wie heilige Pilger auch?

Jul: Ja, Pilger, Lippen sind zum Beten da.

Rom: Oh, dann liebe Heilige, lass Lippen es wie Hände tun;

Sie beten, gewähre, dass Glaube sich nicht in Verzweiflung kehre.

Jul: Heilige regen sich nicht, trotz Gewährung einem Betenden zuliebe.

Rom: So reg‘ dich nicht, derweil ich nehme, was erfleht.

So wird die Sünde meiner Lippen durch die deinen mir vergeben.

Sie küssend.

Was für eine forsche Annäherung Romeos, ohne Umschweife zum Ziel! Natürlich gestehen sich beide ihre gegenseitige Liebe in der berühmten Balkonszene am Abend nach der Party ein.

Tag 2 (Montag, heimliche Heirat):

Überstürzt lassen sich die beiden frisch Verliebten schon am Folgetag von Romeos Mentor, Pater Lorenzo, trauen – wegen der Familienfeindschaft im Geheimen, ohne ihre Eltern von ihrem Entschluss in Kenntnis gesetzt zu haben. Pater Lorenzo kommen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Absichten Romeos auf. Ihm ist dessen erst kürzliche Liebschaft mit Rosalinde wohlbekannt. Für den Pater ist es jedoch ein besonderes Anliegen, die verfeindeten Familien zu befrieden, so dass er den stürmischen Bitten nachkommt. Warum er die Verliebtheit der beiden Jugendlichen nicht benutzt und den beiden zu einer offenen Trauung unter Einbeziehung der Familien rät, wie es obligate Sitte war, bleibt wohl wieder nur der Logik Shakespeares überlassen. Die Hochzeitsnacht wird vollzogen, obwohl Romeo zuvor ihren geliebten Vetter Tybalt in einem kopflosen Streit, von diesem provoziert, getötet hatte und sich wegen dieses Totschlags in die Verbannung nach Mantua begeben muss.

Tag 3 (Dienstag, Lorenzos Plan):

Am Folgetag fordert Julias Vater unmissverständlich die Ehe Julias mit Graf Paris. Warum er es plötzlich so eilig hat, nachdem er doch gerade erst ihr erstes Kennenlernen so bedacht eingefädelt hat, abgesehen von der notwendigen Trauer um seinen Neffen, ist wohl Shakespeares unrealistischer Dramaturgie geschuldet. Auf Knien bittet Julia ihren Vater sie nicht zu vermählen. Er beschimpft sie übelst, als diese ablehnen muss. Julia bringt jedoch nicht die Ehrlichkeit auf ihrem Vater zu erklären, dass sie bereits heimlich geheiratet hat. Die Konsequenz ist, dass ihr Vater ihre Trauung mit Graf Paris sofort in die Wege leiten will. In ihrer Not kontaktiert Julia Pater Lorenzo, der als einzigen Ausweg die Vortäuschung eines Scheintodes Julias sieht, um die Sünde einer zweiten Heirat zu verhindern. Er gibt Julia einen Pflanzenextrakt, der sie nach dem Trinken für 42 Stunden in einen todesähnlichen Zustand versetzt, sie aber nach Beisetzung in der Familiengruft wieder aufwachen lässt. Es gibt sicher viele Drogen, die einen in Bewusstlosigkeit versetzen können. Es gibt jedoch keine Droge, die einen Scheintod mit Pulslosigkeit für so lange Zeit ohne Auftreten irreparabler Schäden auslöst. Bei fehlendem Puls treten innerhalb von 3 (warme Umgebungstemperatur) bis 30 min (sehr kalte Umgebungstemperatur) bereits irreparable Hirnschäden auf. Welcher Unsinn! Romeo soll durch eine Nachricht von diesem Plan in Kenntnis gesetzt werden und sie nach ihrem Erwachen in die Arme nehmen und nach Mantua entführen. Zu Hause angekommen, erfährt Julia von ihrem Vater, dass die Vermählung mit Graf Paris schon am Folgetag stattfinden soll. Also nimmt sie vor dem Schlafengehen den von Pater Lorenzo mitgebrachten Drogentrunk.

Tag 4 (Mittwoch, doppelter Suizid):

Am nächsten Morgen, dem Tag ihrer geplanten Trauung mit Graf Paris, wird Julia „leblos“ in ihrem Bett aufgefunden. Pater Lorenzo erscheint, um die Braut zum Traualtar abzuholen. Der „Festgemeinde“ bleibt nichts anderes übrig, als Julia zur Familiengruft zu bringen, um sie dort aufzubahren. Der vorgesehene Brautkranz dient nun in makabrer Weise als Dekoration für den Sarg. Schicksalshaft erreichte Romeo die Nachricht über die List des „Scheintodes“ nicht, dafür die Mitteilung eines Freundes, der bei der Beisetzung des vermeintlichen Leichnams Julias zugegen war. Romeo eilt noch des Nachts zur Gruft Julias, um sie noch ein letztes Mal zu sehen und führt einen Gifttrunk mit sich, den er sich zuvor bei einem Apotheker besorgt hatte, um an Julias Seite Suizid zu begehen. Als er in die Gruft hinabsteigen will, trifft er auf Graf Paris, der die Nacht an der Gruft wachen wollte. Es kommt zum Fechtkampf, in dem Romeo den von Julias Vater erwählten Bräutigam tötet. Erst jetzt kann er zur geliebten Julia, um Abschied von ihr zu nehmen, nicht wissend, dass sie nicht wirklich tot ist. Er begeht Suizid mit dem mitgebrachten Gifttrunk, um für immer mit ihr vereint zu sein. Als kurz darauf Julia aus ihrem Scheintod erwacht, erkennt sie nicht gleich Romeo, der neben ihr liegt, sondern Pater Lorenzo, der auch zur Gruft geeilt war, um bei ihrem Erwachen zugegen zu sein (Anmerkung: obwohl dies erst für den Folgetag zu erwarten war). Er will Julia mit sich nehmen und sie in einem Kloster verbergen. Dann sieht sie den toten Romeo neben sich liegen und begeht mit seinem Dolch ebenso Selbstmord. Erstaunlicherweise wirkte die Droge nur 24 Stunden statt der von Pater Lorenzo angegebenen 42 Stunden. Ursprünglich war die Hochzeit mit Graf Paris auch erst für den Folgetag geplant, was von Graf Capulet, Julias Vater, in seiner durch nichts zu erklärenden Eile - wohl aus dramaturgischer Sicht Shakespeares - vorverlegt wurde, dabei die Wirkung der Droge außer Acht gelassen. Ein handwerklicher Fehler Shakespeares, was das „timing“ angeht!

Tag 5 (Donnerstag, Versöhnung):

Mittlerweile hat der Page des Grafen Paris Wächter herbeigerufen, die im Fackelschein die drei Leichen finden und Pater Lorenzo festhalten, sowie Boten zum regierenden Prinzen und den betroffenen Familien der Capulets und Montagues schicken. (Anmerkung: Wieder verirrt sich Shakespeare in der Zeit, da er Julia als schon vor zwei Tagen begraben beschreibt, obwohl sie erst am Vortag beigesetzt wurde.) Im Morgengrauen eilen diese herbei und erkennen das schreckliche Geschehen. Pater Lorenzo wird vom Prinzen zur Rede gestellt, um von diesem die tragischen Liebe zwischen Romeo und Julia und seiner List zur Umgehung der erzwungenen zweiten Heirat zu erfahren, was letztlich zum Tode dieser jungen Liebenden führte.  Die Tragödie in all ihrer Tiefe verstehend versöhnen sich die verfeindeten Familienoberhäupter der Capuets und Montagues über den Leichnamen des Liebespaares, deren Liebe von so kurzer Dauer war. Graf Montague verspricht eine Statue Julias aus Gold zu errichten, damit jeder für alle Zeit an dieses tragische Geschehen erinnert sei. Und der Prinz schließt mit den Worten:

„For never was a story of more woe

Than this of Juliet and her Romeo.”

„Denn niemals gab es größ‘res Leid

Als das der Julia und ihres Romeos.“

Titelseite des ersten Drucks (1597) von Shakespeares „Romeo and Juliet“ ohne explizite Nennung des Autors

Was für eine konstruierte Liebestragödie zweier Kinder, noch viel zu unreif für die Liebe, im Chaos endend. Es sieht so aus, als ob Shakespeare die Liebesgeschichte ursprünglich für 6 Tage konzipiert hatte und diese dann um einen Tag verkürzte, weshalb sich die zeitlichen Fehler einschlichen. Während bei der Vorlage der Fassung von Brooke die Moral im Vordergrund steht, und der frühe Tod der beiden Liebenden als Strafe für ihre unkontrollierte Leidenschaft und Ungehorsam gegenüber ihren Eltern dargestellt wird, steht bei Shakespeare ganz die verklärte, romantische Liebe im Vordergrund, die schicksalshaft zum Tode beider führt. Wie bei vielen Dramen Shakespeares wird die Geschichte im Blut ertränkt – wahrscheinlich das, was das gemeine Publikum zur Unterhaltung damals wie heute sehen will. Romeos bester Freund Mercutio stirbt durch Tybalds Hand, der wiederum durch Romeo mit dem Degen erstochen wird. Graf Paris, der von Julia genarrte Bräutigam, wird von Romeo niedergestreckt, der sich dann selbst an der vermeintlichen Leiche Julias tötet, die sich dann nach Erwachen aus dem vorgetäuschten Tod mit seinem Dolch ersticht. Was für ein Theater!

Dass diese Geschichte überhaupt zu Weltruhm kam, lag in erster Linie an ihrem Befürworter Johann Wolfgang von Goethe, der Shakespeares Werke seit jungen Jahren an mit voller Inbrunst protegierte, nachdem diese eigentlich schon in Vergessenheit geraten waren („Zum Schäkespears Tag“, Rede des 22-jährigen Goethe am 14.10.1771 in seinem Elternhaus in Frankfurt/Main; in seinem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ beschäftigt sich seine Hauptfigur eingehend mit Shakespeares „Hamlet“). Freilich kannte er, selber der englischen Sprache unkundig (im o.gen. Redemanuskript noch nicht einmal Shakespeares Namen richtig wiedergegeben), nur die blumig-lyrische Übersetzung von Schlegels, der auch kein perfektes Englisch konnte, nie in einem englisch sprachigen Land gelebt hatte, so dass seine Übersetzung viele Fehler aufweist. Goethe war auch kein guter Analyst, was seine wissenschaftlich falsche Farbentheorie belegt. Das wirklich lyrische Genie seiner Zeit, Friedrich Hölderlin, hat er komplett übersehen und arrogant missachtet. Friedrich Schiller war jedenfalls von Shakespeares Werken ebenso wie ich nicht angetan.

Der Bedarf an Stoffen und Geschichten, wie „Romeo und Julia“ ist immerwährend. Es sind die großen Emotionen, Liebe („Romeo and Juliet“), Rache („Hamlet“) und Machtgier („Macbeth“), die Shakespeare publikumswirksam inszeniert hat. Es sind Emotionen, die uns zu Menschen machen, aber sicher keine unreife Liebe, die im doppelten Suizid endet, Rache, die durch einen Zauderer stümperhaft durchgeführt wird („Hamlet“), und Machtgier, die im Blutrausch endet („Macbeth“). Was früher dramaturgisch konstruierte Theaterinszenierungen für das allgemeine Volk waren, sind heute endlose „Soup Operas“ im Fernsehen. Ich halte es lieber mit echten Beziehungen, weniger dramatisch, dafür wirklich erfüllend.

"Siddhartha" - Wandlungen

8/10/2023

Dieser Roman, von Hermann Hesse 1922 geschrieben, steckt voller Weisheit, verdichtet in einem nur 120 Seiten langen, grandiosen Text. Er ist zeitlos. Ich habe ihn zum ersten Mal als junger Medizinstudent gelesen und jetzt als gereifter Mann erneut. Überhaupt habe ich Hesses Bücher, sein Gesamtwerk, in meinen jungen Jahren geradezu in mich eingesogen.

„Hermann Hesse“ by Andy Warhol, 1984, Acryl & Siebdruck auf Leinwand, 102x102 cm

Ich erinnere mich an meinen ersten Trip in die U.S.A. als 22-Jähriger zusammen mit meinem damals besten Freund, unserer gemeinsamen Freundin und ihrem wenig jüngeren Bruder. Wir mieteten in New York einen dieser „Straßenkreuzer“ und machten eine Tour quer durch die U.S.A. Es kam, wie es kommen sollte, wir mussten uns voneinander trennen. Eine Dreiecksbeziehung ist nie gut, zumal meine Gedanken einer anderen gehörten, die ich kurz zuvor kennenlernte und die nur ein Jahr später meine Frau werden sollte. In San Diego, ganz im Südwesten dieses faszinierenden Landes, verließ ich die Gruppe und reiste allein durch Mexiko – per Bus, was nicht ganz ungefährlich ist. Mein Gepäck lies ich zum größten Teil im Lagerraum einer YMCA-Herberge zurück und behielt nur eine kleine Ledertasche mit dem Nötigsten bei mir, darunter natürlich ein Buch Hesses, „Siddhartha“. Es sollte mich wenig später vor gefährlichen Menschen retten. Ich lag an einem dieser abgelegenen, schönen mexikanischen Strände. Es war brutal heiß, aber ich liebe die Sonne - bis heute. Und ich las Hesse.

Da kamen drei, verwegen aussehende, ebenfalls junge Männer auf mich zu, ein, wie sich herausstellen sollte, Argentinier, ein Mexikaner und ein US-Amerikaner. Sie waren Mitglieder einer „Gang“, die für Geld zukunftslose Südamerikaner in die U.S.A. schleusten und wohl schon alles gesehen und gemacht hatten, was es an Grausamkeiten gibt. Ein Menschenleben zählt bei diesen durch pure Gewalt gegangenen Menschen nichts. Mich hatten sie wohl als „Opfer“ ausgesucht, um ihr Bargeld aufzustocken. Aber sie stockten, kurz bevor sie mich erreichten. Denn sie erkannten mein Buch, dessen Autor mit großen Buchstaben „Hermann Hesse“ auf dem Einband leuchtete. Der Gringo sprach mich an: „Ah, you’re reading Hesse. Where you’re from?“ Eine „Brücke“ zwischen uns tat sich auf. Denn auch die beiden anderen Gang-Mitglieder waren neugierig geworden. Ihre unter den Hemden versteckten Waffen blieben mir nicht verborgen. Es entwickelte sich ein abtastendes Gespräch, bei dem sich herausstellte, dass der Argentinier das Sagen hatte. Denn er war gebildet, was er mir zeigen wollte. Er malte die Umrisse Europas in den Sand und kannte die wesentlichen Hauptstädte, obwohl er noch nie dort war. Das war weit mehr als Durchschnitts-Amerikaner mit Highschool-Abschluss wussten. Er genoss meine Anerkennung. Das Eis war dann vollends gebrochen, als ich bemerkte: „It isn’t important where you’re from or what you’re doing. It is only important what you really are.” Wir tranken eine Flasche Tequila zusammen aus und gingen wieder unserer Wege. Was für eine Begegnung zwischen Menschen, die unterschiedlicher nicht sein konnten – und Hermann Hesse als verbindendes Element.

Siddhartha von Hermann Hesse, verfilmt von Conrad Rooks, ausgezeichnet mit dem „Silbernen Löwen“, 33. Internat. Filmfestspiele Venedig, 1972

Hermann Hesse (1877 – 1962) war ein außerordentlicher Mensch. Er wuchs in intellektueller Umgebung zusammen mit acht Geschwistern in einer evangelischen Missionarsfamilie in Calw (Süddeutschland) auf. Er empfand die kleinbürgerliche Welt dieser Kleinstadt am Nordschwarzwald, wie auch sein aus Estland stammender Vater, immer als etwas Beengendes. Schon früh zeigte sich sein „Eigensinn“, dem er später ein ganzes Buch widmen sollte. So schrieb seine Mutter 1881 über ihn an seinen Vater: „der Bursche hat ein Leben, eine Riesenstärke, einen mächtigen Willen und … erstaunlichen Verstand für seine vier Jahre. Wo will’s hinaus?“ Die Familie war zu dieser Zeit für fünf Jahre ins schweizerische Basel übergesiedelt, um anschließend wieder nach Calw zurückzukehren. Hesse war von jungen Jahren an nie ein Mitläufer, nie „mainstream“, würde man heute sagen. Der in Deutschland aufkommende Nationalismus war ihm von Anfang an suspekt, seine Bücher im späteren Nazi-Deutschland nicht erwünscht. Nach bestandenem württembergischen Landesexamen als Voraussetzung für ein Pfarreramt besuchte er 1891 das evang.-theologische Seminar im Kloster Maulbronn, von dem er schon ein Jahr später floh, weil er „entweder Dichter oder gar nichts“ werden wollte, wie er später schrieb. Autobiographischen Aspekte aus dieser Zeit sind in seinem Roman „Unterm Rad“ (1906) zu finden. Später machte er nach reichlichen Wirrungen seinen Weg zu finden eine Buchhändlerlehre in der Universitätsstadt Tübingen (1895 – 1898), wo schon so viele große Persönlichkeiten lehrten, angefangen von Melanchthon im 16. Jahrhundert bis in die Neuzeit, wo Ernst Bloch, Hans Küng und Walter Jens wirkten, die ich alle noch als junger Student miterleben durfte und mich wie Hesse mitprägten. Mein kritischer Geist trat als junger Assistenzarzt kurz vor meinem Wechsel an die University of Chicago hervor, als ich auf einen Vortrag des allseits hoch verehrten Rhetorikers Walter Jens über Hermann Hesse in einem Leserbrief in der Tübinger Tageszeitung „Südwest Presse“ unter der Überschrift „Überkulturelle Wirkung“ reagierte:

„Unangenehm überrascht wurde ich von Jens Plädoyer für Humanität, das in einen befremdenden Vergleich von Hermann Hesse mit Thomas Mann mündete. Befremdend war der Vergleich dadurch, dass Jens das politische Engagement als Maß seiner Wertung wählte. Nicht nur dass Jens dadurch Humanität auf ein politisches Element reduzierte, sondern auch dadurch tragende Gedanken Hesses ignorierte.

So ist für Hesse das Überzeugenwollen oder -müssen (das politische Engagement) nur aus einer zutiefst „ungeistigen Haltung“ heraus denkbar. Er lässt dem anderen die Freiheit, von sich aus zur Überzeugung zu gelangen. Hesse zielt mit seiner klaren Sprachgewalt auf die innere Formung des Menschen, auf das Suchende, das erst zum Menschen werdende, die „conditio sine qua non“ der Humanität. Hesses Eigen-Sinn sollte Vorbild sein gerade für diejenigen (Vor-)Denkenden, die das politische Element ungebührend betonen, und sich in politischen Aktionen (Mutlangen) veräußern. (Anmerkung: Walter Jens nahm seiner Zeit an einer polit. Demonstration gegen den NATO-Doppelbeschluss zur Aufrüstung in Mutlangen teil.)

Hesse, in seinem Eigensinn durchströmt von Entschiedenheit und humanistischer Kraft, als „unentschlossenen Guru aus Schwaben“ zu bezeichnen, grenzt an Unverständnis seiner überkulturellen Wirkung. Aus diesem so pointiert klingenden und bereitwillig von der Presse aufgenommenen Attribut stimmt noch nicht einmal der Nachsatz „aus Schwaben“. Hesse verstand sich als Alemanne.“

Hermann Hesse im Tessin, oberhalb des Lago Maggiore, 1930 (Quelle: Süddeutsche Zeitung)

In der Tat wechselte Hesse 1899 nach Basel in die Schweiz über und wurde später Schweizer Staatsbürger. Er heiratete dreimal. Aus seiner ersten Ehe gingen drei Söhne hervor, die nach der Scheidung von ihm getrennt aufwuchsen. Seine zweite Frau spiegelte er in der Person Kamala im Roman „Siddhartha“. Seine gesamte zweite Lebenshälfte verbrachte Hesse mit seiner dritten Frau, einer Kunsthistorikerin, im wunderschönen Montagnola im Tessin bis zu seinem Tod. Er schrieb dort die meisten seiner gewaltigen Werke, für die er 1946 den Nobelpreis für Literatur erlangte. In der Laudatio der schwedischen Akademie hieß es: „für seine inspirierenden Werke, die mit zunehmender Kühnheit und Tiefe die klassischen Ideale des Humanismus und hohe Stilkunst verkörpern“. Bezeichnend für ihn und seine überkulturelle Wirkung war, dass er den Nobelpreis aus Respekt vor all denen, die diese höchste Ehrung erreichten, zwar akzeptierte, aber nicht persönlich in Stockholm entgegennahm. Er schob eine Krankheit vor, um dieser Ehrung zu entgehen. Äußerer Ruhm war für ihn nicht maßgebend. Seine Werke wurden in über 40 Sprachen und 12 indische Dialekte übersetzt, darunter das Gedicht „Stufen“ (1941), die Romane „Demian“ (1919), „Der Steppenwolf“ (1927), „Narziss und Goldmund“ (1930), „Das Glasperlenspiel“ (1943), und eben auch „Siddhartha“.

Siddhartha Gautama (Buddha, 560–480 v.Chr.), Statue in Bodhgaya, Indien, wo Buddha um 534 v.Chr. unter einem Bodhi-Baum die Erleuchtung erlangte

Der Titel „Siddhartha“ und damit der Name der Hauptfigur dieses indischen Romans, der im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. spielt, leitet sich vom historischen Vornamen Buddhas her. Es geht aber nicht um die Geschichte Buddhas. Hesse setzt mit dieser Bezeichnung lediglich den Rahmen des Romans. Der Roman handelt von den notwendigen Wandlungen zur Vervollkommnung eines Menschen. Diese Wandlungen werden als Hommage auf das wunderschöne Gedicht Hesses „Stufen“ in Stufen dargestellt.

1. Stufe: Siddhartha wuchs als Sohn eines Brahmanen im Kastensystem der Inder auf.

Anmerkung: Das Kastensystem, das bis heute in Indien, wenn auch nicht mehr so ganz starr, gelebt wird, kennt neben der Masse der „Unberührbaren“ (Dalits), der Unterschicht der Gesellschaft, vier Kasten (Varnas). Die unterste bilden die Knechte und Dienstleister (Shudras), ihnen übergeordnet sind die Bauern und Kaufleute (Vaishyas), darüber die Krieger, höheren Beamte und Fürsten (Kshatriyas), und letztlich als oberste Kaste der Gelehrten und Priester, die Brahmanen. Die indische Gesellschaft ist extrem horizontal aufgebaut, d.h. ein Aufstieg innerhalb der Kasten ist im Grunde nicht möglich, zumindest nicht in diesem Leben. Dies ist erst nach Reinkarnation in einem neuen Leben möglich, wenn man im jetzigen Leben Gutes geleistet hat.

Er ist also bereits in die höchste Kaste hineingeboren worden. Doch dies bedeutet nichts auf dem Weg zu einem vollkommenen Menschen. Freilich war es ihm vergönnt sich viel Wissen (über die Veden und Upanishaden) anzueignen. „Er übte sich … im Redekampf, … in der Kunst der Betrachtung, im Dienst der Versenkung … die Stirn umgeben vom Glanz des klar denkenden Geistes.“ Wo aber waren die Brahmanen, die Weisen, ihr Wissen nicht nur zu wissen, sondern auch zu leben? „Und wo war Atman zu finden, wo wohnte Er, wo schlug Sein ewiges Herz, wo anders als im eigenen Ich, im Innersten, im Unzerstörbaren, das ein jeder in sich trug?“

Anmerkung: Die Upanishaden, die ab 750 v.Chr. niedergeschrieben wurden, sind der Kern der indischen Philosophie. In ihnen wurde das Verhältnis der Einzelseele, Atman, zur Weltseele Brahman betrachtet. Letztere ist die sich in der Gesamtheit der Welt manifestierende, schöpferische Potenz, letztlich das Allumfassende, aus dem sich alles Sein entwickelt. Brahman ist von der Kaste der Brahmanen zu unterscheiden, deren Priester Brahman huldigen und diesen erst nach Vervollkommnung spüren können. Der Rig-Veda (Sanskrit veda, „Wissen, heilige Lehre“), die in der Frühzeit als brahmanisches Geheimwissen mündlich überliefert wurden, geht bis in das 12. Jahrhundert vor Chr. zurück.

Um Atman zu finden, musste Siddhartha sich trotz des Widerstandes seines Vaters von seinem Elternhaus trennen, musste sich auf seinen eigenen Weg machen. Nicht zurückblickend, hat er seinen Vater nie wieder gesehen.

2.Stufe: Er schloss sich zusammen mit seinem Jugendfreund Govinda den Samanas an, umherstreifenden Asketen, die in die Wälder gingen, um der Welt, um sich zu entsagen, gekennzeichnet durch entselbstetes Denken, um dem Wunder des Lebens offen zu begegnen. Das Mittel dazu ist die Meditation, das Leerdenken von allen Vorstellungen, das Entsagen aller Sinne. „Vieles lernte Siddharta bei den Samanas, viele Wege vom Ich hinweg lernte er gehen. Er ging den Weg der Entselbstung … tausendmal verließ er sein Ich… aber ob auch die Wege vom Ich hinwegführten, ihr Ende führte doch immer zum Ich zurück“. Siddhartha lernte alle Stärken eines Samanas in Perfektion, sogar ihre Ältesten überragend, die da sind: Denken, Genügsamkeit und Geduld.

Anmerkung: Geduld ist eine wichtige Tugend, an der auch ich lange üben musste. Die vielen „High Potentials“, die mir in meinem Leben begegneten, gaben alle zu, dass sie nur eines nicht hatten – Geduld. Sie kokettierten geradezu damit. Sie wollten immer mehr wissen, immer mehr verantworten und immer mehr besitzen. Im Grund ging es ihnen nur um Macht und Ansehen, um Geld und Prestige, was nicht selten in reine Habgier ausartet – immer reicher an äußeren Gütern werden wollen, auch auf Kosten anderer. Mitnehmen wird man davon nach dem Tode nichts.

3.Stufe: Siddhartha wurde zunehmend bewusst, dass die Flucht der Samanas vor dem eigenen Ich nicht der richtige Weg war. „Wir finden Tröstungen, wir finden Betäubungen, wir lernen Kunstfertigkeiten, mit denen wir uns täuschen. Das Wesentliche aber, den Weg der Wege, finden wir nicht“, sprach er zu Govinda. Als Siddhartha dies gewahr wurde, musste er sich von der Gruppe der Samanas trennen, mit denen er so viele Jahre zusammenlebte. Und auch dieses Mal folgte Govinda ihm. Sie begaben sich auf die Suche nach Gotama, dem erhabenen Buddha, der den Weg der Wege gefunden haben soll. Unter den vielen Samanas, die zum Buddha pilgerten, erkannte Siddhartha diesen sofort. „Der Buddha ging seines Weges bescheiden und in Gedanken versunken, sein stilles Gesicht war weder fröhlich noch traurig, es schien leise nach innen zu lächeln … sein Gesicht und sein Schritt … jeder Finger an seiner still herabhängenden Hand sprach Friede, sprach Vollkommenheit.“ Sie hörten seine Lehre aus seinem Munde. Die in sich ruhende Ausstrahlung Buddhas beeindruckte Siddhartha zutiefst, nicht aber dessen Lehre vom Leiden, von der Ursache des Leidens und seiner Erlösung.

Viele Samanas folgten Buddha, auch sein Jugendfreund Govinda, der ihm über so viele Jahre treu geblieben war und ihn bewunderte, bekannte sich zu ihm und musste weinend erkennen, dass Siddhartha diesen Weg nicht wählte und sich von ihm trennte. Er verstand die sich anbahnende, nächste Wandlung Siddharthas nicht. Am nächsten Morgen ging Siddharta in Gedanken versunken durch den Hain, in dem Buddha lehrte, und begegnete diesem plötzlich. Er fasste Mut und sprach ihn an: „Zusammen mit meinem Freund kam ich aus der Ferne her, deine Lehre zu hören. Und nun wird mein Freund bei den Deinen bleiben … ich aber trete meine Pilgerschaft aufs Neue an.“ „Wie es dir beliebt“, entgegnete Buddha. Siddhartha begründete seine Entscheidung: „… die Einheit der Welt, der Zusammenhang allen Geschehens leuchtet hell aus deiner erhabenen Lehre … Nun aber … strömt in diese Welt der Einheit etwas Fremdes … das vorher nicht war … das ist deine Lehre von der Überwindung der Welt, von der Erlösung. Mit dieser … Durchbrechung aber ist das ganze ewige und einheitliche Weltgesetz wieder zerbrochen und aufgehoben“. Buddha antwortete: „Ziel (meiner Lehre) ist nicht, die Welt für Wissbegierige zu erklären. … Ihr Ziel ist die Erlösung vom Leiden. Diese ist es, welche Gotama lehrt, nichts anderes.“

Anmerkung: Buddha ging davon aus, dass das Leben selbst Leiden ist, von der Geburt über die Mühsal der Arbeit, Trennung, Krankheit und Alter bis zum Tod. Dies wird verständlich, wenn man selbst die heutigen, abscheulichen Lebensverhältnisse der meisten Menschen in Indien mit eigenen Augen gesehen hat, so wie es sich mir auf meinen Geschäftsreisen durch Indien darbot. Buddha sah die Entstehung des Leidens im Haften an materiellen und nichtmateriellen Dingen. Denn nichts ist von Dauer, selbst das Ich ist vergänglich. Sein Ziel ist die Ichlosigkeit, womit er in der Tradition der Samanas steht, und in Vollendung die Erlösung durch Eingehen ins Nirvana, das Nichts, das aber eben Alles ist. Er weist auf einen achtfachen Pfad zum Nirvana hin: rechte Erkenntnis und Gesinnung (panna), rechtes Reden und Tun (sila), rechte Anstrengung und Achtsamkeit (sati), und letztlich rechte Konzentration und rechtes Leben (samadhi). Hesse verwendete entsprechend der ältesten buddhistischen Texte die Pali-Schreibweise „Gotama“ statt „Gautama“ (Sanskrit).

Aber für Siddhartha leuchtet der Zusammenhang allen Geschehens, die Einheit der Welt aus der Lehre Buddhas. Warum soll man davon erlöst werden? Erlösung erreicht man durch keine noch so gute Lehre, sondern nur durch das Beschreiten des eigenen Lebensweges. Er wollte ergründen, was letztlich zu der erhabenen Persönlichkeit, zur Erleuchtung Buddhas geführt hat. Er verabschiedete sich von Buddha mit den Worten: „Ich habe nicht einen Augenblick gezweifelt, dass du Buddha bist, dass du das Ziel erreicht hast, das höchste, nach welchem so viel tausend Brahmanen und Brahmanensöhne unterwegs sind. Du hast die Erlösung vom Tode gefunden. Sie ist dir geworden aus deinem eigenen Suchen, auf deinem eigenen Wege, durch Gedanken, durch Versenkung, durch Erkenntnis, durch Erleuchtung. Nicht ist sie dir geworden durch Lehre!“ Er ist sich klar, man muss erst sich finden, bevor man in die Weltseele Brahman eintauchen kann. Hesse übernimmt hier einen der Kernsätze präsokratischer Philosophie: „gnothi seauton – erkenne dich selbst“. Das Erwachen ist gekennzeichnet durch das Erkennen der Vielfalt, des Wesens in den Dingen, der Schönheit aller Manifestationen, und nicht das primäre Suchen der Brahmanen nach der Einheit, nicht durch die Flucht der Samanas von sich selbst und nicht durch Buddhas Lehre, die Welt mental zu verlassen, bevor man es tatsächlich muss.

4.Stufe: Siddharta begab sich also wieder auf Wanderschaft. Er sah die Welt nun mit anderen Augen. „Schön war die Welt … schön war der Mond und Gestirn, schön war Bach und Ufer, Wald und Fels … Blume und Schmetterling. Schön und lieblich war, so durch die Welt zu gehen, so kindlich, so erwacht, so dem Nahen aufgetan… Was er zu Gotama gesagt hatte, sein, des Buddhas, Schatz und Geheimnis sei nicht die Lehre, sondern das Unaussprechliche und nicht Lehrbare, dass er einst zur Stunde seiner Erleuchtung erlebt habe – und dies war es ja eben, was zu erleben er jetzt auszog... Sich selbst musste er jetzt erleben.“  Bisher war er ganz auf seine Gedankenwelt, auf seinen Verstand und Wissen fokussiert. Jetzt wollte er das Reich der Sinne erforschen. Ihm war klar geworden, dass beides, Verstand und Sinne, das Wesen des Menschen ausmachen, dass hinter beiden der Sinn des Lebens verborgen ist.

Er begegnete Kamala, einer wunderschönen und wohlhabenden Kurtisane, die ihn erotisch anzog. Ihr Mund war „wie eine frisch aufgebrochene Feige“, deren Süße und Zärtlichkeit er kosten durfte, nachdem er ihr einige für sie verfasste Verse vorgetragen hatte.  Auch er erregte durch sein „Anderssein“, seinen klaren Blick und sein Selbstbewusstsein ihre Aufmerksamkeit. Aber um sie zu besitzen, musste er sich äußerlich wandeln, feine Kleider tragen und Geld im Beutel haben, zum „Kindmenschen“ werden, für die Geld die Welt bedeutet. Er ging nach Vermittlung durch Kamala bei Kamaswami, dem reichsten Kaufmann der nahegelegenen Stadt, in die Lehre. Denn er konnte als Brahmanensohn freilich Lesen und Schreiben, was die allermeisten, auch Kamala, nicht beherrschten. Kamala gab ihm mit auf den Weg, nicht zu bescheiden aufzutreten, sonst würde Kamaswami ihn schnell als Diener missbrauchen. Er solle sich aber zu seinesgleichen entwickeln, sonst sei er ihrer nicht würdig. Siddhartha lernte schnell und entwickelte sich zu einem überlegenen Kaufmann. Er war beim Handeln von Waren sogar erfolgreicher als sein kaufmännischer Lehrer. Aber nur „bei Kamala lag der Wert und Sinn seines jetzigen Lebens“. Er handelte nicht nur mit Waren, sondern wurde auch zum gefürchteten Glücksspieler und verfiel zusehends dem Materialismus der Welt der „Kindmenschen“. Dafür führte Kamala ihn in das Reich der Sinne und Wollust ein und unterwies ihn in alle Spielarten der Erotik. Mit echter Liebe hat dies aber nichts zu tun. Für Kamala war es die Ausübung der Kunst der körperlichen Liebe, und für ihn das Erlernen. Er verstand sich aber auch gut mit ihr, besser als mit seinem früheren Freund Govinda. Einmal sagte er zu ihr: „Du bist wie ich, du bist anders als die meisten Menschen. Du bist Kamala, nichts anderes, und in dir innen ist eine Stille und Zuflucht, in welcher du zu jeder Stunde eingehen und bei dir daheim sein kannst. Die meisten Menschen sind wie ein fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und taumelt zu Boden. Andere aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste Bahn, … in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre Bahn“. Letztlich hatte die Welt ihn aber eingefangen, die Lust, die Begehrlichkeit, die Trägheit, und zuletzt auch noch … die Habgier.

Siddhartha wandelte sich in das ganze Gegenteil eines sich selbst entsagenden, genügsamen und geduldigen Samana, in einen rastlosen von Geld und äußeren Vergnügungen getriebenen Menschen, auf die er früher nur herabsehen konnte. Als ihm dies gewahr wurde, regte sich Abscheu in ihm. „Einzig Kamala war ihm lieb, war ihm wertvoll gewesen aber war sie es noch? Brauchte er sie noch, oder sie ihn? Spielten sie nicht ein Spiel ohne Ende? … Dieses Spiel hieß Sansara, ein Spiel für Kinder…“.

Anmerkung: Sansara bezeichnet im Hinduismus und Buddhismus den immer wiederkehrenden Kreislauf von Geburt, Dahinvegetieren, Tod und Wiedergeburt, die leidvolle Welt, aus der der Buddhismus zu befreien versucht. Der Name „Kamala“ ist abgeleitet vom hinduistischen Gott der Liebe, Kama.

Siddharta wusste, dass das Spiel für ihn zu Ende war. Er saß in seinem Lustgarten und ging, verließ alles, was er besaß, und ward nicht mehr gesehen. Kawasami ließ nach ihm suchen, in der Sorge, ihm sei etwas zugestoßen. Aber Kamala wusste, Siddhartha war auf dem Weg zur nächsten Stufe seiner Entwicklung.

Er empfand so große Abscheu vor sich selbst, vor dem, was er geworden, dass er an eine notwendige Selbstzerstörung glaubte, an den Freitod. Denn wo war der Brahmane geblieben, wo der Samana, wo der Reiche? „Schnell wechselt das Vergängliche.“ Er erreichte den Fluss, über den er einst zu Kamala kam, und wollte sich in dessen Fluten stürzen. „Eine schauerliche Leere spiegelte ihm aus dem Wasser entgegen, welcher die furchtbare Leere in seiner Seele Antwort gab. Ja, er war am Ende. Nichts mehr gab es für ihn, als sich auszulöschen…“. Er fiel am Flussufer, an den Wurzeln eines Kokosbaumes, in einen tiefen Schlaf, aus dem ihn das „Om“, dieses magische Wort der Brahmanen und Buddhisten, erweckte und rettete. Wie bei Buddha erreichte ihn die Erleuchtung unter einem Baum. Mit einem Male erwachte die Liebe in ihm, die Liebe zu allem.  Dieses Fehlen der Liebe, trotz seines Wissens, aller Vergnügungen und Wollust, hatte ihn krank gemacht und in tiefer Depression fast zum Selbstmord geführt. Aber dieser Verfall war Voraussetzung für seine Auferstehung, sein Erwachen zu einem geläuterten Menschen. Keine Lehre hätte dies vermocht. Er musste es erleben. Er hatte sich so sehr verändert, dass selbst der Mönch Govinda, sein Jugendfreund, der ihn zufällig schlafend fand und über ihn wachte, nicht erkannte.

„Om“-Zeichen (Sanskrit), das Vollkommene, die Gegenwart des Absoluten kennzeichnend

5. Stufe: Erst nach dieser letzten Wandlung, nachdem er den Abgrund gesehen hatte, war er in der Lage, dem stetigen Wandel zu lauschen, dem Geheimnis des Lebens, versinnbildlicht durch den Fluss, in dem er sich eigentlich ertränken wollte – der Fluss, der immerzu floss, und doch immer da war, allezeit derselbe, eben der Fluss, und doch immer wieder neu. Ein einfacher Fährmann, Vasudeva, wurde zu seinem letzten geistigen Führer – nicht ihn belehrend, sondern zuhörend. Es war der gleiche Fährmann, der ihn schon vor 20 Jahren bei seiner Reise ins weltliche Leben über den Fluss brachte, und jetzt wieder zurück ins geistliche Leben half. Auf Siddharthas Frage, ob es nicht schön sei am Fluss zu arbeiten und zu leben, antwortete Vasudeva bescheiden: „Aber ist nicht jedes Leben, jede Arbeit schön?“- Auch ich machte als junger Medizinstudent diese Erfahrung, dass innerliche Tiefe eines Menschen nicht an einen äußerlich großartigen Beruf gekoppelt ist. Ein einfacher Landschaftsgärtner, den ich bei meinem Krankenpflegepraktikum als Patienten kennengelernt hatte, hatte eine solche Tiefe. Er fiel mir auf durch die Bücher auf seinem Nachttisch – Platon. Wie viele tiefe philosophische Gedanken konnten wir austauschen. Sein Vorname war Immanuel. Den Zweitnamen meines zweiten Sohnes benannte ich nach ihm und nicht nach Immanuel Kant, der mich damals auch fesselte.

Anmerkung: Hesse entlehnt den Namen „Vasudeva“ aus der indischen Mythologie. Vasudeva ist in allen Dingen und alle Dinge sind in ihm. Er wird als Vater Krishnas wie als Schöpfer der ganzen Welt angesehen.

Siddhartha lebte jetzt beim Fährmann am Fluss und teilte seine Gedanken und sein Tageswerk mit ihm. Sie wurden weithin bekannt, als Weise, als Heilige, wobei die „Kindmenschen“ häufig enttäuscht waren, wenn sie ihrer äußeren Einfachheit begegneten. Eines Tages erreichte die beiden die Kunde, dass Gotama, Buddha, dem Sterben nahe sei, so dass viele Pilger an den Fluss kamen, um zu ihm zu gelangen. Darunter war auch Kamala, die sich nach dem Zusammensein mit Siddhartha auch gewandelt hat und der Lehre Buddhas folgte. Ihr Kind, ein 11-jähriger Knabe, begleitete sie. Als sie sich am Fluss ausruhte, wurde sie von einer Giftschlange gebissen. Auf ihre Hilferufe kam Vasudeva herbei und trug sie ins Haus, wo Siddhartha seine frühere Geliebte gleich erkannte, und dass ihr Sohn auch der seine war. Auch sie erkannte ihn: „Du bist alt geworden, Lieber… aber du gleichst dem jungen Samana … viel mehr, als du ihm damals glichest, als du mich und Kamaswami verlassen hast… deine Augen … ganz anders sind sie geworden. Du hast es erreicht … du hast Frieden gefunden? … Ich sehe es.“ Sie dachte daran, dass sie Gotama, das Gesicht eines Vollendeten sehen wollte. Statt seiner hat sie Siddhartha wieder gefunden. Und es war „ebenso gut, als wenn sie jenen gesehen hätte. Sie wollte es ihm sagen, aber die Zunge gehorchte ihrem Willen nicht mehr. Schweigend sah sie ihn an, und er sah in ihren Augen das Leben erlöschen. Als der letzte Schmerz ihr Auge erfüllte und brach, … schloss sein Finger ihre Lider“, ganz nah über sie gebeugt. Auch sie hatte Frieden gefunden. „Das Gefühl der Gegenwart und Gleichzeitigkeit durchdrang ihn völlig, das Gefühl der Ewigkeit. Tief empfand er, tiefer als jemals, in dieser Stunde die Unzerstörbarkeit jedes Lebens, die Ewigkeit jedes Augenblicks.“

Die Erziehung seines Sohnes oblag nun Siddhartha. Er war so nachsichtig mit ihm, wie es nur ging. Denn der verwöhnte Knabe war anders aufgewachsen, fühlte sich in der Einsamkeit und Genügsamkeit nicht glücklich, verstand sich mit seinem Vater überhaupt nicht, beschimpfte und demütigte ihn. Siddhartha war so glücklich einen Sohn zu haben, und ließ dies alles mit Güte und Nachsicht geschehen. „Wohl spürte er, dass diese … blinde Liebe zu seinem Sohn eine Leidenschaft, … dass sie Sansara sei, eine trübe Quelle, ein dunkles Wasser.“ Er musste loslassen, musste einsehen, dass sein Sohn seinen eigenen Weg gehen muss, der ihn eines Nachts ohne Abschied verließ – so wie er damals seinen Vater verlassen musste. Siddhartha litt sehr an dieser letzten Prüfung, suchte ihn vergebens im Wald, ging den ganzen Weg zurück bis zu den Toren der Stadt, zum Lustgarten, wo er einst mit Kamala lebte und sah seine ganze Entwicklung vor seinen Augen ablaufen. Vasudeva brachte ihn letztlich zurück. Es war getan – die schwerste Prüfung, von seinem Kind loszulassen. Es wurde nie wieder darüber gesprochen. Hesse spiegelt in diesem schwierigen Vater-Sohn-Verhältnis sein eigenes Verhältnis zu seinen Söhnen, die in der Fremde ohne ihn aufwuchsen, zu denen er nie eine wirklich herzliche Beziehung entwickeln konnte.

6. Stufe: Siddhartha lernte seine letzte Lektion, Zuzuhören, „das Lauschen mit stillem Herzen, mit … geöffneter Seele … ohne Wunsch … ohne Urteil …“. Einfach an dieser wunderschönen Welt teilzuhaben, ohne Begehren und ohne zu beurteilen, zu katalogisieren – dies können nur ganz wenige. Dabei hörte er in den tausenden Stimmen des Flusses das heilige Wort „Om“, den Zusammenhang von allem. Es ist die versteckte Stimme des Lebens, alles Seienden, des sich wandelnden, und ewig Werdenden. Er konnte jetzt sogar jede der Leidenschaften der „Kindmenschen“ lieben, sei es „die blinde Liebe einer Mutter zu ihrem Kind“, seien es der „Stolz eines eingebildeten Vaters auf sein einziges Söhnlein“ oder das „wilde Streben nach Schmuck … und einem jungen, eitlen Weibe“.  Als Samana konnte er nur auf sie herabschauen und zuletzt, selbst zum „Kindmensch“ geworden, war er durch sie angewidert bis zur Selbstverachtung. Denn letztlich waren auch diese Leidenschaften Teile von Brahman, der Weltseele. In ihm reifte „die Erkenntnis, … was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, … jeden Augenblick … den Gedanken der Einheit (zu) denken, die Einheit (zu) fühlen...“. Sein Ich war nun vereint mit Brahman. Er musste nicht mehr mit sich kämpfen, musste nicht mehr weitersuchen, hörte auf zu leiden. Er war angekommen. „Auf seinem Gesicht blühte die Heiterkeit des Wissens, … das die Vollendung kennt, das einverstanden ist mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens…“. Als der Greis Vasudeva dies gewahr wurde, konnte er sich von Siddhartha strahlend mit den Worten verabschieden: „Ich gehe in die Wälder, ich gehe in die Einheit“.

Keine Lehre hat Siddhartha in dieses Stadium gebracht, nur sein Weg, das Leben. Denn jede Lehre kann zwar Wissen vermitteln, was wichtig genug ist, aber eben nicht Weisheit. Die Lebensweisheit muss jeder für sich erkennen, und das ist subjektiv. Die Wahrheit, die jeder einzelne schaut, kann für einen anderen ganz anders sein. Er erkannte: „von jeder Wahrheit ist das Gegenteil ebenso wahr!“ Wenn Buddha von der Welt sprach, musste er in seiner Lehre differenzieren, weil das Wesen einer Lehre wie auch jeder Wissenschaft Differenzierung ist. Also musste er sie in Sansara und Nirwana einteilen. Die Welt ist aber Einheit, mit der er sich nun eins fühlte. Selbst die Zeit war für ihn relativiert, nicht mehr wirklich existierend. In tiefer Meditation hat man die Möglichkeit die Zeit gänzlich aufzuheben. Denn wir selbst sind in der Zeit. Unser Unterbewusstsein ist zeitlos. Wir werden uns eigentlich nicht gewahr, dass wir älter werden. Das Unterbewusstsein kennt keinen Tod. Nur der Körper altert. Siddhartha wurde auch klar, dass selbst in jedem Stein zukünftiges Leben verborgen ist. Denn wenn ein Stein durch Erosion zerfällt, können dessen Mineralien von lebenden Organismen aufgenommen werden. Deshalb war für ihn auch ein schlichter Stein verehrenswert. Jesus von Nazareth hat dies dem Thomas-Evangelium nach so ausgedrückt: „… spaltet ein Holz: ich bin da! Hebt den Stein: ihr werdet mich dort finden!“

Als Siddhartha ein letztes Mal mit seinem Jugendfreund Govinda zusammenkam, der von einem weisen Fährmann hörte und ihn aufsuchte, erkannte ihn dieser nicht sofort, so sehr hatte sich sein Wesen gewandelt. „Wohl bin ich alt“, sprach Govinda zu Siddhartha, „zu suchen aber habe ich nicht aufgehört“. Auf seine Bitte antwortete Siddhartha: „Dass du vor Suchen nicht zum Finden kommst … Suchen heißt: ein Ziel haben. Finden aber heißt: frei sein…“. Auf Govindas Frage nach seiner Lehre oder Gedanken vertiefte Siddhartha das Gespräch: „Eine Wahrheit lässt sich immer nur aussprechen und in Worte hüllen, wenn sie einseitig ist. Einseitig ist alles, was mit Gedanken gedacht und mit Worten gesagt werden kann … alles halb, alles entbehrt der Ganzheit, des Runden, der Einheit. Wenn der erhabene Gotama lehrend von der Welt sprach, so musste er sie teilen, in Sansara und Nirwana, in Täuschung und Wahrheit, in Leid und Erlösung. Die Welt selbst aber, das Seiende um uns her und in uns innen, ist nie einseitig… Dinge kann man lieben. Worte aber kann ich nicht lieben… Es gibt kein Ding, das Nirwana wäre; es gibt nur das Wort Nirwana… die Liebe, oh Govinda, scheint mir von allem die Hauptsache zu sein. Die Welt zu durchschauen, sie zu erklären … mag großer Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran, die Welt lieben zu können, … sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht betrachten zu können.“

Siddharthas Vervollkommnung war zu spüren, zu erklären war sie Govinda nicht. Als er aber Siddhartha zum Abschied auf die Stirn küsste, sah er das Leben in all seiner Mannigfaltigkeit, seinem stetigen Wandel, sah er sein eigenes Leben vor Augen, hinter der Maske des lächelnden Gesichtes Siddharthas. Govinda stand noch eine Weile „über Siddharthas stilles Gesicht gebeugt, …  das soeben Schauplatz aller Gestaltungen, alles Werdens, alles Seins gewesen war… Tief verneigte sich Govinda, Tränen liefen … über sein altes Gesicht, wie ein Feuer brannte das Gefühl der innigsten Liebe, der demütigen Verehrung in seinem Herzen… vor dem regungslos Sitzenden, dessen Lächeln ihn an alles erinnerte, was er in seinem Leben jemals geliebt hatte, was jemals in seinem Leben ihm wert und heilig gewesen war.“

Leider wird mit dem Ausgesprochenen alles immer ein wenig anders, ein wenig verfälscht. Man nimmt dem Ausgesprochenen den Zauber, die Harmonie der Einheit. Wenn man jemanden liebt, so ist das Erleben der Liebe im Grunde nicht mit den schlichten Worten „Ich liebe dich“ auszudrücken. Es ist so unvergleichlich mehr. Während Buddha lehrte sich nicht durch Liebe an Irdisches zu fesseln, geht Siddhartha weiter und erhebt sich dadurch selbst über ihn. Es ist die Liebe zu allen Dingen, die Bewunderung der Schöpfung, auf die es letztlich ankommt. Wer dies kann, hat das ewige Lächeln auf seinen Lippen, ist Teil der Einheit von Allem, ist ins Stadium der Vollendung getreten.

„Siddhartha“ ist ein gewaltiges Buch, dessen Kraft ich heute noch intensiver aufnehmen kann. Als junger Mensch konnte ich diese Kraft nur spüren. Heute weiß ich, dass diese auf dem Wissen eines der größten Bücher der Menschheitsgeschichte basiert, dem „I Ging“ – dem Buch der Wandlungen, das lange Zeit vor Buddha, im 11. Jahrhundert v. Chr. im chinesischen Kulturkreis entstanden ist. In der Tat räumte Hesse selbst ein, dass sein Siddhartha mehr dem Taoismus als dem Buddhismus nahesteht. Govindas eindrucksvolle Spiegelung alles Seienden, Gewordenen und Werdenden auf das Antlitz Siddharthas am Ende des Romans ist ein zutiefst taoistisch geprägter Gedanke.  Hesse verstand es, dieses mit der indischen Philosophie in den europäischen Kulturkreis zu überführen, was seine überkulturelle Wirkung ausmacht. Inwieweit man aber alles lieben kann, weil alles Teil von Brahman, der Weltseele ist, wage ich zu bezweifeln. Dazu gibt es zu viel Böses auf der Welt, rein getragen durch den Menschen, was auch Govinda im Antlitz Siddharthas gesehen hat, und ich einleitend in diesem Essay mit einem Erlebnis angedeutet habe. Liebe ist jedoch zweifellos der Schlüssel zu einem glücklichen, vollendeten Leben. Wenn nur jeder sich daran orientieren könnte! Bevor man aber wirklich lieben kann, muss man sich erst selbst erkennen. Erst dann kann man die Welt um sich herum und die Welt eines anderen richtig begreifen und lieben.

"Wahlverwandtschaften"

19/5/2023

Im Netz wurde dieser Roman von Johann W. v. Goethe (1749 – 1832) unlängst von einem meiner „friends“ bei Facebook, einem bekannten Germanisten, als das bedeutendste Werk der Weltliteratur bezeichnet. Dies hat mich neugierig gemacht. Ich kenne zwar mehrere Werke Goethes, unter anderem den „Faust“, „Die Leiden des jungen Werther“, „Dichtung und Wahrheit“, sein lyrisches Werk, die Briefe an seine „Muse“ Charlotte v. Stein, sowie seine Farbenlehre, diesen Roman aber nicht. Meine Privatbibliothek umfasst ca. 3000 Bücher, darunter auch die „Hamburger Ausgabe“ des Gesamtwerkes Goethes. Also habe ich Band 6 zur Hand genommen, in dem die „Die Wahlverwandtschaften“ enthalten ist.

Goethes Lebendmaske von Carl G. Weisser, 1807, etwa zu der Zeit, als dieser Roman von ihm verfasst wurde

Mit Superlativen muss man generell vorsichtig sein. Dies gilt auch für diesen Roman, den ich im Folgenden beschreiben und kommentieren werde. Der Roman war ganz im Gegensatz zum „Werther“ schon zu Goethes Lebzeiten nicht besonders populär, wobei Popularität natürlich nicht für die literarische Qualität ausschlaggebend ist. Ein Buch muss zur richtigen Zeit und für ein adäquates Publikum geschrieben werden, wenn es populär sein soll. Letztlich greift Goethe jedoch ein „Allerwelt“-Thema auf. Es ist ein romantisierender Liebesroman, dessen Geschichte nach griechischem Vorbild in einer Tragödie endet. Demnach hatte er es schon auf Popularität abgesehen, allerdings provokativ, da er damals herrschende Moralvorstellungen über die Ehe ins Visier nahm. Als Folge verkaufte sich der Roman sehr gut.

Titel

Der ungewöhnliche Titel „Wahlverwandtschaft“ im Kontext von Verwandten ist aus heutiger Sicht betrachtet ein Kunstwort. Denn Verwandtschaft ist durch die Blutlinie bzw. durch Heirat bestimmt. Nur letzteres kann man wählen, zumindest auf Zeit. Nur die Blutlinie macht Menschen jedoch wirklich zu Verwandten. Dies wird schnell klar, wenn es mal zur Scheidung verheirateter Personen kommt.

Goethe entlehnte diesen Begriff aus der sich im 18. Jahrhundert entwickelnden Chemie, die damals noch im Einklang mit der Alchimie gesehen wurde. Die chemische Theorie der Wahlverwandtschaften geht bis auf die Antike zurück, als Begriffe wie Sympathie, Affinität oder Verwandtschaft benutzt wurden, um den wechselseitigen Einfluss zweier oder mehrerer Stoffe zu bezeichnen. Der schwedische Chemiker Torbern Bergman publizierte 1775, also zu Lebzeiten Goethes, die Abhandlung „De attractionibus electivis“ (Über Wahlverwandtschaften), was Goethe als Titel seines Romans benutzte. Bergmans zentrales Gesetz lautete: Wenn A ein Stoff ist, mit dem sich die Stoffe B und C vereinigen können, A mit C bis zur Sättigung vereinigt ist und durch den Zusatz von B, welches sich mit A vereinigt, C verdrängt wird, so gilt, dass A stärker B als C anzieht, d.h. B besitzt eine stärkere, auswählende Attraktion als C auf A. Eben dieses Gesetz wird in Goethes Roman auf menschliches Verhalten übertragen und soll die Anziehungen zwischen den einzelnen Hauptfiguren im Verlauf des Romans erklären. Das Gesetz von Bergman wird im Roman explizit von den Hauptpersonen diskutiert (1.Teil, Kapitel 4).

In der Tat hat Goethe in seiner Jugendzeit selbst einfache chemische Experimente durchgeführt. Die Komplexität menschlicher Interaktionen auf einfachste chemische Reaktionen zurückzuführen oder mit diesen in Analogie zu sehen ist jedoch aus meiner Sicht gewagt. Durch das Zusammenführen verschiedener Personen werden lediglich Gelegenheiten geschaffen, die jedoch dem Zufallsprinzip unterliegen und nicht nach festen chemischen Regeln ablaufen.

Ausgangslage

Der wohlhabende Baron Eduard und seine Ehefrau Charlotte genießen ein zurückgezogenes, harmonisches Leben auf einem seiner Landgüter. Er kümmert sich um die Entwicklung der ausgedehnten Parkanlagen, und sie verwaltet die Finanzen, was man eigentlich umgekehrt erwarten würde. Dies ist Ausdruck der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen, was im Verlauf der Geschichte immer klarer wird. Eduard lässt sich mehr von den schönen Dingen, der Natur treiben, während Charlotte sehr ausgeglichen sich um das Notwendige des Zusammenlebens einschließlich Beherrschung aller gesellschaftlichen Konventionen kümmert.

Sie haben erst spät zueinander finden können, obgleich sie schon In ihrer Jugend ein von allen bewundertes Liebespaar waren. Das Schicksal meinte es aber nicht gut mit ihnen. Denn sie wurden gezwungen, sich anderweitig zu verheiraten. Nach dem frühen Tod ihrer Ehepartner konnten sie dann endlich zueinander finden und führen seitdem ein sorgloses, harmonisches Eheleben, was Charlotte selbst durch ihre eigene Tochter nicht stören lässt. Diese muss wohlbehütet in einem Mädchenpensionat auswärts leben. Dies war sehr weise von Charlotte. Denn bei einem späteren Besuch ihrer Tochter im Verlauf der Geschichte (2. Teil, Kapitel 4) zeigte sich wie umtriebig und manchmal rücksichtlos die Tochter agiert und sehr viel Toleranz seitens der Mutter Charlotte einfordert.

Charlotte ähnelt in ihrer überlegenen Persönlichkeit sehr der von Goethe angehimmelten und von ihm umworbenen Charlotte von Stein, die als verheiratete Aristokratin jedoch für ihn trotz allfälliger Zuneigung nicht zu erreichen war. Der identische Vorname ist sicher kein Zufall. Wer die Briefe zwischen Goethe und Charlotte von Stein gelesen hat, weiß um die besonnene und rücksichtsvolle Persönlichkeitsstruktur von Charlotte und das draufgängerische Verhalten Goethes, wie im Verlauf dieses Romans in der Person Eduards präsentiert.

Veränderungen - Gleichnis der Wahlverwandtschaften

Ob Eduard der Zweisamkeit überdrüssig wurde, bleibt im Roman unklar, wird zumindest von Goethe nicht klar herausgearbeitet. In der Tat birgt die abgelegene Lage des Landgutes, auf dem Eduard und Charlotte leben, ohne die gesellschaftlichen Ablenkungen einer Stadt die Gefahr von Langeweile und rascher Gewohnheit, besonders für einen leidenschaftlichen Mann wie Eduard. Darüber hinaus ist es sicherlich eine falsche Annahme, dass eine liebevolle Beziehung der Vergangenheit zu einem späteren Zeitpunkt weitergehen wird, weil sich Menschen in unterschiedliche Richtungen entwickeln können. Er möchte deshalb seinen Freund, einen Hauptmann, zu sich holen. Charlotte teilt Eduard ihre unguten Vorahnungen mit. Ihre Begründung, dass das Schicksal sie beide habe solange voneinander getrennt leben lassen, und sie deshalb an der gegenwärtigen Situation nichts ändern möchte, müsste eigentlich jeden liebenden Ehemann überzeugen. Ihr sei klar, „die Männer denken mehr auf das Einzelne, auf das Gegenwärtige, … die Weiber hingegen mehr auf das, was im Leben zusammenhängt…“ (1.Teil, Kapitel 1). All das überzeugt jedoch Eduard nicht.  Seinem fortgesetzten Drängen mit der Begründung sein guter Freund müsste auswärts trotz seiner vielen Talente ohne Arbeit leben, gibt sie schließlich aus Rücksicht und Liebe zu Eduard nach, nicht jedoch ohne sich auszubedingen, dass auch sie ihre in einem Mädchenpensionat unterdrückte, verwaiste Nichte Ottilie ins Haus holen darf.

Nach der Ankunft des Freundes beginnen die Männer mit der gemeinsamen Arbeit. Sie wollen das Landgut korrekt vermessen und die Pachtverträge neu regeln. Charlotte gefällt die kluge und besonnene Art des Hauptmanns, da dies ihrem Charakter entspricht. Eduard bemerkt während einer Lesung trefflich, was man in der Folge ganz auf ihn beziehen kann (1. Teil, Kapitel 4): „Der Mensch ist ein wahrer Narziss; er bespiegelt sich überall gern selbst, er legt sich als Folie der ganzen Welt unter.“ Eine abendliche Unterhaltung der drei über chemische Zusammenhänge liefert den naturwissenschaftlichen Hintergrund für die zukünftigen Veränderungen. Sie konstatieren: „entgegengesetzte Eigenschaften machen eine innigere Vereinigung möglich.“ Im Grunde wird hier das Lebensprinzip des Dualismus berührt. Man diskutiert, dass bei Mischung von Schwefelsäure und Kalkstein Gips entsteht. „Hier ist eine neue Zusammensetzung entstanden, … berechtigt, sogar das Wort Wahlverwandtschaft anzuwenden, weil es wirklich aussieht, als wenn ein Verhältnis … vor dem andern erwählt würde.“ Charlotte entgegnet mit Recht „ich würde hier niemals eine Wahl, eher eine Naturnotwendigkeit erblicken, … denn es ist am Ende gar nur die Sache der Gelegenheit.“ Charlotte erkennt das Zufallsprinzip in der Natur und weist auf Parallelen zu menschlichen Beziehungen hin. Leider kenne sie allzu viele Fälle, „wo eine innige, unauflöslich scheinende Verbindung zweier Wesen durch gelegentliche Zugesellung eines dritten aufgehoben … ward.“ Die Chemie, entgegnet Eduard, habe auch hier eine Antwort parat: Man müsse nur ein viertes Element hinzufügen, damit zwei neue, zufriedene Paare aus den alten entstünden. Die Chemiker nennen dieses Phänomen mit Recht eine „Wahlverwandtschaft". Die Eheleute beschließen also Charlottes Nichte Ottilie zu ihrer besseren Entwicklung zu sich zu holen, damit auch Charlotte eine Gefährtin erhält. Sie soll die bisherige Haushälterin, die zwecks Heirat wegzieht, ersetzen. Das Unglück nimmt seinen Anfang.

Ottilie arbeitet sich schnell als Haushälterin ein. Freundlich zugewandt liest sie allen Hausbewohnern ihre Wünsche geradezu von den Augen ab, was insbesondere Eduard schmeichelt. Beim gemeinsamen Musizieren kann sie sich sogar viel besser auf die etwas holprige Spielweise Eduards einstellen als seine Ehefrau. Eduard fühlt sich zunehmend zu Ottilie hingezogen, welche ihn in ihrer schüchternen Jungfräulichkeit reizt, so dass er kaum die gebotene Distanz zu wahren imstande ist (1.Teil, Kapitel 8). Während nun auch Charlotte und der Hauptmann zusammenarbeiten, um das Dorf und den Schlosspark zu verschönern, beginnt der Hauptmann „an zu fühlen, dass eine unwiderstehliche Gewohnheit ihn an Charlotten zu fesseln drohte.“ Denn beiden wohnt eine Seelenverwandtschaft inne. Sie wissen aber ihre gegenseitige Zuneigung zu kontrollieren. Auf Ottilies Vorschlag hin soll auf einer Anhöhe ein Lusthaus gebaut werden, das einen herrlichen Ausblick auf die drei Teiche im Park bietet, worauf Eduard allein schon deshalb eingeht, um ihr zu gefallen. An Charlottes Geburtstag wird mit den Dorfbewohnern und adligen Nachbarn die Grundsteinlegung des neuen Hauses gefeiert. Ein Maurergeselle hält dazu eine feierliche Rede, trinkt ein Glas Wein und wirft das Glas in die Luft, damit es zerschelle und dem Bau Glück bringe. Doch ein Arbeiter auf dem Baugerüst fängt es lachend auf, was das zukünftige Unglück signalisiert. Auf dem Glas sind die ineinander verschlungenen Buchstaben E und O eingraviert. Es gehört Eduard, der eigentlich auf den Namen Otto getauft ist, aber auch die sich vertiefende Beziehung zwischen Eduard und Ottilie symbolisiert.

Geistiger Ehebruch

Abends kommt ein sogenannter Mittler zu Besuch, der es sich, seiner Bezeichnung entsprechend, zur Lebensaufgabe gemacht hat, zwischen Streitenden zu vermitteln (1.Teil, Kapitel 9). Nichts ist ihm heiliger als die Ehe: „Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur“. Er verschwindet unverzüglich, als der Graf und die Baronesse, ein prominentes, illegitim zusammenlebendes Paar, im Schlosshof vorfahren. Beide haben die Scheidung von ihren Ehepartnern verlangt, doch die Gattin des Grafen willigt nicht ein. Charlotte ist bei dem Besuch ebenfalls nicht ganz wohl. Tatsächlich redet das Paar ohne jegliche Scheu über den Zwang einer Ehe und katalysiert dadurch die außerehelichen Neigungen der beiden anderen, anwesenden Paare. Der Graf zitiert provozierend den Vorschlag eines Freundes, „eine jede Ehe solle nur auf fünf Jahre geschlossen werden“ - gerade genügend Zeit, um Kinder zu zeugen (1.Teil, Kapitel 10). An die gemeinsame Erziehung der Kinder denkt er dabei nicht. Denn dies wurde in aristokratischen Häusern sowieso von Bediensteten geleistet. Zweifelsohne stellen die Verlautbarungen des Grafen einen Tabubruch zu jener Zeit dar, weshalb der Roman Goethes zu seinen Lebzeiten auch so konsequent missbilligt wurde. Eine eheliche Verbindung galt es lebenslang fortzusetzen. Bei der früheren seuchen- und kriegsbedingt deutlich kürzeren Lebenserwartung der Menschen mag dies noch nachvollziehbar sein. Heute erscheinen Lebensabschnittsbeziehungen in Anbetracht einer Lebenserwartung von ca. 80 Jahren und der sich daraus ergebenden erhöhten Wahrscheinlichkeit sich in ganz unterschiedlichen Richtungen zu entwickeln eher angebracht zu sein.

Am Abend lässt sich der Graf von Eduard zu den Gemächern der Frauen zu führen, da die Baronesse ihn dort erwarte (1.Teil, Kapitel 11). Eduard begleitet ihn, bleibt dann unschlüssig im Flur stehen. Er denkt an Ottilie, die wohl an seiner Schreibarbeit sitzt, die sie für ihn erledigen wollte. Eigentlich möchte er zu ihr, weil aber kein direkter Weg in ihre Gemächer führt, klopft er unvermittelt an Charlottes Tür, da er Ottilies Namen hört. Diese wiederum erhofft und fürchtet zugleich einen nächtlichen Besuch des ihr zugeneigten Hauptmanns, zu dem auch sie sich hingezogen fühlt. Als sie schließlich öffnet, sind beide Ehepartner vom Anblick des anderen enttäuscht. Eduard flüchtet sich in Scherze und bittet seine Frau, bei ihr bleiben zu dürfen, was sie ihm nicht verwehren kann. „In der Lampendämmerung sogleich behauptete … die Einbildungskraft ihre Rechte über das Wirkliche: Eduard hielt nur Ottilien in seinen Armen, Charlotten schwebte der Hauptmann näher oder ferner vor der Seele, und so verwebten … sich Abwesendes und Gegenwärtiges reizend und wonnevoll durcheinander.“ Der Ehebruch wird im Geiste vollzogen. „Denn so ist die Liebe beschaffen, dass sie allein recht zu haben glaubt und alle anderen Rechte vor ihr verschwinden“ (1.Teil, Kapitel 12).

Am nächsten Tag händigt Ottilie „glänzend von Liebenswürdigkeit“ Eduard die fertige Schreibarbeit aus. „Das Gefühl, etwas für den Freund getan zu haben, hatte ihr ganzes Wesen über sich selbst gehoben.“ Sie hat dies mit solcher Hingabe erledigt, dass sie auf den letzten Seiten sogar seine eigene Handschrift eins zu eins kopieren konnte. Darin, sich in ihrer Schrift gespiegelt, sieht Eduard den endgültigen Beweis ihrer Liebe und nimmt sie mit den Worten „Du liebst mich“ in die Arme. „Von diesem Augenblick an war die Welt für Eduarden umgewendet, er nicht mehr was er gewesen, die Welt nicht mehr, was sie gewesen.“ Wenig später kehren der Hauptmann und Charlotte von einer gemeinsamen Bootsfahrt auf dem Teich zurück, wobei der Hauptmann eine Untiefe übersah und auf Grund lief. Es blieb ihm nichts anderes übrig als Charlotte an Land zu tragen. Dabei kamen sie sich so nahe, dass er sich nicht beherrschen konnte. „Sie lag noch an seinem Halse; er schloss sie … in seine Arme und drückte einen lebhaften Kuss auf ihre Lippen... und rief: Charlotte können Sie mir vergeben? Der Kuss, den der Freund gewagt, den sie beinahe zurückgegeben, brachte Charlotten wieder zu sich selbst.“ Doch bei ihnen hat die Vernunft gesiegt. Sie sind übereingekommen, den Vorfall zu vergessen. Denn der Hauptmann will eine neue Stellung antreten, die ihm vom Grafen zum Bedauern Charlottes eröffnet wurde. Charlotte will aber auch die Pflichten ihrer Ehe einhalten.

Unbeachtete Vorzeichen

Im Gegensatz zu seiner Frau gibt Eduard sich ganz seiner Leidenschaft hin. Er erklärt Ottilie übereilt, dass Charlotte den Hauptmann heiraten und in eine Scheidung einwilligen werde, so dass er für sie frei werden würde. Die Landschaftsarbeiten forciert er, damit alles rechtzeitig zu Ottilies Geburtstag fertig wird. Die Feier beginnt als rauschendes Fest, doch endet in einem Desaster. Die Deiche der drei Teiche, die zu einem See integriert werden sollen, brechen. Gäste fallen ins Wasser, wobei ein Kind erst im letzten Moment vom Hauptmann vor dem Ertrinken gerettet werden kann. Die Festgesellschaft löst sich auf. Trotz dieses Unglücks besteht Eduard darauf, am See allein mit Ottilie das geplante Geburtstagsfeuerwerk anzuschauen. Er ist ganz auf die Begierde seiner Liebe fixiert und vergisst dabei alle gesellschaftlichen Belange.

Am nächsten Tag reist der Hauptmann ab und Charlotte konfrontiert ihren Ehemann: Wenn ihre Ehe noch eine Chance haben soll, müsse Ottilie ebenfalls gehen. Doch Eduard will davon nichts wissen. Er entscheidet selbst sein Haus auf unbestimmte Zeit zu verlassen. „Indem ich mich aufopfere kann ich fordern. Ich verlasse mein Haus und kehre nur unter günstigern, ruhigern Aussichten zurück.“ Im Grunde flieht er aber vor den Problemen, als ob dies eine Lösung wäre. In seinem Abschiedsbrief an Charlotte bedingt er sich aus, dass Ottilie vor Ort bleibe, bis er sich gefangen habe: „wenn ich im Augenblick nicht verzweifeln soll, muss ich Aufschub finden für mich, für uns alle“ (1.Teil, Kapitel 16). Nur unter dieser Bedingung werde er sich von Ottilie fernhalten. Er zieht in ein abgelegenes Landgut und gibt sich dort wilden Phantasien hin.

Mittler macht ihn dort ausfindig und will aus eigenem Antrieb zwischen ihm und Charlotte vermitteln. Aber Eduard denkt nur an Ottilie und entgegnet ihm: „Immer bin ich mit ihr beschäftigt, immer in ihrer Nähe. Ich habe den unschätzbaren Vorteil, mir denken zu können, wo Ottilie sich befindet, wo sie geht, wo sie steht, wo sie sich ausruht… Da ich ihr nahe war, träumte ich nie von ihr; jetzt aber in der Ferne sind wir im Traum zusammen…“.  Er beauftragt Mittler seine Scheidung von Charlotte zu erwirken, welcher dies jedoch nicht über das Herz bringt auch nur anzudeuten, als er vor Ort von der Hoffnung Charlottes auf Eduards baldige Rückkehr erfährt, die in der Zwischenzeit ihre Schwangerschaft von ihrem geistigen Ehebruch feststellte (1.Teil, Kapitel 18). Nach Mittlers Erfahrung ist kein Argument so stark, eine Ehe zu retten, als die Nachricht einer bevorstehenden Geburt eines gemeinsamen Kindes. Ein Bote überbringt Eduard einen gefühlvollen Brief Charlottes. „Gedenke jener nächtlichen Stunden, in denen du deine Gattin abenteuerlich als Liebender besuchtest, sie unwiderstehlich an dich zogst…“. Aber auch diese Erinnerung an die Liebesnacht und der damit verbundene Appell an seine Vatergefühle bewegt Eduard nicht zu seiner Ehefrau zurückzukehren. Im Gegenteil, er wird noch mehr von seiner Frau abgestoßen, weil er in jener Nacht geistig mit Ottilie geschlafen hat. So beschließt er in dieser scheinbaren Hoffnungslosigkeit in den Krieg zu ziehen, um möglicherweise den Tod auf dem Schlachtfeld zu finden. Es war die Zeit der Napoleonischen Kriege (1798 - 1815), ohne dass dies von Goethe näher erwähnt wurde. Seine einzige Begierde ist Ottilie. Was für ein verantwortungsloses Handeln, das wie bei einer Sucht alle rationalen Gesichtspunkte in den Hintergrund schiebt! In der Tat wird von vielen die Liebe zu einer Frau mit einer Sucht verglichen. Dies bezieht sich jedoch nur auf das Stadium des Verliebtseins. Man kann an nichts anderes denken als an das Objekt der Begierde. Dies ist rein triebgesteuert als Ausdruck des Selbsterhaltungstriebes der Spezies. Mit wirklicher Liebe, die erst reifen muss, hat dies jedoch nichts zu tun. Diese setzt voraus, dass man seine innere Welt versteht, sich dann der Welt des Partners öffnet und beides vereinen kann. Ottilie könnte Eduards Tochter sein und reizt ihn neben ihrem unschuldigen Liebreiz nur durch ihre extreme Anpassungsfähigkeit an ihn, weil er sich narzisstisch in ihr spiegeln kann. Es ist ganz und gar eine asymmetrische Beziehung, die romantisierend von Goethe fälschlicherweise als „Liebe“ dargestellt wird, was aber häufig vorkommt und mit wirklicher Liebe verwechselt wird.

Herrenloses Landgut

Die ersten Kapitel des zweiten Teils plätschern so dahin. Denn im Grunde interessiert den Leser, wie es mit Eduard und den verwobenen Liebesbeziehungen weitergeht. Derweil geht das Leben auf dem „herrenlosen“ Landgut im Grunde ungestört weiter (2.Teil, Kapitel 1). Schon zuvor hatte sich Charlotte um alles Geschäftliche gekümmert, während Ottilie ebenso perfekt den Haushalt führt. Eduard ist im Grunde entbehrlich. Ein junger Architekt ersetzt den Hauptmann und setzt die Arbeiten an den Parkanlagen fort. Dabei entdeckt er eine ungenutzte Seitenkapelle der Dorfkirche und verschönert diese mithilfe von Ottilie mit Malereien von Engeln und Heiligenfiguren. Die Gesichter der Figuren, die der Architekt ausmalt, beginnen mehr und mehr Ottilie zu gleichen, als Ausdruck wie sehr auch er sich in sie verliebt hat (2.Teil, Kapitel 3). Offensichtlich ist Ottilie das perfekte Medium den Kopf verschiedener Männer zu verdrehen - neben Eduard und dem Architekten auch dem pädagogischen Gehilfen des Mädchenpensionats, aus dem sie Charlotte einst holte. Erfüllt vom Schmerz um Eduard erwidert Ottilie die Liebe des Architekten jedoch nicht. Der Gehilfe sucht das Anwesen auf, um Ottilie zu umwerben, da er demnächst die Nachfolge als Pensionsvorsteher antreten soll, wozu er passende Ehefrau braucht. Angesichts Eduards Bedingungen kann jedoch Charlotte ihre Nichte nicht aus dem Haus lassen und vertröstet den Gehilfen (2.Teil, Kapitel 7). Gespräche mit Charlotte sind fast immer geistreich. So weiß Charlotte bei einer späteren Rückkehr des Gehilfen zu bemerken: „Indem uns das Leben fortzieht … glauben wir aus uns selbst zu handeln, … wenn wir es genau ansehen, so sind es nur die Pläne, die Neigungen der Zeit, die wir mit auszuführen genötigt sind“ (2.Teil, Kapitel 8). Wie Eduard eine Frau mit der Lebensweisheit verlassen will, erscheint mehr und mehr unerklärlich.

Wie zuvor mit dem Hauptmann versteht sich Charlotte auch mit dem Architekten sehr gut bei Wahrung der Distanz. Sie äußert bei einem vertieften Gespräch: „Wir begegnen dem Geistreichen, ohne uns mit ihm zu unterhalten, dem Gelehrten, ohne von ihm zu lernen, dem Gereisten, ohne uns zu unterrichten, dem Liebevollen, ohne ihm etwas Angenehmes zu erzeigen. Und leider … betragen sich so … Städte gegen ihre würdigsten Bürger, … Nationen gegen ihre vorzüglichsten Menschen“ (2.Teil, Kapitel 2). Welche erdrückende Wahrheit hier Goethe in den Mund Charlottes legt! Wie weit hätten sich unsere Gesellschaften entwickeln können, wenn wir die besten unter uns mehr schätzen würden? Stattdessen scheint die gesellschaftliche Entwicklung über die Jahrhunderte auf der Stelle zu treten … Wenige Wochen später bringt Charlotte einen Sohn zur Welt (2.Teil, Kapitel 8). Das Kind sieht nicht Charlotte und Eduard, sondern wie die geistigen Ehebrecher, dem Hauptmann und Ottilie, ähnlich. Er soll Otto heißen, genau wie sein Vater (und der Hauptmann). Die Taufe endet mit einem bösen Omen: Der alte Dorfgeistliche lehnt sich in seinen Stuhl zurück und stirbt während der Zeremonie. „So unmittelbar Geburt und Tod… nebeneinander zu sehen… nicht bloß mit der Einbildungskraft, sondern mit den Augen diese ungeheuren Gegensätze zusammenzufassen, war für die Umstehenden eine schwere Aufgabe… Ottilie allein betrachtete den Eingeschlummerten… mit einer Art von Neid. Das Leben ihrer Seele war getötet: warum sollte der Körper noch erhalten werden?“ – eine Vorausnahme Goethes des Bevorstehenden, als Hinweis, dass das individuelle Schicksal nicht abzuwenden ist.

Kindstod

Ottilie kümmert sich mit ihrem ganzen Herzen um „alles, was Eduarden besonders lieb war“ und sie versorgt das Neugeborene. Sie will nur noch uneigennützig lieben, wie das Kind, und Eduard ganz entsagen. „Sie wünschte nur das Wohl ihres Freundes…“ (2.Teil, Kapitel 9). Auch will sie sich tief enttäuscht vom Leben mit niemand anderem verbinden. Das Lusthaus ist nun fast fertig, sodass die beiden Frauen während der warmen Sommertage mit dem Kind dorthin ziehen.

Inzwischen ist Eduard hochdekoriert heil aus dem Krieg auf das kleine Gut fernab seines Schlosses zurückgekehrt, wohin er seinen alten Freund, den Hauptmann nunmehr Major, zu sich ruft. Er hatte sein Schloss „scharf“ beobachten lassen und wusste, dass sich Charlotte an seine Anweisungen hielt und Ottilie vor Ort belassen hat. Die ganze Zeit über war und ist er vollkommen von der Begierde nach Ottilie wie bei einer unheilbaren Sucht erfasst. Bei jedem Sturm auf eine Stellung während des Krieges war er nur von dem Gedanken getragen, Ottilie erobern zu müssen. Er macht sich sogar selbst klar: „So manche tröstliche Ahnung, so manches heitere Zeichen hatte mich… in dem Wahn bestärkt, Ottilie könne die meine werden.“  Den Major überredet er, trotz dessen zahlreichen Bedenken wegen der herrschenden Konventionen, aber auch wegen des untadeligen, ehrenvollen Verhaltens Charlottes, um deren Hand anzuhalten, damit diese Eduard die Scheidung gewähre. Auch des Majors Appell an seine Vaterpflichten fruchten wie schon zuvor in Charlottes Brief vor seiner Flucht in den Krieg nicht. „Es ist bloß ein Dünkel der Eltern…, wenn sie sich einbilden, dass ihr Dasein für die Kinder so nötig sei.“ Was für ein Unsinn. Nichts ist so wichtig für das Gedeihen eines Kindes als die liebevolle Zuwendung der Eltern. „Ich weiß du liebst Charlotten, und sie verdient es; ich weiß, du bist ihr nicht gleichgültig… Nimm sie von meiner Hand, führe mir Ottilien zu! Und wir sind die glücklichsten Menschen auf der Erde“, im Grunde das ursprüngliche, primitive, chemische Zahlenspiel der Wahlverwandtschaften aufnehmend.

Während der Major Charlotte aufsucht, sie aber nicht antrifft, treibt es Eduard voller Ungeduld in den Park, wo er Ottilie mit dem Kind am See sitzen sieht: „… sie saß versenkt in ihr Buch, in sich selbst, so liebenswürdig anzusehen, dass die Bäume, die Sträucher ringsumher hätten belebt, mit Augen begabt sein sollen, um sie zu bewundern…“. „Er fliegt auf sie zu und liegt zu ihren Füßen.“   Übermannt von seiner Liebe, erklärt er ihr alles und bittet um ihre Hand an. Sie zögert und deutet auf das neben ihr schlafende Kind. Er entgegnet: „… da wir einmal soweit sind, da mein Verhältnis zu Charlotten getrennt werden muss, da du die Meinige sein wirst, warum soll ich es dir nicht sagen?... Dies Kind ist aus einem doppelten Ehebruch erzeugt! Es trennt mich von meiner Gattin und meine Gattin von mir…“ (2.Teil, Kapitel 13), auf den spirituellen Ehebruch anspielend. Ottilie sagt ihm ihre Hand unter der Bedingung zu, dass Charlotte in eine Scheidung einwillige: „So lange haben wir entbehrt… Bedenke, was wir beide Charlotten schuldig sind… Ich bin die Deine, wenn sie es vergönnt“. Sie schickt ihn liebevoll an den Ort zurück, wo der Major ihn erwarten soll. „Ich gehorche deinen Befehlen“ erwidert Eduard, „indem er sie erst leidenschaftlich anblickte und sie dann fest in seine Arme schloss. Sie umschlang ihn mit den ihrigen und drückte ihn auf das zärtlichste an ihre Brust … sie wechselten zum erstenmal entschiedene, freie Küsse und trennten sich gewaltsam und schmerzlich.“ Mittlerweile ist es schon sehr spät geworden, und Ottilie beschließt, den Weg zurück nach Haus mit einer Bootsfahrt über den See abzukürzen. Während sie beeindruckt von dem eben Geschehenen in den schwankenden Kahn steigt - ein Buch in der einen und das Kind an der anderen Hand -, entgleitet ihr das Kind und fällt ins Wasser. Sie zieht es an seinen Gewändern wieder heraus, reißt sich verzweifelt das Kleid auf und legt das erstarrte Bündel an ihre Brust. Doch es ist zu spät: Der kleine Otto ist tot. Das Schicksal hat erbarmungslos zugeschlagen.

Tragisches Schicksal

Die gutherzige Charlotte nimmt das Schicksal auf sich und weist mit keinem Wort oder Gedanken Ottilie eine Schuld zu. Im Gegenteil, ihr tugendhaftes Festhalten an der Ehe mit Eduard trage aus ihrer Sicht die Schuld am Schicksal ihres Sohnes (2.Teil, Kapitel 14). In Anwesenheit des Majors kommt sie zum Schluss: „Ich fühle recht wohl, dass das Los von mehreren in meinen Händen liegt… Ich willige in die Scheidung.“ Auf die Frage des Majors nach ihrer beiden Zukunft antwortet sie: „Wir haben nicht verschuldet, unglücklich zu werden, aber auch nicht verdient, zusammen glücklich zu sein.“

Eduard hat kein Mitleid mit dem Kind, das er nur einmal gesehen, aber nie gekannt hat. Im Gegenteil, er fühlt, dass ein Hindernis auf dem Weg zu Ottilie aus dem Weg geräumt ist, ohne offensichtlich das Verantwortungsbewusstsein Ottilies zu erahnen. Denn diese schwört sich nun und gesteht Charlotte mit klaren Worten, nie Eduards Frau zu werden als Folge des Todes des unschuldigen Kindes. „In dem Augenblick, in dem ich erfahre, du habest in die Scheidung gewilligt, büße ich in demselbigen See mein Vergehen, mein Verbrechen.“ Sie erbittet sich den Major davon in Kenntnis zu setzen, dass keine Schritte zur Scheidung Eduards von Charlotte eingeleitet werden. Sie beschließt, als Erzieherin in der Mädchenpension, in der sie groß wurde, zu büßen. Eduard erfährt von diesem Plan und fängt sie in dem Gasthaus ab, in dem sie während der Reise übernachten will. Wieder greift das Schicksal ein. Den Brief, den er zur Vorbereitung ihres Wiedersehens verfasst hatte, konnte Ottilie nicht lesen, bevor sie überraschend mit ihm zusammenstößt. Sie weicht vor ihm zurück „und sah den dringend Fordernden mit einem solchen Blick an, dass er von allem abzustehen genötigt war … Diese Bewegung zerriss ihm das Herz“ (2.Teil, Kapitel 16). Von nun an sagt Ottilie kein Wort mehr. Sie kehrt nur noch als Schatten ihrer selbst mit Eduard ins Schloss zurück, verlebt dort noch einige Zeit, musiziert sogar wie in früheren Tagen mit Eduard. Ihr Körper ist immer in seiner Nähe, wie magisch angezogen. Ihr Geist ist aber bereits entrückt. „Das Leben war ihnen ein Rätsel, dessen Auflösung sie nur miteinander fanden“ (2.Teil, Kapitel 17).  Unbemerkt von allen, außer ihrer Nanny, die deshalb später den Tod suchen will, nimmt sie nichts mehr zu sich. In dem Augenblick als der Mittler bei seinem Besuch am Vorabend zu Eduards Geburtstag seine Belehrungen „Du sollst nicht ehebrechen“ unbedacht von sich gibt, entschwindet sie, „deren Gestalt sich verwandelt hatte“, und kollabiert in ihrem Zimmer. Alle stürzen herbei, auch Eduard, der gerade von einem Ausritt eintrifft., „er wirft sich an ihre Seite nieder, fasst ihre Hand und überschwemmt sie mit stummen Tränen…. Wirst du nicht mit einem Wort für mich ins Leben zurückkehren? Gut, gut! Ich folge dir hinüber; da werden wir mit andern Sprachen reden! Sie drückt ihm kräftig die Hand, sie blickt ihn lebevoll und liebevoll an… Versprich mir zu leben! Ruft sie aus, mit holder, zärtlicher Anstrengung; doch gleich sinkt sie zurück. Ich verspreche es! … rief er es ihr nur noch nach; sie war schon abgeschieden“ (2.Teil, Kapitel 18).

Seitdem ist Eduard nicht mehr von dieser Welt. Er will ihren Tod einfach nicht wahrhaben. Ottilie wird in einem gläsernen Sarg neben dem kleinen Otto in der Kapelle aufgebahrt. Eduard findet keine Freude mehr, „schien keine Träne mehr zu haben, keines Schmerzes weiter fähig zu sein“. Er isst und trinkt kaum noch etwas. Er kann sein letztes Versprechen, das er Ottilie gab, nicht einlösen, und stirbt. Charlotte lässt ihn neben seiner Geliebten beisetzen. „So ruhen die Liebenden nebeneinander … und welch ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn sie dereinst wieder zusammen erwachen.“

Band 6 des Gesamtwerks Goethes in 14 Bänden, Hamburger Ausgabe, Verlag C.H. Beck, München, 1981

Kommentar

In dem vorliegenden Roman „Die Wahlverwandtschaften“ verarbeitete der zum Zeitpunkt des Schreibens fast 60-jährige Goethe seine im gereiften Alter stattgefundene Liebesbeziehung zu der 19-jährigen Minna Herzlieb. Die im Roman im Mittelpunkt stehende Ottilie ist 17 und ebenfalls wie Minna eine verwaiste Pflegetochter. Er kannte Minna, die zu einer außerordentlichen Schönheit herangewachsen war, seit ihren Kinderjahren. Seiner Ehefrau Christiane Vulpius, mit der Goethe über mehrere Jahre entgegen der damals herrschenden, gesellschaftlichen Konventionen unverheiratet zusammengelebt hatte, gestand er offen ein, dass er der jungfräulichen Minna mehr als zugetan war. Seinem Freund Johann Peter Eckermann teilte er 1820 mit: "Es ist in den Wahlverwandtschaften überhaupt keine Zeile, die ich nicht selber erlebt hätte, und es steckt darin mehr, als irgend jemand bei einmaligem Lesen aufzunehmen imstande wäre." Letzteres entsprach freilich seiner Hybris. Denn so schwer ist die Liebesgeschichte nicht zu verstehen.

Es geht darin um den Konflikt zwischen menschlicher Leidenschaft und gesellschaftlichen Normen, um den Stellenwert der Institution Ehe. Goethe stellt provokativ die Ehe in Frage, wie er es selbst einige Jahre praktizierte und die seine ihn über viele Jahre formende Liebe zu der verheirateten Charlotte von Stein an ihrer Erfüllung hinderte. Er erteilt aber einer offenen Rebellion gegen diese die Absage, sondern stellt die Entsagung, den vollkommenen Verzicht als Ausweg dar, was jedoch in einer menschlichen Katastrophe endet. Eine Lösung kann dies nicht sein.  Der Roman ist geradezu penibel konstruiert: zwei Teile mit jeweils 18 Kapiteln auf rund 250 Seiten, ursprünglich von Goethe lediglich als Novelleneinlage für „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ geplant und 1809 dann eigenständig publiziert. Um die „Verwandtschaft“ aller beteiligten Hauptfiguren des Romans zu symbolisieren, steckt der Wortstamm „ott“ in allen Namen: Ottilie, Charlotte, Otto, der Name des Hauptmanns und des Kindes, sowie Eduard, der eigentlich Otto heißt. Dabei spielt Goethe mit den Geschlechterrollen: Der Hauptmann und Ottilie sind die Stereotypen ihres Geschlechts, während die rationale Charlotte und der romantische Eduard ihr Gegenteil versinnbildlichen. Der Grundkonflikt zwischen Natur und Kultur wird als übergeordnete Struktur gewählt. Die architektonische Umwandlung des Gartens soll eine Harmonie zwischen Natur und menschlichem Eingreifen herstellen. Die Illusion eines harmonischen Miteinanders von Mensch und Natur zerfällt jedoch jäh, als Charlottes Kind in dem künstlichen See ertrinkt. Warum Goethe das Wasser symbolisch mit dem Tod verbindet, weiß wohl nur er. So wird schon zu Beginn im Roman von Maßnahmen gegen das Ertrinken gesprochen, beim Geburtstag Ottilies kommt es fast zum Ertrinken eines Knaben, und Eduards Kind mit Charlotte ersäuft letztlich wie eine Katze im See. Wenn Wasser symbolisch überhaupt für etwas steht, dann für das Leben, das aus dem Wasser kommt, und ohne das kein Leben möglich ist. Staub, zu dem jeder Leichnam verwest, ist eigentlich das Symbol für den Tod.

Der erste Teil handelt von Eduards Anziehung zu der schüchternen, liebreizenden Jungfrau Ottilie, welcher er sich ohne jeglichen Widerstand bewusst, aber gedankenlos bezüglich der Folgen hingibt. Die naive, unerfahrene Ottilie lässt dies geschehen ohne zu erahnen, wohin sie das Schicksal führt. Symbolisch ist das Feuerwerk, welches Eduard für Ottilie zu ihrem Geburtstag geplant hat und das er sogar durchführen lässt, als alle Gäste wegen des fast tödlichen Unfalls eines Knaben auseinanderstreben. Ottilie lässt dies ebenso völlig inadäquat zu der Situation über sich ergehen. Wie die mit explodierenden Stoffen gefüllten Feuerkugeln eines Feuerwerks, einmal entzündet unaufhaltsam in die Luft schießend, entwickelt sich das vom Schicksal bestimmte Leben von Eduard und Ottilie … bis zum baldigen Verglühen. Goethe liebt es, solche Analogien in seinem Roman einzubauen. Charlottes Zuneigung zum Hauptmann ist von gegensätzlicher Natur, respektvoll und der Leidenschaft erwachsen entgegentretend, auch wenn der Zufall sie beide ebenso in die Arme treibt und einen flüchtigen Kuss auslöst, für den sich der Hauptmann auch gleich entschuldigt. Der erste Teil endet mit Eduards unerfüllter Begierde nach der jungfräulichen Ottilie und seiner Flucht in einen Krieg auf dem Höhepunkt der Verwicklungen, die eigene, ihm immer ergebene Ehefrau schwanger zurücklassend. Im zweiten Teil führt Goethe neue Personen, Schauplätze und Stilformen in das Geschehen ein, die auf verschiedene Art die Katastrophe vorwegnehmen. Die Katastrophe gipfelt nach dem Tod des unschuldigen Kindes von Eduard und Charlotte im durch Nahrungsverweigerung endenden Suizid der sich schuldig fühlenden und vom Schicksal überforderten Geliebten Eduards, „seiner“ Ottilie in einer ergreifenden Abschiedsszene. Eduard vegetiert daraufhin nur noch vor sich hin und verendet letztlich. Er kann noch nicht einmal sein Ottilie gegebenes, letztes Versprechen „Weiterzuleben“ einhalten, was seinen zügel- und ehrlosen Charakter unterstreicht. Letztlich ist er verantwortlich für den Tod seines unschuldigen Kindes und seiner jungfräulichen Geliebten. Goethes Wink am Ende, sich eines Wunders bedienend, und dem angedeuteten Ausblick eines späteren gemeinsamen Erwachens der Liebenden, lässt das Werk etwas kitschig abgleiten, obgleich er wohl nur die ihn früher beindruckt habende Legende über die heilige Ottilie (Odilia) miteinweben wollte.

Mit Hilfe von Auszügen aus Ottilies Tagebuch lässt Goethe den Leser tiefer in ihr noch unfertiges, jedoch reiches Innenleben blicken, als es aus ihrer, eher naiven Figur in der Erzählung heraus möglich wäre. Kennzeichnend für ihre Tagebucheintragungen sind die Sätze: „Es gibt keinen größeren Trost für die Mittelmäßigkeit, als dass das Genie nicht unsterblich ist“ (2.Teil, Kapitel 5). „Dem Einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn anzieht, was ihm Freude macht … aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch“ (2.Teil, Kapitel 7). „Alles Vollkommene in seiner Art, muss über seine Art hinausgehen, es muss etwas anderes, Unvergleichbares werden“ (2.Teil, Kapitel 9). So wie es später Nietzsche in seinem „Also sprach Zarathustra“ eindrücklich beschrieben hat – der Mensch, der erst in seiner Vollkommenheit zum wirklichen Menschen, dem sogenannten „Übermenschen“ wird. Wie konstruiert diese Tagebucheintragungen von Goethe sind, zeigt sich darin, dass mit keinem Wort die Liebesbeziehung zu Eduard zitiert werden, was bei einem solch jungen Mädchen doch eigentlich breiten Raum einnehmen müsste.

Ganz anders als Leo Tolstoi in seinem epischen Meisterwerk „Krieg und Frieden“, dessen eingewobenen Liebesbeziehungen sehr viel komplexer sind, verzichtet Goethe auf jeglichen Hinweis der tiefgreifenden politischen und sozialen Veränderungen in der Zeit des Geschehens. Napoleon hatte große Teile Europas überrannt und selbst Goethes Wahlheimatstadt Weimar geplündert. 1806 hörte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf zu bestehen. Geändert hat sich an den aristokratischen Höfen jedoch wenig. Man sprach vorher und unter Napoleons Herrschaft Französisch. 1807 begannen Sozialreformen in Preußen, welche die ehemals absolute Macht des Adels empfindlich einschränkten. So erhielt das Bürgertum das Recht, Stadtverordnete zu wählen, und 1809 initiierte Wilhelm von Humboldt Bildungsreformen, die bis heute die Grundlage des deutschen Erziehungswesens darstellen. Nichts davon findet sich auch nur andeutungsweise in seinem Roman. In diese Zeit des Umbruchs fiel auch der Tod Friedrich Schillers (1805) - für Goethe eine Zäsur. Gemeinsam mit dem Dichterfreund hatte er die Weimarer Klassik geprägt: das Streben nach dem Wahren und Schönen. Als interessierter, aber mit seiner Farbenlehre fehlgeleiteter Naturwissenschaftler und Minister am Weimarer Hof nahm er regen Anteil an politischen Reformen und der beginnenden Industrialisierung. Dem aus der Aufklärung hervorgegangenen Rationalismus konnte er sich nicht anschließen. Für Goethe viel wichtiger war es auf die treibende Rolle des unberechenbaren Schicksals, manifestiert durch Zufälle aller Art, hinzuweisen. Hier bin ich voll bei Goethe. Es sind die Zufälle, die das Leben bestimmen. Denn der Zufall ist das Mittel des Lebens, so wie es selbst entstanden ist. Es ist ein Ausdruck der Reife jedes Einzelnen sein Schicksal anzunehmen oder wie es Nietzsche ausdrückte, zu lieben: „amor fati“.

Die Geschichte wird überwiegend in der Vergangenheitsform erzählt, jedoch wechselt der Goethe immer dann ins Präsens, wenn er Spannung und Nähe erzeugen will. Der Liebesroman verstört ein wenig durch seine wenig gefühlvolle Sprache. Es werden nie romantische Situationen wirklich eindringlich, nie Gesichtszüge beschrieben. Die Schreibweise ist für heutige Verhältnisse antiquiert, eher nüchtern, nahezu steril, wie die eben eines 60-Jährigen, der von wirklicher Liebe wohl nie erfüllt war. Goethe arbeitet mit einer Fülle von Symbolen und Motiven, philosophischen, pädagogischen und religiösen Exkursen. Er selbst sah seinen Roman als Puzzlespiel, das man unmöglich nach einmaliger Lektüre entschlüsseln könne, was übertrieben ist. Heute könnte man so eine Geschichte schlicht auch als „Soap Opera“ - gleichwohl auf hohem „level“ - bezeichnen. Einen Vergleich mit dem oben zitierten Meisterwerk Tolstois, wie auch mit dessen Roman „Anna Karenina“ hält Goethes „Wahlverwandtschaften“ in keiner Weise stand. Diese sind eigentlich das, wofür er die Liebesgeschichte ursprünglich konzipierte, ein Einschub für etwas Größeres. Der Einschätzung von Thomas Mann, der das Buch als "den höchsten Roman der Deutschen" bezeichnete, kann ich nicht folgen. Der Kritik von Wilhelm Grimm, einem bedeutenden Zeitgenossen Goethes, der Teile des Romans als langweilig betrachtete, kann ich eher zustimmen. Vielmehr kann das Werk als Vorläufer zahlreicher berühmter Ehe- und Ehebruchsromane des 19. Jahrhunderts angesehen werden, z. B. Charlotte Brontës “Jane Eyre”, Gustave Flauberts „Madame Bovary“, Leo Tolstois „Anna Karenina“ oder Theodor Fontanes „Effi Briest“. Goethes "Wahlverwandtschaften" liefern jedoch einen wichtigen Beitrag, um über die gesellschaftliche Rolle der Ehe und die Vielfalt der Liebesbeziehungen nachzudenken. Die im Roman versteckten Weisheiten über die Bedeutung von Zufällen im Leben und der deterministische Einfluss des Schicksals sind aus meiner Sicht von überragender Bedeutung und viel zu wenig gewürdigt.

"Der Process" - Eine Meditation

31/3/2023

Es war das Wochenende des Frühlingsanfanges, genau genommen am Sonntag d. 20. März 2023 - Tagnachtgleiche. Ab dann wurden die Tage wieder länger als die Nacht. Die lange Dunkelheit hat immer etwas Bedrohliches für das Leben, das Licht zum Leben braucht. Just an diesem Tag bin ich über Kafkas „Der Prozess“ eingeschlafen, nachdem ich den Roman über das Wochenende verschlungen hatte – eine oberflächlich verrückte, surreale Erzählung, die tief geht. Für mich ist Kafka der Surrealist unter den Schriftstellern, wie Dali der Surrealist unter den bildenden Künstlern ist. Die meisten bekannten Deutungen über den „Prozess“ verlieren sich schon in der „kafkaesken“ Oberfläche seines Werkes. Es ist eine traumartige Erzählung mit gesprochenen Bildern, die in die Tiefe, ins Unterbewusstsein führen. Der führende Charakter des Romans wurde von Kafka schlicht als „K.“ bezeichnet, wie die Abkürzung seines Namens. Als Vornamen fügte er „Josef“ hinzu, wohl um seine eigene Identität, die mutmaßlich hinter dieser Figur steht, zu verschleiern.

Franz Kafka,1923 (1883 Prag–1924 Kierling)

Merkwürdige Verhaftung

K. wacht eines Morgens auf. Es ist - wie das Alter Kafkas zum Beginn der Niederschrift Anfang 1914 - sein 30. Geburtstag. Er wartet auf sein Frühstück, das ihm von der Köchin seiner Vermieterin sonst pünktlich gebracht wird. Es ist ein ungewöhnlicher Morgen. Denn anstelle des Frühstücks sieht er sich aus dem Bett heraus einer eigenartigen Verhaftung ausgesetzt, ohne sich irgendeines Vergehens bewusst zu sein und ohne dass ihm eine Begründung vorgelegt wird. „Wer sind Sie, fragte K. und saß gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann aber ging über die Frage hinweg, als müsse man seine Erscheinung hinnehmen… Sie sind verhaftet… Und warum denn?... Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen… Unsere Behörde … wird… von der Schuld angezogen und muss uns Wächter ausschicken.“  Die beiden uniformlosen Männer, die von Kafka als „Wächter“ bezeichnet werden und die Verhaftung aussprechen, stellen sich noch nicht einmal formell vor, als ob sie K. bekannt sein müssten oder aber es bei der Art des von K. begangenen Vergehens keiner Vorstellung bedarf. Einer der beiden Wächter heißt Franz, wie Kafkas Vorname. Sie geben vor nur ihren Auftrag zu erfüllen und dies mit größtem Wohlwollen gegenüber K., für den das Ganze unbegreiflich ist. Er „lebte doch in einem Rechtsstaat (der K.u.K.-Monarchie), überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte ihn in seiner Wohnung zu überfallen?“ Im Verlauf gesellt sich ein „Aufseher“ hinzu, der aber auch keinen Grund für seine Verhaftung benennt. Immerhin erlaubt er, dass K. weiter seinen beruflichen Verpflichtungen als Prokurist einer Bank nachkommt. Der Aufseher erlaubt sogar, dass K. einen befreundeten Staatsanwalt zur Klärung anrufe, was K. zwar zuerst beansprucht, aber dann doch nicht unternimmt, wohl merkend, dass dies keine Auswirkung auf das folgende Verfahren haben kann, so sicher, wie der Aufseher auftritt.

Nach dem Auseinandergehen von Wächtern, Aufseher und K. und seiner Rückkehr nach seiner üblichen Tätigkeit in der Bank trifft K. seine Vermieterin, die ihm mit all ihrer Einfachheit sagt „Sie sind zwar verhaftet, aber nicht so wie ein Dieb verhaftet wird… diese Verhaftung… kommt mir wie etwas Gelehrtes vor, das ich zwar nicht verstehe, dass man aber auch nicht verstehen muss.“  Es scheint als ob etwas Übergeordnetes im Spiel ist – etwas, was sich einfacheren Menschen nicht ohne Weiteres erschließt.

Verfehltes Verhör

Am Folgetag wird K. unterrichtet, dass am kommenden Sonntag eine Untersuchung seiner Angelegenheit stattfinden wird. Diese würde regelmäßig an einem Sonntag abgehalten werden, damit er seinem Beruf nachgehen kann. Die Untersuchungen würden gründlich sein und sollten rasch zu einem Ende kommen. Im Grunde lag das Urteil wie von einer höheren Gewalt bestimmt jedoch von vornherein fest, sonst wäre es gar nicht zur Verhaftung gekommen. Das Gericht findet nicht in einem formellen Gerichtsgebäude statt. Es hätte eigentlich überall abgehalten werden können. Es findet in einem versteckten Hinterzimmer auf dem Dachboden eines ärmlichen Wohngebäudes statt. K. kennt weder den genauen Ort, noch die genaue Zeit. Jedoch bewahrheitet sich was einer der Wächter bei der Verhaftung äußerte, „dass das Gericht von der Schuld angezogen werde“, so dass K. den Ort findet. Er versteht nicht im Geringsten, welchem Zweck das Verhör dient, wie es der Untersuchungsrichter bezeichnet. Dem Untersuchungsrichter ist völlig gleichgültig, ob K. Zimmermaler oder eben ein Bankprokurist ist. In inadäquater Weise versucht K. die Menge im Zuschauerraum für sich zu gewinnen, wie er es wahrscheinlich schon häufig in seinem Leben machte – imponieren zu wollen. Er strengt sich an, das Gericht sogar lächerlich zu machen, versäumt aber die Gelegenheit herauszufinden, was eigentlich zu seiner Verhaftung führte, welchen Vergehens er sich schuldig gemacht haben soll. So schließt der Untersuchungsrichter: „Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Sie sich… des Vorteils beraubt haben, den ein Verhör für den Verhafteten in jedem Falle bedeutet.“

Ungenutzter Rechtsbeistand

K. muss sich eingestehen, dass seine ursprüngliche Annahme, der „Prozess“ werde sich schnell in Luft auflösen, weil er jedes Grundes entbehre, nicht der Realität entspricht, so dass er auf den Vorschlag des ihn besuchenden Onkels eingeht, einen mit diesem befreundeten Advokaten aufzusuchen. Wie überhaupt jede der in dieser Erzählung auftauchenden Figuren (auch die hier nicht genannten) von seinem „Prozess“ zu wissen scheinen, als ob alle an seinen Gedanken Teilhabe hätten. Der Advokat nimmt anfangs wegen seiner Gebrechlichkeit etwas widerwillig die Rechtsvertretung von K. aus Freundschaft zu dessen Onkel an. Zufällig befindet sich beim kranken Advokaten dessen Freund, der Kanzleidirektor, der eigentlich alles über den Prozess von K. wissen müsste. Trotzdem versäumt K. die Gelegenheit an Ort und Stelle alles herauszufinden und zieht es vor sich der im Nachbarzimmer befindlichen Pflegerin (Leni) des Advokaten anzunähern und verlässt das für ihn eintönige Gespräch zwischen den älteren Herren, seinem Onkel, dem Advokaten und dem Kanzleidirektor. Bei seiner Beredsamkeit hätte es ihm bei ein wenig Empathie ein Leichtes gewesen sein müssen, das Gespräch auf seine Problematik zu lenken. „Sie Leni, sahen wahrhaftig nicht so aus, als ob Sie in einem Sprung zu gewinnen wären“, entschuldigt K. sein für Leni spätes Kommen. Ganz offensichtlich findet K. sich zu einfachen, leicht zu habenden Frauen hingezogen. Es dauert auch nicht lange bis sie sich näherkommen. „Müssen Sie denn immerfort an Ihren Prozess denken“, fragt Leni. „Ich denke wahrscheinlich sogar zu wenig an ihn“, antwortet K., womit er recht hat, zumindest nicht in der adäquaten Weise.

Denn Leni rät ihm: „gegen dieses Gericht kann man sich nicht wehren, man muss das Geständnis machen.“ Nach Austausch vieler Küsse, geleitet sie ihn nach draußen. Den wichtigen Kontakt zum Kanzleidirektor hat K. offensichtlich ganz vergessen. Dies wirft ihm auch mit bitteren Worten sein Onkel vor, der schon geraume Zeit im Auto draußen auf ihn wartete. „Du hast deiner Sache, die auf gutem Wege war, schrecklich geschadet. Verkriechst dich mit einem kleinen, schmutzigen Ding, das überdies noch die Geliebte des Advokaten ist, und bleibst stundenlang weg… Und unterdessen sitzen wir beisammen… der Kanzleidirektor vor allem, dieser große Herr, der deine Sache in ihrem jetzigen Stadium geradezu beherrscht.“ Ganz offensichtlich führt die wenig empathische Lebensweise K. ins Verderben.

Spirituelle Verurteilung

K. wird unter einem Vorwand in den Dom geführt. „Kirchendiener sind berufsmäßige Schleicher, man bemerkt sie nicht.“ Fast hätte er den Dom wieder verlassen. Doch es ertönt die mächtige Stimme des Geistlichen: „Josef K.!“  Er wird durch ein Winken des Fingers näher gerufen. „Du bist angeklagt“, sagt der Geistliche, und weiter „ich habe dich hierher rufen lassen, um mit dir zu sprechen.“ Es stellt sich heraus, dass der Geistliche der Gefängniskaplan ist. „Weißt du, dass dein Prozess schlecht steht?“„Es scheint mir auch so“, antwortet K. Der Geistliche konstatiert: „Ich fürchte, es wird schlecht enden. Man hält dich für schuldig.“„Ich bin aber nicht schuldig“, entgegnet K., worauf der Geistliche erwidert: „Du missverstehst die Tatsachen. Das Urteil kommt nicht mit einem Mal; das Verfahren geht allmählich ins Urteil über. Was willst du nächstens in deiner Sache tun?“„Ich will noch Hilfe suchen“, meint K. Der Geistliche bemerkt: „Du suchst zu viel fremde Hilfe“. Denn die Antwort liegt nur in einem selbst.

„In dem Gericht täuschst du dich“, erklärt der Geistliche und erzählt die Parabel „Vor dem Gesetz“ steht ein Türhüter, zu dem ein Mann vom Lande kommt und um Einlass bittet, welcher ihm jedoch verwehrt wird. Der Türhüter sagt, dass es zwar möglich sei, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Da das Tor zum Gesetz offensteht, wie immer, und der Türhüter zur Seite tritt, versucht der Mann ins Innere zu schauen. Als der Türhüter dies bemerkt, lacht er und sagt: „Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meinem Verbot hineinzugehen. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter.“  Denn von Saal zu Saal stehen weitere Türhüter, jeder mächtiger als der vorhergehende. „Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr vertragen“, führt er weiter aus. Der Mann ist verwirrt. Denn das Gesetzt sollte doch jedem offenstehen. Er beschließt besser zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommen sollte und erhält vom Türhüter einen Schemel, auf dem er sich an der Seite des Tores niedersetzen kann. „Dort sitzt er Tage und Jahre.“  Immer wieder fragt er nach Einlass, worauf der Türsteher immer wieder antwortet, dass es zwar möglich sei, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Der Mann wartet weiter. Er versucht den Türsteher zu bestechen, bietet ihm alles was er hat. Der Türhüter nimmt die Dinge auch an, sagt allerdings, dass er es nur tue, damit der Mann nicht glaube etwas versäumt zu haben. Der Mann vom Lande scheut die Verantwortung, er verschanzt sich hinter Gebot und Verbot. Er sucht für jeden Schritt eine Genehmigung, die ihm die Verantwortung abnimmt. Die Bequemlichkeit der Sicherheit und die Scheu vor der Verantwortung lähmen ihn in seiner Entfaltung, wie so viele Menschen. Als der Mann Flöhe im Pelzkragen des Türstehers ausmacht, bittet er selbst diese zu Hilfe - vergeblich. Die Jahre vergehen und der Mann wird immer gebrechlicher. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat: „Alle streben doch nach dem Gesetz… Wie kommt es, dass in den vielen Jahren, niemand außer mir Einlass verlangt hat.“  Der Türhüter antwortet: „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten. Denn dieser Eingang war nur für Dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“  Das Gesetz des Lebens wird hier als Räumlichkeit dargestellt, dessen Zugang nur über einen Eingang für einen bestimmten Menschen möglich ist. Der Geistliche und der verwirrte K. trennen sich schließlich, nicht ohne dass der Geistliche sich als Teil des Gerichtes geoutet hat.

Unbarmherzige Bestrafung

„Am Vorabend seines 31. Geburtstages… kommen zwei Herren in K.s Wohnung… Ohne dass ihm der Besuch angekündigt gewesen wäre, sitzt K., gleichfalls schwarz angezogen… in der Haltung wie man Gäste empfängt.“ Er fragt: „Sie sind also für mich bestimmt?“  K. hatte sie erwartet. „Die Herren nicken“ und fassen K. mit einem unwiderstehlichen Griff. „Es wäre nichts Heldenhaftes“, wenn er jetzt widerstehen würde, „wenn er jetzt in der Abwehr noch den letzten SCHEIN DES LEBENS zu genießen versuchte.“„Ich wollte immer mit zwanzig Händen in die Welt hineinfahren und überdies zu einem nicht zu billigenden Zweck. Das war unrichtig. Soll ich nun zeigen, dass nicht einmal der einjährige Prozess mich belehren konnte“, sagt K. zu sich und ist froh, dass man ihm selbst überlassen hat, „das Notwendige zu sagen“. Sie verlassen die Stadt, hinaus zu einem abgelegenen Steinbruch. Einer der Herren zieht K. die Kleidung aus, welche er selbst sorgfältig zusammenlegt. „Wo war der Richter, den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht, bis zu dem er nie gekommen war? Er hebt die Hände und spreizt alle Finger. Aber an K.s Gurgel legen sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm tief ins Herz stößt und zweimal dort dreht… Wie ein Hund!, sagt er, als sollte die Scham ihn überleben.“

Franz Kafka. Der Prozess. In: Gesammelte Werke. Hrsg. Max Brod. Fischer Verlag, Frankfurt/M, 1983

Die mir bekannten Interpretationen dieses eindrucksvollen, unvollendeten Werkes verfehlen den versteckten Inhalt. Aus meiner Sicht, spielt Kafka mit der doppelten Bedeutung des Wortes „Prozess“ im Deutschen. Es bedeutet eben nicht nur „trial“ wie vordergründig ins Englische übersetzt, sondern eben auch den Werdegang, das „Werden“ schlechthin, bezogen auf „K.“, ihn selbst. Es ist die Menschwerdung, um die es geht, was K. versäumte. Der gesamte Roman ist emotionslos, dabei sehr detailliert geschrieben, wie von einem Juristen, was Kafka in der Tat war. Er arbeitete, ihn wenig erfüllend, als Jurist im Management eines halbstaatlichen Versicherungsinstitutes. Die Schreibform ist genial gewählt, um das fehlende Menschliche der Hauptfigur zu verdeutlichen. Die Interpretation des Buches ist in der Tat schwierig, einmal weil es um eine surreale Geschichte geht, wie die Erzählung eines Traumes, und zum anderen, weil es ein Fragment ist, mit dem Kafka noch nicht fertig war. Eine endgültige Überarbeitung des Romans, um den versteckten Sinn klarer herauszuarbeiten, konnte also von Kafka nicht vorgenommen werden.  Im letzten Jahr vor seinem Tod, aus dem obiges Foto von Kafka stammt, hielt er sich mit seiner letzten Lebensgefährtin in Berlin auf, in einem Haus an der Grunewaldstraße, gerademal 8 km entfernt, wo ich jetzt über sein anspruchsvolles Buch meditiere. Er war nie verheiratet oder konnte eine nachhaltige Beziehung zu einem Lebenspartner entwickeln, mit Ausnahme der Freundschaft zu Max Brod, der ihn immer wieder zum Schreiben ermunterte und sich nach seinem Tod um seine Werke kümmerte. Ohne ihn hätten wir niemals von diesem genialen Roman von Kafka gehört. Franz Kafka ist viel zu früh als 40-Jähriger an Tuberkulose in einem kleinen Kurort in Österreich verstorben.

Für mich erscheint die Essenz seiner versteckten Gedanken dieses Romans klar vor Augen. Ein wichtiger Hinweis für eine angemessene Interpretation wird in der Novelle durch den Geistlichen gegeben, der K. erklärt: „Du suchst zuviel fremde Hilfe“. Denn die Antworten liegen in einem selbst. Es geht um die Rechtfertigung, was man aus seinem Leben gemacht hat, wie man mit den eigenen Talenten umgegangen ist. Das Gericht dafür ist nicht in einem offiziellen Gerichtsgebäude angesiedelt, sondern wie in dieser surrealen Erzählung irgendwo und überall, zufälligerweise auf dem Dachboden eines Wohngebäudes. Tatsächlich ist es in jedem von uns. Die Richter sind versteckt und nicht einfach zu orten, tief im Innern unseres Unterbewusstseins oder im Überich. Deshalb konnte man sich ihnen in der Erzählung nicht annähern. K. hat es nicht geschafft eine wirkliche menschliche Beziehung aufzubauen. Er fühlt sich, animalisch angetrieben, zu einfach strukturierten Frauen hingezogen – sei es seine „Elsa“ (oben wg. ihrer Belanglosigkeit gar nicht erwähnt), einer Kellnerin, sei es seine Nachbarin „Fräulein Bürstner“ (ebenfalls wegen Belanglosigkeit oben nicht erwähnt), einer leicht zu habenden Frau und Schreibmaschinistin oder der Pflegerin seines Advokaten, „Leni“. K. ist zwar äußerlich erfolgreich in seinem nüchternen Beruf als Prokurist einer Bank, jedoch ohne innere Erfüllung oder Hingabe. Der Geistliche macht ihm klar, dass er noch nicht einmal die erste Stufe DES PROZESSES der Menschwerdung, die erste Räumlichkeit des Gesetzes des Lebens, der Menschwerdung genommen hat, trotz seiner Talente. Er war nicht in der Lage, ein Mensch zu werden, der sich wirklich um etwas kümmert, der Gefühle hat, der zur Liebe fähig ist, ohne dass dies in der Geschichte explizit ausgesprochen wird, jedoch klar in Bildern gezeigt ist – so wie dies Träume eben tun. Die notwendige Bestrafung ist von Anfang an klar. Der vordergründige Prozess dient nur zur Absicherung der Strafe. Diese kann nur maximal sein, die er sich im Grund selbst gibt, sterben „wie ein Hund“ und nicht wie ein menschliches Wesen.

Die Essenz dieses eindrucksvollen Romans, entwickelt auf zwei Ebenen, einem externen (Gerichtsverfahren) und einem internen Prozess, geht uns alle an: Was haben wir aus unseren Talenten, unserem Leben gemacht? Es liegt an uns, diese Frage nicht zu spät zu stellen. Sonst sterben wir einfach, ohne dass dies zur Kenntnis genommen wird. Wir werden noch nicht einmal mitnehmen, dass wir überhaupt gelebt haben. Wenn wir es aber schaffen in anderen weiter zu leben, so dass sie an uns denken, uns lieben, sterben wir nie wirklich.

„Unser Herz ist weit …“

25/11/2022

„… aber unsere Möglichkeiten sind endlich“ (Joachim Gauck). Breiten Raum nimmt derzeit in unseren Medien die Diskussion ein, warum der Spielführer unseres Fußball-Nationalteams nicht eine Armbinde tragen darf, was die Minderheiten von Homosexuellen & Diversen in der öffentlichen Akzeptanz unterstützen soll. Es gibt eben Länder mit anderen gesellschaftlichen Regeln, die zu tolerieren sind. So einfach ist das. Punkt.

Was dagegen derzeit im ÖRR & den Massenmedien als Tabu-Thema von ihren zu über 90% mit Bündnis90/Grünen sympathisierenden Redaktionen völlig verschwiegen wird, ist die gigantische Flüchtlingswelle, die uns derzeit heimsucht. Bis zum Oktober d.J. sind bereits 1,2 Mio. ukrainische Flüchtlinge, sowie 0,15 Mio. Asylbewerber/innen anderer Nationen (insbes. aus Afghanistan, Syrien, Türkei & Tunesien) in unser Land gekommen. Dies sind jetzt schon 50% mehr als im Jahr 2015 (damals 0,9 Mio.), was zu gesellschaftlichen Umwälzungen bei uns führte. Nachdem der türk. Präsident Recep Erdogan seinem Mitbewerber bei der nächsten Präsidentenwahl, dem OB der 16-Millionen-Metropole Istanbul, Ekrem Imamoglu, weitere Unterstützung bei der Beherbergung von ca. 2 Mio. Flüchtlingen aus dem Nahen Osten entzogen hat, ist mit einer weiteren, exzessiven Flüchtlingswelle über die Balkanroute zu rechnen. Die allermeisten wollen wegen der wenig restriktiven Gesetzgebung und dem fürsorgenden Sozialsystem nach Deutschland. Weitere Flüchtlingsströme über Italien und die Schweiz werden einfach durchgewinkt. Laut UNO sind derzeit 103 Mio. Flüchtlinge unterwegs …

Weltweite Flüchtlinge lt. UNO. Die meisten sind innerhalb eines Landes Vertriebene (zB Uiguren in China)

Dabei ist unsere Aufnahmekapazität an weiteren Ausländern, so wohlwollend wir sind, erschöpft. Die Landräte der Kommunen sind verzweifelt und sehen sich nicht mehr in der Lage, weitere Flüchtlinge zu versorgen. Schon jetzt haben wir in Deutschland einen Ausländeranteil von 15,7 %, ähnlich wie in den sehr viel größeren U.S.A. (15,4 %), mehr als in anderen europ. Staaten wie Frankreich (12,8 %) oder Italien (8,7 %) und weitaus mehr als in anderen reichen Industrienationen wie S-Korea (2,3 %), Japan (2,0 %) oder gar China (0,06 %). Letzteres will Weltmacht sein und kommt seiner humanistischen Verantwortung in keiner Weise nach. Jeder 4. Einwohner unseres Landes hat einen Migrationshintergrund. Etwa 50 % aller Grundschüler/innen bei uns haben einen Migrationshintergrund, in manchen Kommunen, wie Offenbach, sogar über 90 %! Millionen sind also bereits gut integriert. Im letzten Jahr haben wir allein für asylbedingte Kosten € 21,6 Mrd. aufgebracht. Ich finde dies wichtiger als € 100 Mrd. für Waffen und hoffentlich flugtaugliche Kampfjets aus den U.S.A. auszugeben (an das Starfighter-Desaster der 1960/70er Jahre sei erinnert), aber unsere Ressourcen und gesellschaftliche Akzeptanz sind endlich. In der derzeitigen Energie-/Inflationskrise und der bevorstehenden Rezession ist dies von enormer Brisanz, wenn nicht gar sozialer Sprengstoff. Selbst die Akzeptanz bereits gut integrierter Menschen mit Migrationshintergrund ist gefährdet. Die Übergriffe auf Flüchtlingswohnheime nimmt zu, ebenso wie die Ausländerkriminalität. Etwa 38% aller Gewaltstraftaten werden derzeit von Ausländern untereinander oder an uns gutmeinenden „Gastgebern“ verübt.

Deutschland hat aufgrund seiner leidvollen und grausamen Geschichte zweifelsohne eine besondere Verantwortung gegenüber Flüchtlingen, aber auch gegenüber der Minderheit unserer Mitbürger/innen mit jüdischer Religion. Die unkontrollierte Einwanderung von in ihrer Grundhaltung antisemitischen Bevölkerungsgruppen ist zu stoppen. Wenn Deutschland als Staatsform überhaupt nur ein einziges außen- und innenpolitisches Prinzip haben sollte, dann ist es der Schutz von Menschen mit jüdischer Religion. Das unsagbare Leid des von Nazi-Deutschen verübten Holocaust mit über 6 Mio. Opfern gebietet dies. Ebenso stehen wir in der Verantwortung gegenüber russischen Menschen. Damit meine ich die russischen Familien, die derzeit vor den Schergen des Putin-Regimes flüchten, nur mit dem, was sie tragen können, mittellos, aufgrund unreflektierter Sanktionen ohne Möglichkeit ihre Kreditkarten zu benutzen. Erinnert sei an die mehr als 24 Millionen russischen Opfer durch den deutschen Angriffskrieg während der Nazi-Diktatur. Die gewachsene deutsch-russische Freundschaft, der wir unsere Wiedervereinigung zu verdanken haben, bestand vor Putin. Es wird auch nach Putin noch ein Russland geben, bereit diese Freundschaft wieder aufzunehmen. Jetzt stehen wir in der Verantwortung gerade diesen russischen, und nicht nur den ukrainischen Flüchtlingen zu helfen.

Eine Flüchtlingsfamilie aus Stalingrad, 1942

Ein Staat, der seine Grenzen und Bevölkerung nicht schützen kann, hat seine Legitimation verwirkt (John Locke). Gleichzeitig müssen wir unsere Anstrengungen die Ursachen der gigantischen Flüchtlingsbewegungen zu bekämpfen um ein Vielfaches erhöhen. Offensichtlich müssen wir dies allein tun. Denn die EU findet seit 8 Jahren keine Regelung die über inhumane, kommerzielle Schlepperbanden organisierte Zufuhr von überwiegend Wirtschaftsflüchtigen zu stoppen. Was ist also zu tun?

1) Der Schengen-Vertrag muss wegen fortgesetztem Missbrauch außer Kraft gesetzt werden, d.h. es müssen wieder obligatorische Grenzkontrollen an Flughäfen, Bahnhöfen, Häfen und Fernstraßen für alle Einreisenden erfolgen.

2) Einreisewillige, die einen Asylantrag stellen wollen und ihre Identität & Fluchtgrund durch Dokumente/Beweismittel an der Grenze nicht nachweisen können, werden nicht ins Land gelassen. Asylanträge sollten vorzugsweise in unseren Botschaften der Herkunfts- oder Nachbarländer der Asylsuchenden gestellt werden. Dies muss weltweit kommuniziert werden.

3) Alleinstehende Flüchtlinge, idR junge Männer, die offensichtlich nur an sich denken und ihre Familie (Kinder & Frauen) dem Unglück in ihren Herkunftsländern allein überlassen (denn wegen unerträglicher Zustände in ihrem Heimatland kommen sie doch), sollten grundsätzlich zurückgewiesen werden.  

4) Alle bereits in unserem Land befindlichen Asylsuchenden, deren Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde, werden binnen 2 Wochen in ihre Herkunftsländer rücküberführt. Herkunftsländer, die sich einer Wiederaufnahme entgegenstellen, werden mit wirtschaftlichen Sanktionen und sofortigem Stopp von Entwicklungshilfen belegt.

5) Unmittelbar gefährdete Flüchtlinge aus Kriegsländern, die woanders keine Zuflucht erhalten, wie derzeit russische Familien, sind aus humanitären Gründen zu bevorzugen.

6) Flüchtlinge sind zur Vermeidung einer Ghettobildung und Kriminalisierung dezentral unterzubringen mit einem zu organisierenden Patenschaft-System. Innerhalb der ersten 3 Monate des Aufenthalts bei uns muss ein Intensiv-Deutsch-Sprachkurs für alle Flüchtlinge obligat sein.

7) In den bekannten Herkunftsländern der überwiegenden Wirtschaftsflüchtigen (kein Asylgrund!) müssen endlich Anwerbungskampagnen gestartet werden, um den Menschen eine sichere Einreise zu uns zu gewährleisten, die wir als Arbeitnehmer wirklich brauchen. Schwerpunkt der in vielen dieser Länder befindlichen Goethe-Institute sollte nicht die Vermittlung Goethes Lyrik, sondern die Durchführung von Deutschkursen für geeignete Einreisewillige sein.

8) Alle Ausländer unabhängig von einer Asylberechtigung, vorzugsweise Familien, die ihre Heimat wegen unerträglicher Zustände verlassen wollen, sind in unserem Land willkommen, wenn sie für sich selbst sorgen können.

9) Flüchtlingslager in der Nähe der Fluchtgebiete müssen großzügig unterstützt und vor Menschenhändlern sicher gemacht werden.

10) Entwicklungshilfen müssen die wirklich betroffenen Menschen erreichen und nicht in die Taschen der herrschenden Sozialschichten dieser meist autokratischen Länder fließen.

Das politische System unseres Landes versagt wieder einmal wie schon zuvor bei der Übertölpelung durch raffgierige Unternehmen während der Corona-Krise, wie bei der zum Teil selbstverschuldeten Energiekrise oder der selbst heraufbeschworenen Inflation. Die Bundesregierung duckt sich einfach weg und hat nichts, aber auch gar nichts aus der Flüchtlingskrise 2015 gelernt. Seitdem sind 7 Jahre vergangen, ohne dass wirklich effektive Maßnahmen zur Beseitigung oder Linderung der Fluchtursachen ergriffen wurden. Unsere Innenministerin, Fr. Nancy Faeser, der es wichtiger ist, sich mit sexuellen Minderheiten unserer Wohlstandsgesellschaft zu identifizieren, als sich um die Not der wirklich Bedürftigen zu kümmern, sollte wegen völliger Unfähigkeit sofort von ihren Aufgaben entbunden werden.

"Wir sind das Volk"

4/10/2022

Gestern war der „Tag der Deutschen Einheit“. Es ist ein Feiertag, der vom 17. Juni auf den 3. Oktober transferiert wurde. Er sollte eigentlich „Tag der Deutschen Wiedervereinigung“ heißen. Denn an diesem Tag trat 1990 der Einigungsvertrag gesetzlich in Kraft, mit dem die ehemalige DDR der Bundesrepublik Deutschland beitrat.

Nicht mehr als 90.000 Menschen fanden sich zu diesem Festtag deutscher Geschichte in Erfurt, der Hauptstadt Thüringens, ein, welches Ort der diesjährigen Feierlichkeiten war, da das Bundesland Thüringen derzeit den Vorsitz im Bundesrat einnimmt. Zum Vergleich: zum „Rave the Planet“ in Berlin am 9. Juli, kamen mehr als 200.000 Menschen zusammen, um ihrer Freude am Club Dancing Ausdruck zu verleihen. Leider wurde von den Offiziellen mehr über Probleme bei der inneren Einheit als über deren Glück gesprochen. Zumindest wurde in Erinnerung gerufen, dass es die Montagsdemonstrationen im Herbst vor 33 Jahren in Leipzig waren, die der Ursprung der Wiedervereinigung waren.

Eine der vielen Montagsdemonstrationen, Leipzig im Herbst 1989 (Stiftung Haus der Geschichte; EB-Nr. LEMO F 4/024; Gerhard Gäbler).

Es war eine friedliche Revolution der Deutschen der ehemaligen DDR. In der damaligen BRD hatte man bis zuletzt nicht an einen solchen Geschichtsverlauf gedacht. Zu sehr waren die Fronten des „Kalten Krieges“ in einen West- und einen Ostblock erstarrt, getrennt durch einen „Eisernen Vorhang“ quer durch Zentraleuropa mit der Berliner Mauer als Mahnmal. Wer diese von Ost nach West durchqueren wollte, lief Gefahr, erschossen zu werden. Keiner der westdeutschen Politiker, seien es der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt oder sein Nachfolger Helmut Kohl, hatten diese Wendung vorhergesehen oder auch nur im Geringsten erahnt. Es geschah einfach, weil es ein Volk so wollte. Dies war auch der von den Staatsautoritäten der ehemaligen DDR nicht zu überhörende Ruf Hunderttausender: „Wir sind das Volk“.

Nicht erwähnt wurde jetzt bei den Feierlichkeiten in Erfurt, dass diese glückliche Wende in der deutschen Geschichte letztlich von einem Mann ermöglicht wurde, dem damaligen Staatsführer der ehemaligen UDSSR, Michail Gorbatschow, der unlängst, am 30.8.22 91-jährig in Moskau verstarb, ohne dass ein Abgesandter der deutschen Bundesregierung bei seinem Begräbnis zu seinen Ehren zugegen war. Gorbatschows Politik „Glasnost & Perestroika“ (Transparenz & Umgestaltung) hat den Weg für die Wiedervereinigung erst frei gemacht. Er hat in Vertretung des russischen Volkes das unendliche Leid verziehen, dass die Nazi-Wehrmacht und SS 1941-45 über die Sowjetunion mit über 24 Millionen Toten brachte. Für mich gehört Michail Gorbatschow zusammen mit Nelson Mandela und Mahatma Gandhi zu den größten politischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Helmut Kohl war es dann, der die Gunst der Stunde erkannte und die Wiedervereinigung, jedoch unter einer weitgehenden Deindustrialisierung des ehemaligen Staatsgebietes der DDR, umsetzte. Dies geschah gegen große Widerstände im befreundeten Westen, die ein Wiedererstarken Deutschlands fürchteten.

Jetzt kommt es wieder zu regelmäßigen Montagsdemonstrationen in vielen Bundesländern in Deutschland, selbst gestern am „Tag der Deutschen Einheit“, mit Tausenden Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft auf den Straßen, die eine zweite Deindustrialisierung fürchten, die unter einer galoppierenden Inflation leiden, ausgelöst durch einen Stopp der kostengünstigen Energiezufuhr aus Russland, was unsere gesamte Industrie gefährdet und die Preise für alle Waren in die Höhe treibt. Es ist die desolate Politik der jetzigen Regierung unter Scholz, Habeck, Lindner & Co, die unsere bisher prosperierende Wirtschaft zum Abschuss freigegeben hat. Ich habe mich geschämt, als der Bundeskanzler Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Washington, DC, Anfang des Jahres schweigend zuhörte, als der US-Präsident unsere nicht mehr vorhandene Souveränität bloßstellte und das Ende von North Stream II verkündete, unserer Garantie für kostengünstige Energiezufuhr aus Russland als Folge einer über Jahrzehnte sich entwickelten und von der weisen Ostpolitik Willy Brandts eingeleiteten Entspannung und Aussöhnung mit dem Osten.

Unsere letzte Kanzlerin, Frau Dr. Merkel, konnte dem jahrelangen, profitorientierten Bestreben der USA Nord Stream II nicht zu öffnen noch widerstehen. Der schwächste Kanzler, den Deutschland je hatte, unfähig zu führen, Olaf Scholz konnte dies nicht – ein „chicken“ für die mächtigen Hintermänner der US-Regierung. Auch jetzt schweigt Kanzler Scholz wie seine gesamte Regierung überwiegend unausgebildeter, inkompetenter Minister/innen, nachdem mutmaßlich durch die US-Navy beide North Stream Pipelines durch einen allseits bestätigten Sabotageakt wohl für immer zerstört wurden, gerade als der Ruf nach einer Öffnung von North Stream II in unserer desolaten Energielage immer lauter wurde. Die Evidenz mit vor Ort gewesenen Kriegsschiffen der USA mit just der Spezialeinheit an Bord, die für solche Unterwasseroperationen in 70 m Tiefe notwendig sind, das Ausschalten des AIS (automat. Erkennungssystem) des verantwortlichen Schiffes ist kaum zu widerlegen, so dass von deutscher Seite in devoter Haltung lieber geschwiegen wird. Der „gleichgeschaltete“ Journalismus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fragt noch nicht einmal nach. Als Russland diesen Sabotageakt vor den UN-Sicherheitsrat brachte, wurde dies am Folgetag in den Nachrichten noch nicht einmal erwähnt. Der Beschluss des UN-Sicherheitsrat zu den Referenden in den von Russland annektierten Landesteilen der Ukraine am gleichen Tag wurde freilich berichtet, obwohl wir davon nicht direkt betroffen sind.

Die jetzige Bundesregierung und ihre tragenden politischen Parteien sollten jedoch nicht vergessen, dass wir uns nicht so leicht unsere Freiheit, unsere Souveränität nehmen lassen. Nach einer neuerlichen ARD-Umfrage sind nur noch 29% der Bevölkerung mit der Arbeit der derzeitigen Regierung zufrieden, d.h. eine überwältigende Mehrheit steht nicht mehr hinter dieser Regierung. Ich habe die Unfähigkeit dieses Bundeskanzlers Krisen zu bewältigen schon vor der Bundestagswahl im letzten Jahr detailliert in einem Blog beschrieben. Ich kann nur hoffen, dass er so schnell wie möglich aus seinem, ihn überfordernden Amt beseitigt wird. Falls dies nicht geschieht, wird der Unmut auf den Straßen zunehmen und ad extremum das gesamte politische Establishment zum Einsturz bringen. Die Montags-Demonstrationen vor 33 Jahren haben dies vorgemacht: „Wir sind das Volk“.

Führungsdesaster

1/6/2022

Am 26. September letzten Jahres war die 20. Bundestagswahl unseres Landes. Die Wahlbeteiligung betrug beachtliche 76,6 %, obwohl sich Spitzenkandidaten/innen für das politisch mächtigste Amt in Deutschland von drei Parteien zur Wahl stellten, die allesamt schon bewiesen hatten, dass sie für das verantwortungsvolle Amt des Bundeskanzlers nicht geeignet waren. Ich hatte mir damals überlegt überhaupt zur Wahl zu gehen, bin dann meiner staatsbürgerlichen Pflicht doch nachgekommen (s. mein Blog v. 11.9.21).

Erinnern wir uns. Herr Armin Laschet, ehemals Parteivorsitzender der CDU, hatte sich bei der verheerenden Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021 während der Ansprache des Bundespräsidenten über die Trauer von mehr als 180 Toten und dem Verlust von Hab und Gut Tausender nicht verkneifen können seine Witzchen zu machen. Er fiel bei der Bundestagswahl auch krachend durch und musste alle Ämter räumen. Warum ihn seine Partei, die das „C“ für christlich in ihrem Namen trägt, nicht schon vor der Wahl zurückgezogen hatte, weiß wohl nur sie selbst. Mit Anstand und Moral hatte dies jedenfalls nichts zu tun. Die Quittung kam postwendend vom Wahlvolk.

Frau Annalena Baerbock vom Bündis90/Die Grünen, die ihren Lebenslauf mit falschen Angaben „geschönt“ hatte, um besser dazustehen, war sicher verantwortlich, dass „Die Grünen“ ein für sie enttäuschendes Wahlergebnis einfuhren, trotz im Vordergrund stehender Debatten um Umwelt und Klima. Ihr ausufernder Ehrgeiz hat sie wenigstens in die Position des Außenministers gebracht, wobei ihr die Vizekanzlerposition verwehrt blieb. Als Außenministerin hat es Frau Baerbock in kürzester Zeit geschafft aufgrund ihrer vielen Versprecher und Unfähigkeit vorgefertigte Texte fehlerfrei vom Blatt abzulesen im Netz zur Witzfigur zu werden. Als Außenministerin agiert sie, wie zu erwarten war, mit übersteigertem Selbstbewusstsein und Anmaßung, so dass sie ihren Bundeskanzler wiederholt in Bredouille bringt, der sie nur aufgrund eigener Führungsschwäche nicht zur Räson bringen kann. Zusammen mit ihrem Parteikollegen, Robert Habeck, der als Wirtschafts- und Klimaschutzminister zum Vizekanzler erhoben wurde, verrät sie fortwährend die pazifistische Grundidee ihrer Partei. Ihr Einsatz, geblendet durch die überragende Politik-Kampagne des ukrainischen Präsidenten, für Waffenlieferungen, selbst von Angriffswaffen, an die Ukraine ist für besonnene und friedliebende Menschen nicht zu ertragen. Denn dies wird den russischen Präsidenten weder abschrecken, noch den Krieg beenden, nur verlängern mit fortgesetztem Leid für das ukrainische Volk. Oder glauben die „Grünen“ wirklich daran Russland besiegen zu können? Trotz größtmöglichen Waffeneinsatzes ist es den USA und seinen Alliierten nicht gelungen in einem 20-jährigen Krieg die Taliban in Afghanistan zu besiegen. Sie fallen darauf herein, den Krieg so lange wie möglich hinauszuzögern, damit der immense Einnahmeverlust der in den USA und UK extrem mächtigen Waffenindustrie nach Beendigung des Afghanistankrieges kompensiert wird. In der Tat scheinen die USA einen langdauernden Stellvertreterkrieg mit Russland führen zu wollen. Ihr Stellvertreter ist die Ukraine, dessen Präsident die besten „Spin-Doktoren“ zur Seite gestellt wurden, um einen bisher nicht gesehenen, weltweiten Werbefeldzug für die Ukraine zu organisieren. Emotionale Bilder des Kriegsschauplatzes Ukraine werden von den angelsächsischen Nachrichtenagenturen in alle westlichen Länder vermittelt, die unkritisch selbst offensichtlich gestellte Aufnahmen übernehmen. Wie kann es sein, dass auf den Bildern der in Burtscha offensichtlich getöteten Zivilisten, blütend weiße Fesseln der auf ihren Rücken gebundenen Hände für das kritische Auge zu sehen waren? Wie kann es sein, dass zu keinem Zeitpunkt während der Besatzung durch die Russen auf den Straßen liegende tote Zivilisten von Satelliten entdeckt und mitgeteilt wurden, aber gleich nach Übernahme der ehemals besetzten Gebiete durch die ukrainische Armee festgestellt wurden. Weiß ist übrigens die Farbe der Nationalisten in der Ukraine. Waren dies möglicherweise Kollaborateure, die mit den russischen Aggressoren zusammengearbeitet haben. Warum findet keine unabhängige forensische Untersuchung statt bevor man, wie jetzt geschehen, von „Genozid“ redet (US-Präsident Joe Biden). Ich möchte keinen Zweifel aufkommen lassen. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf Befehl Putins muss gestoppt werden. Wir erinnern uns, die „Chamberlain“-Politik hat Hitler nur stimuliert weiter sein Unwesen zu treiben. Nur eine führungsstarke „Churchill“-Politik kann Putin in die Schranken weisen. Wer dieser in der EU nicht folgt, wie derzeit Ungarn, sollte aus der EU entlassen werden.

Petra Kelly, Mitgründerin der „Grünen“ und Vertreterin der Krefelder Initiative, hier bei Künstler für den Frieden, Bochum, 1982. Der Krefelder Appell war ein Aufruf der deutschen Friedensbewegung an die Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa (NATO-Doppelbeschluss) zurückzuziehen und auf eine Beendigung des atomaren Wettrüstens zu drängen (www.bundesarchiv.de, Bild 183-1982-0912-015 / Rainer Mittelstädt / CC-BY-SA 3.0).

Unser Bundeskanzler, Herr Olaf Scholz, ist eigentlich durch mangelndes Charisma, fehlende Empathie und mangelnde Krisenkompetenz nicht zu unterbieten. Dem exzellenten Wahlkampf von Herrn Lars Klingbeil, dem jetzigen Parteivorsitzenden der SPD ist es zu verdanken, dass er aus der letzten Bundestagswahl als relativer Sieger, freilich mit einem desaströsen absoluten Wahlergebnis hervorging. Gerade mal 25,7 % votierten mit der Zweitstimme für die SPD, also für Herrn Scholz – gemessen an der Wahlbeteiligung ist dies noch nicht einmal jeder 5. Wahlberechtigte, der ihm dieses hohe Amt zugetraut hat. Wie sollten sie auch. Herr Scholz hat in seiner Zeit als 1. Bürgermeister von Hamburg (2011 - 2018) bewiesen, dass er Krisen nicht managen kann. Die Straßenschlachten und Plünderungen im Schanzenviertel während des G20-Gipfels 2017 mit brennenden Barrikaden und besetzten Häusern sind sicher vielen noch vor Augen. Seine Verstrickung mit den mutmaßlich kriminellen, in jedem Fall amoralischen Cum-Ex-Geschäften der Warburg Bank sind bisher heute nicht restlos aufgeklärt. Als Finanzminister des Bundes (2018 – 2021) hat sich unter seinen Augen und seiner Aufsichtspflicht der größte Finanzskandal Deutschlands, der Wirecard-Milliardenbetrug, ereignet. Aber die größte Peinlichkeit stand ihm noch bevor. Wie ein Schulbube stand er während der Pressekonferenz bei seinem Antrittsbesuch in den U.S.A. neben dem US-Präsidenten Joe Biden, als dieser, der US-Präsident trotz seiner offensichtlichen Senilität das Ende der North Stream II Erdgaspipeline verkündete, um dessen Erhalt die deutsche Wirtschaft solange gekämpft hatte, und dessen Schicksal allein im Verantwortungsbereich des Bundeskanzlers und nicht des US-Präsidenten lag. Ich habe mich ob dieses geradezu devoten Verhaltens unseres Bundeskanzlers geschämt.

Bundeskanzler Olaf Scholz beim Antrittsbesuch in den U.S.A. am 8.2.2022. Rechts der US-Präsident Joe Biden, der das Ende von North Stream II verkündete, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren (Screenshot der Pressekonferenz), was offensichtlich keinerlei Wirkung zeigte.

Und unser Bundespräsident, Herr Frank-Walter Steinmeier, der mit so überwältigender Mehrheit der Bundesversammlung sein Amt für weitere 5 Jahre verwalten darf? Er hat eigentlich eine von der Verfassung ihm auferlegte Aufsichtspflicht über die Exekutive und Legislative. Er muss neue Gesetze auf ihre Verfassungstreue prüfen und die Exekutivmitglieder im Amt bestätigen. Dieser unser höchster Repräsentant unseres Landes muss sich vom ukrainischen Botschafter beleidigen lassen, um anschließend bei der Ausladung des vorgehabten Staatsbesuches der Ukraine, auch noch öffentlich demütigen lassen, trotz der immensen humanitären und wirtschaftlichen Hilfe, die unser Land der Ukraine gewährt.

In diesen Händen liegen also die Geschicke unseres Landes derzeit. Coronakrise, Ukrainekrise, Energiekrise, galoppierende Inflation, Demontage unserer Autoindustrie, unkontrollierte Masseneinwanderung und bevorstehender Zusammenbruch des Rentenversicherungssystems sollen von diesen politischen „Kräften“ gemeistert werden? Armes Deutschland! Es wird Zeit, diese unfähigen Politiker aus dem Amt zu jagen. Alternativen sind durchaus erkennbar: Herr Lars Klingbeil bei der SPD, Herr Norbert Röttgen bei der CDU, Herr Cem Özdemir bei den Grünen und Volker Wissing bei der FDP, welcher politischen Orientierung man auch anhängen sollte. Bei der AFD sehe ich niemanden. Die Linke sollte sich auf ihre größte politische Persönlichkeit besinnen, Sahra Wagenknecht.

Ostern

17/4/2022

Das Osterfest ist viel älter als das christliche Ostern. Es ist ein Frühlings- und Fruchtbarkeitsfest. Es wurde immer beim ersten Vollmond im 4. Monat jedes Jahres gefeiert. Osterhasen und Ostereier sind Fruchtbarkeitssymbole, die auch heute noch in Form von Schokoladenspezialitäten verschenkt werden. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als wir, mein jüngerer Bruder und ich, mit unserer Mutter immer zu Ostern in den Wald gingen. Das erste Grün ließ den Wald so wunderschön erscheinen. Sie versteckte die leckeren Ostereier während des Spazierganges so geschickt, dass wir es nicht bemerkten. Wir hatten sie zu suchen und natürlich fanden wir diese. Dies verbindet mich ganz persönlich mit dem Osterfest.

"Das erste Grün", iPhone (Direktaufnahme), 2013

Mit Osterfeuern hat man seit Vorzeiten den kalten Winter vertreiben wollen, der die Natur lahmlegt. Das Christentum hat dieses Brauchtum dann vereinnahmt und die Auferstehung Christi in diese Zeit gelegt, an den Sonntag nach dem ersten Vollmond im astronomischen Frühling. Dieses Jahr war der Vollmond gestern am 16.4.22, den man bei dem klaren Himmel über Berlin besonders gut sehen kann. Deshalb ist Ostern ein bewegliches Fest und hat nichts mit dem historischen Datum der Auferstehung Christi zu tun, an die die Christen glauben wollen, ja müssen. Denn die Auferstehung ist ein zentrales Element der christlichen Religion. Für mich ist viel wichtiger das, was Jesus von Nazareth, einer der größten Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte, gesagt hat. In seiner Bergpredigt, der inhaltlich wohl wichtigsten seiner vielen Ansprachen an die Menschen, machte er unmissverständlich klar: „Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: du sollst deinen Nächsten lieben (Lev 19,18) und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5,43-44). Jesus verstand, dass Gewalt nur wieder Gewalt erzeugt in einem tödlichen Kreislauf.

Wenn man dies nur heute beherzigen würde. Der ukrainische Präsident Selenskyj sät Hass über alle Russen, Menschen, die nichts dafürkönnen, dass sie Russen sind. Im Gegenteil, sie können stolz sein Russen zu sein in Anbetracht der kulturellen Errungenschaften, die das russische Volk in der Vergangenheit hervorgebracht hat, sei es auf dem Gebiet der Musik (Tschaikowski, Schostakowitsch, Rimski-Korsakow, Prokofjew, Mussorgski, Strawinsky etc), der Literatur (Tolstoi, Dostojewski, Puschkin, Pasternak, Tschechow, Gorki, Solschenizyn etc), oder der bildenden Künste (Chagall, Kandinski, Jawlensky, Kramskoi etc).  Leider wurde die russische wie auch die ukrainische Gesellschaft enormen Veränderungen unterworfen. Die gegenwärtigen, russischen und ukrainischen Gesellschaften sind gekennzeichnet durch eine Negativ-Selektion über drei Generationen während der Sowjet-Ära. Millionen kreativer Menschen wurden getötet: während der Revolution mit folgender Hungersnot 1917-22 (14 Millionen Tote), während der Deutschen Invasion im 2. Weltkrieg 1940-45 (24 Millionen) und während der grausamen Säuberungen in der Stalin-Ära bis 1953 (22 Millionen). Viele Millionen intellektueller und kreativer Menschen haben Russland und die Ukraine aufgrund von Unterdrückung, Verfolgung und wirtschaftlicher Not über das letzte Jahrhundert in drei wesentlichen Migrationswellen verlassen. Allein in Deutschland leben derzeit 2,5 Millionen Menschen russischer Abstammung, weltweit nahezu 30 Millionen. Die Folge ist eine Verrohung beider Staaten, sowohl Russlands als auch der Ukraine mit vorherrschender Korruption und organisierter Kriminalität. Der für den Wohlstand einer Gesellschaft so wichtige Mittelstand ist nahezu komplett ausradiert. Transparency International führt die Ukraine an 117er und Russland an 129er Stelle ihrer Korruptionsliste, am Ende aller europäischen Staaten auf. Der größte Exportschlager der Ukraine ist neben Weizen der Verkauf von Frauen und Mädchen als Sexsklaven durch die organisierte Kriminalität in die westlichen Länder. Das sagt eigentlich alles über den derzeitigen Zustand aus. Selenskyj betont über die Massenmedien, dass die Ukraine die Freiheit verteidigt. Wie kann es Freiheit geben, wenn es in seinem Land keine unabhängigen Gerichte gibt? Wie Transparency International herausstellte: Gerichte sind in der Ukraine wie in Russland in der Regel korrupt. Die große russische Kultur wird von den ausgewanderten Eliten im Ausland fortgeführt.

W. Selenkyj wiegelt seine gesamte Zivilbevölkerung auf, Waffen in die Hand zu nehmen, und seien es Molotow-Cocktails gegen Panzer. Wie einst Joseph Goebbels proklamiert er den totalen Krieg - gegen den übermächtigen Aggressor Putin und seine Heerscharen und vergisst, dass dies zu einer Zerstörung Deutschlands führte, bei der rund 80 % aller Gebäude zerstört wurden und 7,7 Millionen Soldaten und Zivilisten ihr Leben ließen. Selenskyj stellte in seinem Kriegswahn Forderungen auf, die uns unmittelbar in den 3. Weltkrieg führen würden. Mit einer bisher nie dagewesenen Kampagne in den Massenmedien und den „social media“ ruft er zum Kampf gegen Russland auf und stellt sich als Helden in Camouflage dar. Die, die sich von ihm überrumpeln lassen, vergessen, dass er ein gelernter Schauspieler ist, übersehen, dass in Bildern von zerstörten Häusern in der Ukraine funkelnagelneue Kinderspielzeuge wie Puppen und Teddybären drapiert wurden, um Emotionen zu schüren, werden Tote mit auf den Rücken gebundenen Fesseln gezeigt, die leuchtend weiß sind, ohne Schmutz oder Staub der herumstehenden detonierten Hausruinen. Weiß ist übrigens die Farbe der ukrainischen Nationalisten. Einem kritischen Auge fällt dies auf, nicht aber unseren von überwiegend Sozialromantikern besetzten Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die ungeprüft solche von der Ukraine bereit gestellten Aufnahmen übernehmen. In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, dass vor dem 2. Golfkrieg Aufnahmen dem US- Senat präsentiert wurden, die zeigten, dass Frühgeborene von irakischen Invasoren aus Brutkästen kuwaitischer Kliniken genommen wurden, um sie anschließend auf dem Boden zu zerschmettern, was sich im Nachhinein als Fälschung herausstellte. Dem makabren Einfallsreichtum von bezahlten „Spin-Doktoren“, die auch die ukrainische Regierung beraten, sind offensichtlich keine moralischen Grenzen gesetzt. Die ukrainische Regierung wirft den russischen Invasoren, den Einsatz gebannter chemischer Waffen vor, ohne Belege zu liefern. Der US-Präsident wirft Russland gar Genozid vor, ebenfalls ohne Belege zu liefern. Wann wird endlich ein unabhängiges forensisches Team von der UN in die Ukraine gesandt, um diese Anschuldigungen zu überprüfen? Dies wird nicht geschehen, da es nicht im Interesse der treibenden Kräfte liegt, möglichst viele Waffen in das Kriegsgebiet zu verkaufen. Wenn irgendein Konflikt undurchschaubar ist, fragen Sie sich einfach, wer profitiert? Es liegt im Interesse der US- und UK-Waffenindustrie den Konflikt zwischen zwei ehemaligen Sowjetrepubliken so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, damit möglichst viele Waffen konsumiert werden. Gleichwohl liegt es im Interesse Russlands, soviel Territorialgewinn wie möglich zu erreichen, um von seinen desaströsen innenpolitischen Problemen abzulenken und sein Gesicht in Anbetracht der schon jetzt über 13.000 Gefallenen zu wahren.

Mahatma Gandhi (1869-1948), hier Ende der 1930er Jahre

Was ist in der derzeitigen Eskalation zu tun? Wenn so viele Emotionen und Leid entfacht sind, ist es nicht einfach. Die Ukraine sollte sich dem mächtigeren Gegner ergeben. Jeder Tag fordert zusätzliche Opfer und zerstört das Land. Der Klügere gibt nach. Nur so kann die derzeit herrschende Gewalt durchbrochen werden. Für alle, die denken, dies sei Schwäche und würde erfolglos bleiben, seien eines Besseren belehrt und an Mahatma Gandhi erinnert. Dieser hatte durch gewaltlosen Widerstand die größte Weltmacht aller Zeiten, das British Empire, besiegt und Indien in die Unabhängigkeit geführt. Für mich ist Mahatma Gandhi wie Jesus von Nazareth einer der Größten der Menschheitsgeschichte. Flankiert werden sollte der ukrainische Gewaltverzicht durch Zusicherung eines wahren Neutralitätszustandes mit der Zusage eines Verbotes zum Aufstellen von Angriffswaffen gegen Russland. Russland steht unter Beobachtung der Weltbevölkerung einschließlich Chinas und Indiens, einen gerechten Waffenstillstand und Frieden zu gewährleisten. Bisher haben sich die bevölkerungsreichsten Nationen der Erde nicht gegen Russland und auf die Seite der westlichen Allierten gestellt. Das kann sich bei Missverhalten Russlands ändern. Beide Nationen sind UN-vermittelt in einer solchen Friedensinitiative einzubinden. Die stärkste Wirtschaftsnation Europas sollte sich Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet entziehen. Die Forderungen von naiven Politikern der Bündnis90/Grünen verraten nicht nur die pazifistischen Grundfesten ihrer eigenen Partei, sondern verlängern dadurch nur das Elend der ukrainischen Bevölkerung. Oder will man auf die Phantasien der US-Waffenlobby hereinfallen, Russland zu besiegen, obwohl man in einem 20-jährigen Krieg noch nicht einmal die afghanischen Taliban besiegen konnte? Was für ein Schwachsinn, der nur durch eine ständige Besudelung und Manipulation des gemeinen Volkes über die Massenmedien vorangetrieben werden kann, was derzeit zu beobachten ist. Es liegt am Kanzler Scholz die auf Ausgleich fokussierte Politik seiner sozial- und christdemokratischen Vorgänger Brandt, Kohl, Schröder und Merkel fortzuführen. Schon die Schuld Deutschlands für 24 Millionen Tote der ehemaligen Sowjetunion im 2. Weltkrieg sollten Einhalt gebieten. Olaf Scholz muss stark genug bleiben, dem Druck der Kriegstreiber standzuhalten, denen es nur um Waffenverkauf geht und nicht um den Schutz der ukrainischen Bevölkerung und der in den Krieg geschickten jungen russischen Soldaten.

Kreuzigung Jesu von Nazareth (Screenshot), "The Passion of Christ" von Mel Gibson, 2004

Jesus von Nazareth ist von der Militärmacht Roms auf Bestreben und Manipulation der Massen durch religiöse Fanatiker Jerusalems grausam gefoltert und gekreuzigt worden. Ist er umsonst für uns gestorben? Beendet den Krieg durch Nichtteilnahme. Anstelle der Waffenlieferungen oder Geldzuwendungen zum Waffenkauf sollte auf humanitäre Maßnahmen fokussiert werden. Deutschland ist dies Russland und der ukrainischen Bevölkerung schuldig. Kriegstreiber wie der ukrainische Botschafter Melnyk in Deutschland, welcher radikale, ukrainische Nationalisten verherrlicht und unseren höchsten Repräsentanten, den Bundespräsidenten, beleidigt, gehört des Landes als unerwünschte Person verwiesen. Mir scheint jedoch, dass ein kanadisches Mädchen viel weiser ist, als all die hochbezahlten Politiker. Sie sagte, basierend auf einem Gedicht von Carl Sanburg (1936): „Can you imagine, that there is war, and nobody joins“. Genau dies, sollte das Ziel sein.

War

28/2/2022

Es ist Krieg in Europa. Dies geschieht nicht irgendwo, weit entfernt, sondern nur 1352 km mit dem Auto entfernt (Berlin – Kiew), was näher ist als Rom (1502 km). Russland hat am 24.2.2022 in den frühen Morgenstunden die Ukraine angegriffen. Die Begründung für diesen Großangriff ähnelt der Adolf Hitlers am 1.9.1939 beim Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen: „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen“. Es war der Beginn des 2. Weltkriegs, in dem mehr als 60 Millionen Menschen starben.

Wie kam es dazu?  Am 22.2.2014, also vor fast genau acht Jahren, wurde der Russland freundliche Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowytsch, nach landesweiten Unruhen, die in einer Großdemonstration auf dem Maidan, einem zentralen Platz in Kiew, gipfelten, abgesetzt. Noch am Tag zuvor hatte Janukowytsch mit der Opposition des Landes eine Vereinbarung zur Beilegung der Krise in der Ukraine getroffen, die unter Vermittlung der Außenminister Deutschlands und Polens zustande gekommen ist, welche mitunterzeichneten. In diesem Abkommen wurde die Bildung einer Übergangsregierung und Abhaltung von vorgezogenen Präsidentschaftswahlen noch im Jahresverlauf festgelegt. Warum die militanten Aktivisten auf dem Maidan diesen geordneten Rücktritt des Präsidenten nicht akzeptierten, ist nicht klar. Inwieweit die CIA, der Auslandsgeheimdienst der USA, Einfluss nahm an den Unruhen und seiner finalen Eskalation, ist ebenso ungeklärt, aber wahrscheinlich. Denn die Präsidenten Putin und Janukowytsch hatten zuvor ein Freundschaftsabkommen zur weiteren Annäherung beider Staaten getroffen, so dass die Zeit drängte, da eigentlich die zukünftige Ausweitung des Einflussbereichs von EU und NATO auf der Agenda stand. In einer verfassungswidrigen Abstimmung des ukrainischen Parlaments wurde der Präsident am Folgetag abgesetzt, im Grunde genommen gestürzt. Denn Artikel 108 der ukrainischen Verfassung lässt neben dem Tod des Amtsinhabers oder dessen Rücktritts nur die Absetzung aus gesundheitlichen Gründen oder im Rahmen eines ordnungsgemäßen Amtsenthebungsverfahrens zu, was nach Artikel 111 nur bei Hochverrat oder anderer schwerer Verbrechen möglich ist. Alle diese Gründe lagen nicht vor. Wiktor Janukowytsch musste nach Russland fliehen, wo er Asyl erhielt.

In der Folge kamen durch Wahlen pro-westliche Präsidenten an die Macht - nach einem ernannten Übergangspräsidenten, Oleksandr Turtschynow (22.2 – 7.6.2014), erst ein Milliardär, Petro Poroschenko (2014 – 19), unter dem das Land von Oligarchen geplündert wurde, dann seit 20.5.2019 ein Komödiant, Wolodomyr Selenskyj, der bis heute im Amt ist, und unter dem, wie unter seinen beiden Vorgängern, die Annäherung an den Westen mit gewünschtem EU- und NATO-Beitritt vorangetrieben wurde. Ein Komödiant stieg zum Präsidenten auf – marionettenähnlicher kann dies eigentlich nicht sein. In der Tat, hat sich die Ukraine während seiner Regierungszeit zu einem der korruptesten Länder der Welt entwickelt (was für Russland allerdings auch gilt), in dem auch Hunter Biden, der Sohn des US-Präsidenten als Aufsichtsrat der Ukrainischen Firma Burisma verwickelt schien. Der ukrainische Präsident Selenskiyj entpuppt sich jetzt als wirklicher Patriot und rennt nicht einfach weg, wie dies seinerzeit Wiktor Janukowytsch tat, obwohl ihm die USA die Flucht ermöglichen wollte.

Schon in der Zeit des Übergangspräsidenten sah sich Russland genötigt militärisch zu reagieren, um der drohenden NATO-Expansion zuvorzukommen. Denn der strategisch von überragender Bedeutung wichtige Militärstützpunkt Russlands am Schwarzen Meer, der einzige für Russland ganzjährig schiffbare Hafen Sewastopol auf der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim, musste gesichert werden. Es kam zum 1. Russland-Ukraine Krieg (27.2.14 – 12.2.2015), in dem die Halbinsel Krim mit seiner ganz überwiegend russisch sprechenden Bevölkerung handstreichartig von russischen Milizen und später regulären Truppen besetzt wurde. Im Nachhinein wurde dies am 16.3.2014 durch ein Referendum der Krimbevölkerung mit 96,6 % bei einer Wahlbeteiligung von 80 % legitimiert, was jedoch von der Ukraine und dem Westen nie anerkannt wurde. Im Verlauf kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Separatisten in den weitgehend russisch sprachigen Regionen Donezk und Lugansk im Osten der Ukraine und regulären ukrainischen Militärverbänden. Letztere wurden von US-amerikanischen Militärberatern unterstützt, während auf der Seite der Separatisten russische Verbände mitkämpften. Als Folge wurden von den Separatisten die Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgerufen, was ebenfalls durch ein positives Referendum der überwiegend russischen Bevölkerung aus Sicht der Separatisten und Russlands legitimiert wurde. Gegen Russland wurde seitens der EU und USA zunehmende wirtschaftliche Sanktionen verhängt, was die Wirtschaftsleistung Russlands beeinträchtigte, aber auch die Not der armen russischen Bevölkerung vergrößerte. Das auf Initiative Deutschlands und Frankreichs zustande gekommene Waffenstillstandsabkommen am 12.2.2015 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk beendete diesen 1. Russland-Ukraine Krieg. Seitdem kam es immer wieder zu Verletzungen des ausgehandelten Waffenstillstandes – von beiden Seiten. So beschossen ukrainische Verbände wichtige Infrastrukturen, wie ein Elektrizitätswerk und die für Russlands Handel so wichtige Ölpipeline auf dem Gebiet der Separatisten. Zudem wurde die im Minsker Abkommen zugesicherte weitgehende Autonomie der Separatisten-Regionen Donezk und Lugansk von der Ukraine nie in Angriff genommen.

Russland sieht seine Sicherheit durch die Expansion der NATO bis an seine Grenzen bedroht. Hat Russlands Präsident recht mit dieser Auffassung? In der Tat wurden nach Zerfall der Sowjetunion 14 neue Länder in die NATO aufgenommen, darunter nicht nur alle außerrussischen Länder des ehemaligen Warschauer Paktes, die ehemalige DDR, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien, sondern auch bis auf Serbien und Bosnien & Herzegowina alle Länder des auseinander gefallenen Jugoslawiens, und sogar die ehemaligen Sowjetrepubliken Litauen, Lettland und Estland. Die Aufnahme der letzteren hat im Grunde schon die „rote Linie“ überschritten. Fortdauernde Gespräche über einen Anschluss der Ukraine an die NATO sind für einen jeden vernünftig denkenden Menschen ein „no go“, wenn man den Frieden mit Russland bewahren will. Russland ist zudem extrem beunruhigt über stattgehabte Unruhen in Weißrussland und Kasachstan. In der letzteren ehemaligen Sowjetrepublik musste Russland erst unlängst helfen, Unruhen mit entsendeten Fallschirmjägereinheiten zu unterdrücken (2. -19.1.2022). Freilich haben diese Unruhen, in Kasachstan ausgelöst durch extensive Preiserhöhungen für Flüssiggas, wirtschaftliche Grundlagen, wie auch in Russland selbst, wo weitverbreitete Armut herrscht. Freilich ist es verständlich, wenn Anrainerländer an ein so mächtiges Land wie Russland zu ihrer Sicherheit eigene Militärbündnisse suchen. Jedoch sollte man auf Staatsebene in einer für den Weltfrieden so elementaren Frage nicht wortbrüchig werden, wie dies die NATO gemacht hat. Denn unter den damals regierenden Staatsmännern war Russland das Wort gegeben worden, dass die NATO nach Zerfall der Sowjetunion sich nicht nach Osten ausdehnt. In der Tat ist das Vorhandensein von Pufferstaaten zwischen den beiden Machtblöcken NATO und Russland sinnvoll. Warum kann man der Ukraine keinen Neutralitätsstatus wie den der Schweiz oder Finnlands von beiden Seiten garantieren? Dieser hätte Bestand. Hoffentlich, erkennt dies Russlands politische Elite jetzt bei seinem aus Putins Sicht konsequenten, aber illegitimen Angriff auf die Ukraine. Für einen autokratischen Führer wie Putin ist „Krieg eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl v. Clausewitz, Vom Kriege, 1832). Ein Krieg ist aber immer ein Anschlag auf die Menschheit, was auch für die vielen von den USA seit dem 2. Weltkrieg angezettelten Kriege gilt (z.B. Korea, Vietnam, Iraq, Afghanistan). Man muss die Beweggründe Putins kennen, um mit ihm verhandeln zu können, um ein wirklich verhandelbares Angebot auf den Tisch legen zu können. Alles andere war in der jüngsten Vergangenheit nur verschwendete Zeit. Der Angriff auf die Ukraine ist jedoch durch nichts zu entschuldigen. Es ist ein Verbrechen an den Ukrainern und den eigenen unter seinem Befehl stehenden Soldaten. Wladimir Putin wird nicht als „Wladimir der Große“ in die Geschichte eingehen. Die politische Elite Russlands wäre weise zu erkennen, dass die unterdrückenden Maßnahmen, das eigene Volk zu Gunsten einiger Weniger in Knechtschaft zu halten, auf Dauer nicht aufrecht zu halten sein wird. Putin hat sich zunehmend als Diktator entwickelt, der selbst seinen eigenen Geheimdienstchef vor laufenden Kameras maßregelt. Dessen offenen, indirekten Drohungen mit dem Einsatz nuklearer Waffen ohne militärische Bedrohung seines Landes zeigen an, dass er zunehmend unberechenbar und für die Menschheit extrem gefährlich agiert.

Die öffentliche Meinung der Weltbevölkerung ist nun gegen den Aggressor Russland gerichtet. Russland musste den Zugang seiner Bevölkerung zu den sozialen Medien abschneiden. Im eigenen Land gehen Menschen gegen den Krieg auf die Straße, was zu mehr als 6000 Arresten geführt hat. Den eigenen Soldaten mutet Präsident Putin zu, auf ehemalige, häufig ebenfalls russisch sprechende Waffenbrüder zu schießen. Dies wird den Krieg für Putin erschweren, so dass er offensichtlich 75.000 ans Töten gewöhnte Tschetchenen, die nicht die moralischen Skrupel der Russen haben, in die Ukraine abkommandierte.  Die vom Westen entfachten wirtschaftlichen Sanktionen sind von enormer Tragweite, insbesondere das Abkoppeln der Zentralbank Russlands vom internationalen Finanzsystem. Dies wird die wirtschaftliche Not der eigenen Bevölkerung Russlands weiter erhöhen. Der geplante Visa-Stopp für russische Staatsbürger ist Unsinn. Denn er trifft vorzugsweise die Russen, die mit Putins Regime nicht zufrieden sind. Der Reputationsschaden aller Russen ist noch gar nicht abzusehen und wird dem des „hässlichen Deutschen“ nach dem 2. Weltkrieg ähneln.

Der illegitime Sturz des pro-russischen Präsidenten Janukowytsch im Jahre 2014 und die von den USA verfolgte Expansion der NATO weit in den Osten Europas bis an die Grenzen Russlands sind die Ursachen des jetzigen Krieges. Die Profitgier der mächtigen Rüstungsindustrie in den USA und UK lässt diesen Konflikt als einen willkommenen Ersatz für den Umsatzausfall nach Beendigung des 20 Jahre dauernden Afghanistankrieges erscheinen. Freilich liegt es im Interesse Russlands seinen Einflussbereich über die Länder Belarus und Ukraine wieder in das Zentrum Europas zu verschieben. Wladimir Putin hat klar zu erkennen gegeben, dass er den Abfall so vieler Landesteile im Verlauf des von Mikhail Gorbatschow etablierten Glasnost und Perestroika als größten Fehler des 20. Jahrhunderts ansieht. Wie Hitlers „Heimholung ins Reich“ der nach dem 1. Weltkrieg verloren gegangenen Territorien (Saarland, Österreich, Böhmen und Mähren, polnische Ostgebiete) wird Putin versuchen die ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Weißrussland und Ukraine wieder an Russland zu binden. Russlands Präsident Putin muss von diesem Ansinnen Abstand nehmen, wie es auch Deutschland getan hat und ein Drittel seines ehemaligen Territoriums (deutsche Ostgebiete) völkerrechtlich vereinbart an Polen und Russland abgetragen hat, und nach einer pragmatischen Lösung suchen. Ein Neutralitätsstatus der Ukraine wäre aus meiner Sicht ein geeignetes Mittel. Das jetzt beabsichtigte Aufrüsten Deutschlands, wo 100 Milliarden Euro für den umgehenden Waffenkauf bereitgestellt werden sollen, treibt die gegenseitigen Ängste nur in die Höhe und dient nur der mächtigen, weltweiten Waffenlobby, die an dem Schüren bewaffneter Konflikte weltweit mitverantwortlich ist. Die Eskalation muss jetzt ein Ende haben. Die Alarmbereitschaft der nuklearen Kräfte Russlands sollte für uns alle ein „wake up call“ sein. Deeskalation ist das Zauberwort und würde richtige Stärke unserer Staatsmänner zeigen. Deutschland als dominante Nation Westeuropas trägt eine besondere Verantwortung. Es verdankt Russland seine Freiheit von der Nazi-Unterdrückung und die wesentliche Unterstützung bei der Wiedervereinigung. Der frühere Kanzler Gerhard Schröder ist ein persönlicher Freund Putins und Parteigenosse des jetzigen Kanzlers Deutschlands. Warum wird er nicht vermittelnd eingesetzt?

Eingebetteter Journalismus

10/2/2022

Was ist das eigentlich? Diese Bezeichnung leitet sich aus dem Englischen „Embedded Journalism“ ab und geht auf den 3. Golfkrieg zurück. Wir erinnern uns.

Der 3. Golfkrieg wurde von den U.S.A. angezettelt. Vorgeschoben wurden angebliche geheimdienstliche Befunde, dass der Irak unter dem damaligen Präsidenten Saddam Hussein, über Massenvernichtungswaffen, d.h. Atombomben, verfüge, mit denen er die U.S.A angreifen wolle. Falsch interpretierte oder möglicherweise modifizierte Satellitenaufnahmen wurden vom damaligen U.S.-Außenminister, Colin Powell, vor keinem geringeren Gremium als dem UN-Sicherheitsrat präsentiert, um den Angriff (am 20.3.2003) und die Besetzung des Iraks (bis 2011) zu rechtfertigen, was retrospektiv als völkerrechtswidrig betrachtet werden kann. Durch falsche „Fakten“, die als „fake news“ in die Welt gesetzt worden waren, wurde das höchste politische Gremium getäuscht – und dies, obwohl gründlich erarbeitete Gegenbeweise des eigenen Geheimdienstes vorlagen. Damit während des Angriffes auf den Irak und der folgenden jahrelangen Besetzung keine missliebigen Presseartikel aufkommen konnten, wurden nur Journalisten zur Kriegsberichtserstattung zugelassen, die die offizielle US-Version vertraten. Die von unseren westlichen Demokratien so hochgepriesene Pressefreiheit wurde eliminiert ohne dies auszusprechen. Die Journalisten wurden einfach eingebunden, eingebettet (embedded). Trotz akribischer Suche wurden keine Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden, so dass sich der Grund für den Angriff auf den Irak als nicht gegeben herausstellte. Der Präsident Iraks wurde wegen früherer Massaker an Kurden und Schiiten hingerichtet. Die Zivilbevölkerung Iraks hatte unsagbare Qualen zu erleiden. Die von amerikanischen Soldaten geführten Folterstuben in Abu Ghuraib sind vielen noch im Gedächtnis. Die von Wikileaks zu Tage geförderten authentischen Videoaufnahmen von aus Helikoptern geführten Jagdszenen amerikanischer Soldaten auf irakische Zivilisten gingen durch die Welt. Wegen der widerrechtlichen Aneignung dieser die amerikanische Armee entehrenden Aufnahmen wird heute noch der damals Wikileaks leitende Journalist Julian Assange von der US-Staatsanwaltschaft verfolgt. Für die „Vorzeigedemokratie“ U.S.A. hat offensichtlich die Verletzung bei der Weitergabe vertraulicher und als geheim eingestufter Unterlagen höhere Priorität als die Pressefreiheit zum Sichtbarmachen menschenunwürdiger Praktiken.

Anstatt des Golf-Krieges „Desert Storm“, zeige ich lieber meine friedliche Sahara-Tour 2018

Heute spielen sich die U.S.A wieder auf als „Verteidiger der Rechte“, diesmal in der Ukraine. Dabei geht es wie beim Golfkrieg nur um geopolitische Interessen ihrerseits und der Geschäftsentwicklung der in ihrem Staat übermächtigen Waffenindustrie, die während des 20 Jahre langen Afghanistankrieges so prosperierte und der wegen des frustranen Endes dieses Krieges am 30.8.2021 dringend eine neue Geldquelle fehlt. Der Ukraine-Russland-Konflikt kommt da gerade recht. Erste Waffenlieferungen sind auch schon unterwegs und der weltweite Journalismus schaut wohlwollend zu. Was für eine U.S. Hybris. Man war nicht in der Lage, chaotisch agierende Talibankämpfer im Hindukusch in einer 20-jährigen Intervention unter Inanspruchnahme massiver Waffengewalt zu besiegen und glaubt jetzt daran, dass Waffen die Differenzen zwischen Ukrainern und Russen lösen können, weil die Ukraine beabsichtigt, der NATO beizutreten? Um keinen Zweifel zu lassen, die Konzentration des russischen Militärs an der Grenze der Ukraine ist eine Aggression, die von der miserablen wirtschaftlichen Situation in Russland ablenken soll, verursacht durch die erfolglose Politik seines Führers Wladimir Putin, was zu einem kontinuierlichen Exodus von Tausenden intelligenter und kreativer Menschen führt. Doch bei der Antwort der USA geht es nur um Geld, „it’s all about money.“ Es geht nur darum, Waffen zu verkaufen. Das Leid, welches mit ihrem Einsatz angerichtet wird, wird billigend in Kauf genommen. Denn glaubt man tatsächlich, dass Ukrainer mit amerikanischer Hilfe - die NATO ist nur ihr Ableger – die fast 3 Millionen (einschl. Reservisten) starke Armee Russlands im Ernstfall zurückdrängen zu können? Hier helfen nur diplomatische Mittel, über die man in Europa verfügt, und die Fortsetzung des bilateralen Handels. Und wieder ist der westliche Journalismus artig eingebunden. Sämtliche Massenmedien verschweigen systematisch die Tatsache, dass der ehemaligen Sowjetunion während ihres Rückzuges aus den ehemaligen Warschauer Pakt Staaten unter Michail Gorbatschow mündlich die Zusage der U.S.A., vertreten durch ihren damaligen Außenminister James Baker, am 9.2.1990 gegeben wurde, ihren Einflussbereich nicht nach Osten auszudehnen (dokumentiert in den eigenen Gesprächsnotizen Bakers). Man suggerierte, sich noch nicht einmal auf das Territorium der ehemaligen DDR ausdehnen zu wollen, was Helmut Kohl seinem vertrauten Gegenüber, Michail Gorbatschow, zusagte. Völkerrechtlich bindende, vertraglich gestützte Vereinbarungen gab es nicht, aber das Wort großer Staatsmänner. Dies muss zählen. Bei der Aufnahme der baltischen Staaten in die NATO hat man die rote Linie bereits überschritten. Ist es nicht natürlich auch Russland Sicherheitsinteressen zuzusprechen. Erinnert sei an die drastische Reaktion der U.S.A im Jahre 1962, als Russland auf Kuba Raketen stationieren wollte, intervenierten die USA durch eine Seeblockade und riskierten damit den 3. Weltkrieg wegen eigener Sicherheitsinteressen. Man sollte schon ausgewogen und fair sein und dies auch jetzt Russland zuzugestehen. Weitgefehlt. In keiner Nachrichtensendung unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens wurde diese Sichtweise auch nur erwähnt.

Deutschlands öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Fernsehen haben in einem Staatsvertrag den verfassungsgemäßen Auftrag ausgewogen und neutral zu berichten. Diesem von unserer Verfassung vorgegeben Auftrag kommt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in keiner Weise nach, sondern lässt sich von den angelsächsisch kontrollierten Nachrichtenagenturen AP (American Press) und Thomson-Reuter (kanadisch-britisch) vorführen. Die deutsche DPA (Deutsche Presse-Agentur) ist ein schlichter Ableger der AP. Es ist also nicht von ungefähr, dass über den Ticker der westlichen Nachrichtenagenturen im Grunde nur angelsächsische Interessen vertreten werden. Es sind noch nicht einmal die Interessen der angelsächsischen Bevölkerung, sondern die der Finanz- und Wirtschaftselite. So gehört Thomson-Reuter einem kanadischen Milliardär und AP ist Eigentum von US-amerikanischen Zeitungen und TV-Rundfunkanstalten, deren Herausgeber ebenfalls den Eliten zuzurechnen sind. Eine dieser Zeitungen ist die Washington Post, die keinem geringeren als Jeff Bezos, einem der reichsten Menschen der Erde gehört. Kontrolliert man diese wenigen Nachrichtenagenturen, dann kontrolliert man die „mainstream“ Massenmedien, die ihre Nachrichtenquellen fast ausschließlich über die wenigen Nachrichtenagenturen beziehen.

Welchen Einfluss hat nun die angelsächsische Finanz- und Wirtschaftselite auf die alles beherrschende Krise unserer Zeit, die Coronakrise. Werden hier nicht weltweit (innerhalb der westlichen Einflusszone) alle Massenmedien über die Nachrichtenagenturen gleichgeschaltet? Wie sonst ist der Zahlenunfug zu erklären mit tgl. Nennung von Inzidenzzahlen, die nicht repräsentativ erhoben wurden, abhängig sind von der Anzahl Getesteter und wer getestet wird. Die aktuell hohen Inzidenzzahlen sind im Wesentlichen durch die jetzt vorgenommenen systematischen Testungen von Schul- und Kleikindern verursacht, die an einer Coronainfektion nur extrem selten erkranken. Es ist übrigens ein Prinzip, das aus Nazi-Deutschland übernommen wurde. Dabei geschieht dies heute viel subtiler als in Nazi-Deutschland und während des 3. Golfkrieges. Es kommen einfach nur die Nachrichten über den Ticker von den Nachrichtenagenturen, die ins Konzept passen. Kritische und einflussreiche Medien, wie z.B. der Spiegel, werden durch Millionenspenden mainstream ausgerichtet. Einzelne einflussreiche kritische Journalisten werden unter Zerstörung ihres Rufes „mundtot“ gemacht. Die besten für Geld zu habenden „Spin-Doktoren“ werden auf Lancierung genehmer Presseartikel angesetzt. In Deutschland muss man z.B. nur die wichtigsten Polit-Talkshows so besetzen, dass die zum mainstream erhobene Meinung vertreten wird und immer wieder dem Millionenpublikum eingetrichtert wird – im Grunde modernes „brain washing“. Die Polit-Talkshows werden noch nicht einmal vom öffentl.-rechtl. Fernsehen produziert, sondern von privaten GmbHs der Talkmaster oder ihrer Gönner. Experten, die eingeladen werden, sind im Wesentlichen von Big-Pharma über Drittmittelzuwendungen für deren Forschung und Honorargeber für Fachvorträge finanziert. Mit Insidern wird ganz offen gesprochen, wer auf der „payroll“ welcher Pharmaunternehmen steht, wobei den sogen. Meinungsbildnern besonderes Augenmerk geschenkt wird.

Viele bürgerliche und nicht rechtsextreme Menschen ahnen diese Zusammenhänge und sprechen von „Lügenpresse“, wobei sie dieses Wort unachtsam und unwissend der NS-Propaganda entlehnen. Wer sich heute auf der Straße als Journalist des nicht mehr neutral verhaltenden öffentl.-rechtl. Rundfunks und TV outet, muss riskieren angepöbelt zu werden. Dies geschieht nicht zur Unterdrückung der Pressefreiheit, sondern weil es diese de facto nicht mehr gibt und den Menschen genommen wurde. Was ist zu tun? 1) Verfassungsklage gegen den öffentl.-rechtl. Rundfunk wegen Nichteinhaltung des Staatsvertrages bei Nachweis unausgewogener Berichterstattung. 2) Zwingende Vorlage der Bilanzen aller privaten Unternehmen, die Politsendungen einschl. Talkshows produzieren zum Ausschluss der Einflussnahme Dritter. 3) Vorlage der Steuererklärungen aller sogen. Experten und Drittmittelgeber-Angaben zum Ausschluss von „conflict of interests“. 4) Zurückhaltung aller Rundfunkgebühren auf ein Treuhandkonto ist zu erwägen - bis zur Überprüfung durch das Verfassungsgericht auf rechtmäßige Erfüllung des Staatsvertrages, was Voraussetzung für die Zwangsabgaben der Rundfunkgebühren ist.

Immer noch „Grey in Grey“ an Virus- und Klimafront

11/1/2022

Die Zeit verging wie im Fluge seit meinem letzten Blog Ende November. Der Himmel über Berlin ist immer noch „grey in grey“ mit wenigen sonnigen Tagen zwischendurch – kann man eigentlich an einer Hand abzählen. Aber so kenne ich dies schon seit Jahrzehnten in Deutschland zu dieser Jahreszeit.

Beim Klimawandel agiert die Masse meiner Mitbürger:innen, geschürt von den Massenmedien, genauso hysterisch wie bei der völlig übertriebenen „Sars-CoV-2-Pandemie“, die viele der Verantwortlichen am liebsten wieder zu einer „Endemie“ zurückstufen möchten. Es ist schon erstaunlich, dass simple Viren schlauer sind als der Mensch, der sich in seinem Ansinnen die ganze Erde mit Verdrängung aller anderen Lebewesen zu unterwerfen geistig verirrt hat. Die Coronaviren wollen den Menschen nicht töten. Sie brauchen ihn als Wirt, um selbst zu überleben und um sich zu vervielfältigen. Letzteres machen sie mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit unter ständiger Anpassung. Die zuerst in Südafrika aufgetretene und jetzt als Omikron bezeichnete Mutante ist um etwa das Dreifache infektiöser, aber für den Einzelnen weit weniger gefährlich. Die Krankheitsverläufe, wenn man die Infektion überhaupt bemerkt, sind in der Regel weitaus milder als bei der letzten Delta-Mutante und führen zu über 90 % weniger Krankenhausaufenthalten als unter der vorherigen Delta-Welle. Dies hatten sorgfältig durchgeführte, südafrikanische Studien schon vor Monaten belegt. Trotzdem wurde unter den Menschen hier bis zuletzt Furcht und Schrecken von den Medien und angestachelten Politikern verbreitet. Offensichtlich hat dies System. Denn so dumm kann man doch nicht sein – oder doch? Wahrscheinlich beides. Denn die Omikron-Mutation wird dazu benutzt, die Impfkampagne zu forcieren, am besten unter Einbeziehung selbst der Kleinkinder. Die werden jetzt systematisch mit Lolly-Tests gescreent, obwohl man weiß, dass Kinder so gut wie nicht unter Sars-CoV-2 erkranken. Bei den Kindern schlagen meist andere grassierende Viren zu, die durch die für Kinder propagierte Covid19-Impfung gar nicht erfasst werden. Dabei ist die schon an für sich schwach wirksame Impfung gegen Omikron noch um circa die Hälfte schwächer wirksam. Und glauben Sie mir, bis der superschlaue Mensch einen angepassten Impfstoff entwickelt hat (lt. Biotech angeblich Ende März), werfen die Coronaviren schon wieder eine neue Mutante in die Umwelt. In Frankreich ist B.1640.2 bereits aufgetaucht und wurde vermutlich aus Kamerun eingeschleppt. Wann wachen die verantwortlichen Politiker endlich auf und lassen sich nicht mehr von den Lobbyisten wie Stiere am Nasenring durch die Manege führen und setzen Impfungen gezielt ein – bei Alten und Gebrechlichen, Herz-/Lungenkranken, Immunschwachen und Ängstlichen, wie schon immer bei bisherigen Grippeimpfungen. Coronaviren kann man nicht ausrotten - man kann es nicht.

HoheInzidenz von Sars-CoV-2 positiv Getesteten im Winter 2021 in Deutschland insbes.bei gescreenten, in der Regel asymptomatischen Kindern. Alle von denMassenmedien verbreiteten Inzidenz-Zahlen sind nicht wissenschaftlichkorrekt an für die Bevölkerung repräsentativen Kohorten erhoben (Quelle:Wikipedia)

Hohe Inzidenz von Sars-CoV-2 positiv Getesteten im Winter 2021 in Deutschland insbes. bei gescreenten, in der Regel asymptomatischen Kindern. Alle von den Massenmedien verbreiteten Inzidenz-Zahlen sind nicht wissenschaftlich korrekt an für die Bevölkerung repräsentativen Kohorten erhoben (Quelle: Wikipedia)

Zurück zum Klimawandel. Nach einer Definition befinden wir uns immer noch in einer Eiszeit, die definiert ist solange es Festeis an den Erdpolen gibt. Definieren kann man aber alles. Fest jedoch steht, dass sich innerhalb unseres Planeten alles Leben nach rhythmischen Wechseln richtet. Größere und kleinere Eiszeiten und Wärmeperioden wechseln sich in größeren zeitlichen Abständen ab. Die letzte kleine Eiszeit trat auf der Erde im 16/17. Jahrhundert auf, dokumentiert in den vielen Gemälden mit dargestellten Eislandschaften von Pieter Brueghel d. Jüngeren. Die letzte größere, 100.000 Jahre andauernde Eiszeit ereignete sich bis ca. 10.000 v.Chr., davor vor rd. 150, 300 und 450 Millionen Jahren. Wir befinden uns also derzeit in einer Wärmephase zwischen zwei Eiszeiten, was allein das Abschmelzen der Eisdecke am Nordpol auf ein Drittel ihrer bisher maximal festgestellten Ausdehnung erklärt und nicht auf das alleinige Handeln des Menschen zurückzuführen ist, obwohl dieser durch die enorme Wärmeproduktion als Nebenwirkung der fortschreitenden, globalen industriellen Entwicklung sicherlich dazu beiträgt. Sollte es nicht zu einem kontinuierlichen Abschmelzen kommen, sondern zu einem abrupten Abbrechen und Schmelzen einer riesigen Eiskappe, so kann eine verheerende Flutwelle ausgelöst werden. Ein Abbrechen eines gigantischen Teilstückes der Eisdecke der Antarktis wird heute als Ursache der Sintflut 6.300 v.Chr. angesehen, von der sowohl im Alten Testament der Bibel als auch zuvor im Gilgamesch-Epos der Sumerer berichtet wird. Kohlendioxid, von dem die Sumerer noch nichts wussten und das auch Sie noch nie gesehen haben, weil es einfach zu klein ist, ist nur ein sogenannter Surrogat-Parameter. Es ist nicht die Ursache des Klimawandels, sondern geht nur mit der enormen Wärmeproduktion durch den Menschen einher und wird von Pflanzen und Bäumen benötigt. Es wird von ihnen eingeatmet. Dafür geben sie Sauerstoff in die Atmosphäre ab. Je mehr Kohlendioxid entsteht, desto schneller wachsen Pflanzen und Bäume. Es besteht ein Kreislauf. Die Wärmeproduktion an sich erscheint als die viel wahrscheinlichere, direkte Ursache der zusätzlichen Erderwärmung zu sein, die nicht zu verleugnen ist.  Die abnehmenden Gletscher in den Alpen können von jedem wahrgenommen werden. Ich selbst musste nach größeren Gletscherfeldern in Patagonien bei meiner Kap Horn Umsegelung geradezu suchen.

Gletscher, Patagonien 2015

Und da fällt dem französischen Staatspräsidenten ein, Atomkraftwerke als nachhaltig, als klimaschonend einzustufen, und hat die gesamte EU in diese Richtung gedrängt, um seine mächtige Atomlobby zu unterstützen. Haben Sie mal die gigantischen Kühltürme eines Kernkraftwerkes gesehen, mit Tonnen aufsteigenden 100 Grad Celsius heißem Wasserdampf? Unsere Wegwerf-Wohlstandsgesellschaft trägt Mitschuld an der forcierten Klimaerwärmung. Millionen von Produkten, die uns über gezielte Werbekampagnen eingetrichtert werden, werden weltweit unter erheblicher Energieverschwendung und Umweltbelastung transportiert. Die Lawinen stinkender Lastwagen auf unseren Autobahnen, die ganz überwiegend eigentlich nutzloses Zeug transportieren, sind jedem geläufig. Generelle Überholverbote und Geschwindigkeitslimit von 60 km/h für Lastwagen müssen her. Warum gelingt es nicht, mehr Transport auf die Schienen zu verlagern, was seit Jahrzehnten gefordert wird? Dazu muss man nicht neue Trassen bauen, sondern die vorhandenen zweistöckig ausbauen, die untere Ebene für den Gütertransport, die obere für den Personenverkehr. Unsere Verkehrspolitiker sind genauso unfähig wie die Gesundheitspolitiker, weil sie von diesen Dingen in der Regel nichts wirklich verstehen. Muss man jedes Jahr das neueste Smartphone seinen Freund:innen als Statussymbol zeigen? Ich habe lange das erste Iphone benutzt - seiner Zeit aus den USA mitgebracht, als es in Europa noch keine zu kaufen gab. Letztlich musste ich es erneuern, da Apple Profit-getrieben die Software updates für diese „Vintage“ Modelle einstellte. Jetzt werden die Menschen getrieben ihre gut funktionierenden Autos gegen E-Modelle einzutauschen. Was für eine Verschwendung von Rohstoffen. Unlängst wurde ich angesprochen, warum ich als Avantgardist noch kein E-Auto fahre. Ich antwortete mit einer simplen Rechnung:

- Erneuerbare Energieressourcen (Photovoltaik, Wind etc) lieferten in 2019 rund 251 TWh Strom.

- Bei Umstellung der gesamten Stromerzeugung auf erneuerbare Energieressourcen müssten weitere 276 TWh unabhängig von den Jahreszeiten und wetterbedingt täglichen Schwankungen pro Jahr bereitgestellt werden. Dies setzt Entwicklung und Aufbau gigantischer Speicherwerke voraus und nicht die Zunahme von Photovoltaikanlagen, die jetzt schon in der sonnenreichen Zeit zu viel Strom erzeugen, der dann billig ins Ausland abgegeben werden muss, damit hier die Leitungen nicht heiß laufen, während im Winter teuer Energie, in der Regel Atomenergie, aus dem Ausland dazu gekauft werden muss. Von den Jahreszeiten unabhängige Gezeitenkraftwerke an der Nordsee wären ein Mittel der Wahl. Robert Habecks (Dt. Bundesminister für Wirtschaft & Energie) erklärte, sicher gut gemeinte Absichten greifen nicht nur zu kurz, sondern leider auch daneben.

- Und dann auch noch E-Auto fahren, die mit ihrem Aggregat ebenso Abwärme erzeugen wie herkömmliche Verbrenner. Dann benötigen wir in Deutschland zusätzlich 130 TWh Strom pro Jahr, um E-Mobilität für alle zu gewährleisten. Es besteht also ein jährl. Mehrbedarf von Strom aus erneuerbaren Energien in der Höhe von 406 TWh (276 + 130) auf insgesamt 657 TWh, ein Anstieg um das 2,6-fache. Dies ist nur mit Atomstrom zu leisten.

Stromtrasse, Ebsdorfergrund 2014

Ein letztlich mit Atomstrom betriebenes Auto fahre ich deshalb nicht. Es bleibt zu vermuten, ob nicht hinter der ganzen Klimahysterie die Atomlobby steckt. Eine Bündnis90/Grüne Partei, die dies forciert, hat für mich jegliches Recht sich als „grün“ oder umweltfreundlich zu bezeichnen verwirkt. Denn weder für die Millionen toxischen Autobatterien noch für die alles Leben zerstörenden radioaktiv über 100000 Jahre strahlenden (die Halbwertszeit von Plutonium ist sehr lang) Nuklearbrennstäbe sind Endlager vorhanden. Für die Brennstäbe von Kernkraftwerken sucht man in Deutschland nach diesen vergeblich seit einem halben Jahrhundert! Die Suche nach für Batterien unentbehrlichen Seltenen Erden und ihr toxischer Abbau hinterlässt überall auf der Erde zerstörte „Mondlandschaften“.  Alle die, die diese überdimensionierten E-SUVs oder Drehmoment-aufgemotzten E-Pseudosportwagen fahren, sind für mich moderne Biedermänner/frauen. I love public transportation und meinen Retro 911, den ich nur selten - just for fun - fahre. Wie schon Ferry Porsche sagte, „das letzte Auto, das gebaut werden wird, wird ein Sportwagen sein“. Ein mit Atomstrom betriebenes Auto lehne ich der Umwelt und dem Leben zuliebe ab.

Just Shades of Grey: November

17/11/2021

November ist für mich der hässlichste Monat im Jahr, alles grau in grau – zumindest in Deutschland. Die Sonne kommt kaum raus. Die Tage werden immer kürzer. Am frühen Abend hat man das Gefühl es sei Mitternacht. Dann kam die Zeitumstellung am letzten Oktobersonntag hinzu. Eigentlich haben die Menschen der Europäischen Union mehrheitlich dafür gestimmt, diesen unnatürlichen Eingriff in den Zeitablauf einzustellen. Das war in 2018 – vor drei Jahren. Rund 84% der EU-Bevölkerung haben sich für die Einstellung ausgesprochen – eine überwältigende Mehrheit, die keine der überwiegend nutzlosen, politischen Parteien in Europa auch nur annähernd erreicht. Getan hat sich nichts. Dabei hat der damals amtierende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker klar konstatiert: „Die Menschen wollen das, wir machen das.“ Das Europäische Parlament hat das Ergebnis 2019 bestätigt. Die Umsetzung liegt jetzt allerdings bei den einzelnen 27 Mitgliedstaaten der EU, die sich offensichtlich nicht einigen können, ob nun die Sommer- oder Winterzeit (ehemalige Normalzeit) ganzjährig gelten soll. Dabei ist es einfach. Denn die Zeitzonen im äußersten Westen (Portugal und Irland: MEZ-1) oder Osten der EU (Finnland, Baltikum, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Zypern: MEZ+1) wurden über die ganze Zeit seit der Einführung der Sommerzeit in 1980 beibehalten. Für Länder, die die Sommerzeit ganzjährig etablieren wollen, könnte man einfach neue Zeitzonen etablieren. Aber dies ist für unsere Politiker wohl zu schwer zu arrangieren. Die reden lieber endlos, statt trotz eindeutigen Votums zu handeln.

Es ist nasskalt. Heute ist Dauerregen in Berlin angesagt - bei einer max. Temperatur von 9°C. Ich muss wohl wieder mal nach Südafrika oder Brasilien entfliehen, sobald meine laufenden Projekte in Europa abgearbeitet sind. Und es ist die Zeit der von Viren verursachten Erkältungskrankheiten. Quintillionen (eine Zahl mit 30 Nullen) von Viren sind unterwegs und treffen über die feuchte Luft auf häufig wenig vorbereitete Menschen, die sich nicht adäquat, d.h. nicht warm genug kleiden, um ihre Kerntemperatur (37°C) auf einem kontinuierlichen Niveau zu halten, damit deren Immunabwehr effektiv arbeiten kann. Deshalb spricht man von Erkältungskrankheiten. Dazu kommen Defizite hinzu: von Vitamin D, was über UV-B Strahlen der im November nur spärlich scheinenden Sonne in unserer Haut gebildet wird, Vitamin C (in Zitrusfrüchten, Paprika) und Zink (Lebensmittel tierischer Herkunft, insbesondere Hühnereier, Nüsse, Kakao).  Die beiden ebenfalls im Fleisch vorhandenen Aminosäuren Histidin und Cystein wirken sich positiv auf die Zinkresorption aus. Die Resorption von Zink aus pflanzlichen Nahrungsmitteln wird in der Regel durch das darin enthaltene Phytat, ein für Pflanzen wichtiger Stoff für die Photosynthese, gehemmt. Deshalb sind Zinksupplements besonders bei Vegetariern sinnvoll. Bei einem Langstreckenlauf steigt die Kerntemperatur an (Marathonlauf: bis auf 39°C), was zur erhöhten Immunabwehr von Viren oder pathogenen Bakterien beiträgt (Prinzip des Fiebers, oder der Sauna). Regelmäßiger Langstreckenlauf oder/und Sauna, ausgewogene Ernährung, ggf. angereichert mit o.gen. „Supplements“, und adäquate, warmhaltende Kleidung sind die beste Prophylaxe gegen Erkältungsviren, wozu auch Coronaviren zählen, die seit den 1960er Jahren als solche bekannt sind. Diese Prophylaxe scheint mir effektiver zu sein als die Covid-Impfungen, die „Big Pharma“ am liebsten halbjährlich bei der gesamten Weltbevölkerung durchführen würde, um möglichst viel Geld zu verdienen. Pfizer, der Vertreiber des Biontech-mRNA-Imfstoffes „Comirnaty“ ist der weltgrößte Pharmakonzern. Dieser hat im letzten Quartal einen Umsatz von 24 Mrd. US$ und einen Nettogewinn von 8 Mrd. US$ gemacht. Auf das Gesamtjahr bezogen wird ein Umsatz von 81 Mrd. US$ erwartet, wobei auf den Corona-Impfstoff allein 36 Mrd. US$ entfallen, was rund 44% des Gesamtumsatzes des Unternehmens ausmacht. Einen solchen „blockbuster“ hat es in der Geschichte der Pharmaindustrie noch nicht gegeben. Es wäre gerechtfertigt, wenn der Impfstoff wenigstens wirksam wäre. Er ist es – aber nur in einem vernachlässigbaren Ausmaß. Die eigene, von Pfizer selbst durchgeführte Zulassungsstudie hatte lediglich eine absolute Risikoreduktion an Corona zu erkranken von 0,8 % ergeben. Die berichtete hohe relative Risikoreduktion ist nur Blendwerk, reine Zahlenspielerei, um Laien wie Journalisten und Politiker zu blenden. Dabei bezieht sich die Zahl ganz überwiegend nur auf leichte Verläufe. Denn die schweren Verläufe waren bei über 40.000 rekrutierten Teilnehmern so niedrig, dass man statistisch gar keine sichere Aussage treffen kann. Tödliche Verläufe sind in dieser einzigen prospektiv, doppelblind, randomisierten Studie gar nicht aufgetreten, so dass man von einer prognostischen Bedeutung, also lebensrettenden Impfung gar nicht sprechen kann. Meine jüngste Recherche nach weiteren prospektiven, randomisierten, doppelblinden klinischen Studien zur Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen an den National Institutes of Health (NIH) in den USA ergab keine Ergebnisse, was bedeutet, dass keine unterstützenden, harten Studien zur Verfügung stehen, die ihre Wirksamkeit weiter erhärten. Im Gegenteil, eine neuere schwedische Studie von Nordström et al. (Effectiveness of Covid-19 Vaccination Against Risk of Symptomatic Infection, Hospitalization, and Death Up to 9 Months: A Swedish Total-Population Cohort Study) an über 1,6 Mio. Studienteilnehmern, publiziert in einer der angesehensten medizinischen Fachzeitschriften (Lancet), zeigte, dass nach 4 – 7 Monaten (je nach verwendetem mRNA-Vakzin) gar keine Wirkung mehr vorhanden war, wobei die Wirkungslosigkeit bei Männern und alten Menschen, also den Hochrisiko-Personen, früher einsetzte. Die geimpften Personen wähnen sich also in einer trügerischen Sicherheit. Die von der Politik europaweit implementierten 2G- oder 3G-Strategien sind demnach zu reiner Makulatur geworden. Gerade die vor längerer Zeit geimpften Personen, die unvorsichtig werden, auf Masken verzichten und sich mit Fremden in kleinen, ungenügend belüfteten Räumen aufhalten, fungieren als „Superspreader“. Entsprechend ist der Anteil geimpfter Personen mit sogenannten Impfdurchbrüchen auf den Intensivstationen hoch, wie dies das YouTube-Video eines belgischen Intensivmediziners deutlich macht.

Ob wohl der Arzt und Forscher Paul Ehrlich, 1854 – 1915, Nobelpreisträger für Medizin 1908, mit der Leistung des heutigen Paul-Ehrlich Institutes, Deutschlands höchster Impfbehörde, zufrieden wäre?

Neben Coronaviren können Erkältungskrankheiten durch eine ganze Reihe von Viren verursacht werden: z.B. Rhino-Viren, RS-Viren, Adeno-, Coxsackie- und ECHO-Viren, Influenza- und Parainfluenzaviren. Die weitaus gefährlichsten Viren sind dabei die Influenzaviren, die je nach Mutation nicht beherrschbare Pneumonien verursachen können. Sie sind die Verursacher der eigentlichen Grippe, während man die Infektionen durch die anderen Viren als „grippale Infekte“ subsumiert. Die durch den Influenza-Subtyp A/H1N1 ausgelöste „Spanische Grippe“ hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingetragen. Denn diese schwerste Grippe hat unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg weltweit mindestens 50 Millionen, wenn nicht sogar 100 Millionen Tote verursacht. Dabei sind als Tote bezeichnet worden, die unmittelbar im Verlauf der Infektion an einer Lungenentzündung oder durch einen Zytokinschock verstorben sind. Damals waren überwiegend junge Menschen sowie mittleren Alters betroffen, während Sars-CoV-2, der Überträger von Covid-19, ganz überwiegend Menschen hohen Lebensalters beeinträchtigt. So beträgt die Mortalität bei Menschen ab 90 Jahren 1,2 %, bei Menschen in den Achtzigern 0,4%, bei Menschen mittleren Alters von 30 -59 Jahren 0,004 %, und jünger als 20 Jahren lediglich 0,0001 % (Zahlen erhoben in 1/2021). Bei der schweren Grippewelle 2017/2018 fand sich eine mittlere Mortalität bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Höhe von 0,3 %, also vergleichbar mit der der COVID-19-Mortalität in der Altersgruppe der 60-Jährigen. Wenn man damals die Infektionszahlen erhoben hätte, wären diese nicht viel anders gewesen als die heutigen Corona-Zahlen. Damals wurde noch nicht hysterisch reagiert, obwohl die Intensivstationen auch vollliefen und das italienische Gesundheitssystem bei der bekannt schlechten Infrastruktur Italiens ebenfalls überlastet war. Diese moderaten Zahlen kontrastieren stark zu den von Massenmedien übermittelten Zahlen von „an oder mit“ Corona Verstorbenen. Es ist anzunehmen, dass die „an oder mit“ Corona Verstorbenen ganz überwiegend „mit“ Corona verstorben sind. Der Aufforderung des Lehrstuhlinhabers für Pathologie der renommierten Universität Heidelberg die Todesursache der „an oder mit“ Corona Verstorbenen mittels einer fachgerechten Obduktion zu überprüfen wurde nicht nur nicht Folge geleistet, sondern wurde vom Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), der obersten Gesundheitsbehörde, sogar untersagt. Damit hat sich das RKI selbst disqualifiziert. Selbst das „Handelsblatt“, das wie alle Massenmedien dem „mainstream“ folgend und den selektierten Daten der wenigen, leicht steuerbaren Nachrichtenagenturen unterlegen sind, hatte im Verlauf der letzten „Coronawelle“ am 22.4.21 berichtet:

«Ärztliche Kritik an der Corona-Politik ist sehr selten. Schließlich hängen die Kliniken von staatlichen Geldern und Gesetzen ab. Umso überraschender der Vorstoß von Thomas Hermann Voshaar, Chefarzt der Lungenklinik Bethanien, in der „Bild“-Zeitung. Der Alarmismus der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bezüglich eines unmittelbar bevorstehenden Super-Notstands auf den Intensivstationen sei unverantwortlich, sagt Voshaar: „Nicht mal ein Viertel der 22.000 Intensivbetten in Deutschland sind mit Covid-19-Patienten belegt.“ Offensichtlich ist die Lage im Land viel differenzierter, als es DIVI-Vertreter und die Bundespolitik darstellen. Dazu passen Informationen, wonach 10 bis 15 Prozent der Intensivpatienten zwar Covid haben, aber wegen anderer gravierender Probleme – zum Beispiel Herzinfarkt – auf Station liegen. Die DIVI weist alle Vorwürfe zurück.«

Die hohen von den Massenmedien kritiklos übernommenen Totenzahlen korrespondieren in keiner Weise mit den offiziellen Sterberegistern. Wenn man z.B. für Deutschland die Sterbetafeln des Corona-Pandemiejahres 2020 betrachtet und statistisch korrekt beurteilt, d.h. die demographische Entwicklung mit einbezieht, ergab sich in 2020 sogar eine Untersterblichkeit. Die derzeitige Infektionswelle mit Corona hat trotz der hohen Impfrate in Deutschland zu einem Anstieg geführt, der selbst die Spitzenzahlen im vergangenen Frühjahr bei damals sehr niedrigem Anteil geimpfter Personen überschritten hat. Wie wirksam kann dann die Impfung überhaupt sein? Bei 80%iger Durchimpfung von Erwachsenen in Deutschland sollte man eine deutliche Abschwächung der 4. Infektionswelle registrieren. Das Gegenteil ist der Fall. Die oben angeführte schwedische Studie beweist dies. Die auf Sars-CoV-2 positiv Getesteten sind auf einem Allzeithoch. Und keiner in den „mainstream“-Medien und der Politik fragt sich wie effektiv die Impfung überhaupt ist. Sie ist eben nur marginal, wie die absoluten Zahlen der Zulassungsstudien eigentlich schon vorwegnahmen, und von kurzer Dauer. Wenn man den Aussagen des ehemaligen Lehrstuhlinhabers für Medizinische Mikrobiologie der Uni Mainz, Prof. Bhakdi, Glauben schenken darf, ist eine notwendig erscheinende Auffrischimpfung gegen Covid-19 durch eine potenzielle Entwicklung von Autoimmun-Erkrankungen sogar gefährlich. In der Tat fallen derzeit so viele Hashimoto-Schilddrüsenentzündungen in Deutschland auf, wie es noch nie der Fall war. Die Schilddrüse ist ein lebenswichtiges Organ. Im Prinzip können auch andere Organe wie die Niere durch die bei der Auffrischimpfung ausgelöste Komplement-Kaskade angegriffen werden. Herrn Bhakdi kenne ich persönlich und habe ihn als einen ausgeglichenen, hochkompetenten Bakteriologen geschätzt, der nicht zur Hysterie neigte, wie dies bei den meisten inkompetenten Journalisten und Politikern der Fall ist. Bhakdi ist nicht der Einzige, der warnt. Einer der Pioniere der mRNA-Impftechnologie, Dr. Robert W. Malone, ein US-amerikanischer Virologe und Immunologe, warnt seit längerem explizit vor den Gefahren einer Impfung mit einem mRNA-Vakzin. Er hat damit sogar einen möglichen Nobelpreis aufs Spiel gesetzt, so wichtig ist ihm dies. Gehör fanden beide nicht. Denn die Mainstream-Massenmedien, seien es Printmedien, TV- oder Radioanstalten lassen alternative Meinungen nicht zu. Im Gegenteil, wer zu kritisch ist, wird schnell als Verschwörungstheoretiker, Querdenker oder Rechtsextremist diffamiert. Dabei lassen diese sich von naziesken Lobbyisten einvernehmen nach den Prinzipien des wohl größten Rhetorikers der Neuzeit, des Nationalsozialisten Joseph Goebbels, der klar formulierte. Selbst wenn man eine große Lüge erzähle, brauche man sie nur oft genug zu wiederholen, bis die Menschen sie am Ende glauben.

Was würde wohl Robert Koch, 1843 – 1910, mit Louis Pasteur Mitbegründer der Mikrobiologie und Nobelpreisträger für Medizin 1905, zur heutigen Leitung der nach ihm benannten obersten Gesundheitsbehörde Deutschlands sagen?

Zuletzt sei angemerkt. Ich bin Humanmediziner, Facharzt für Innere Medizin und in meiner früheren Profession ärztlicher Leiter der Intensivstation einer Universitätsklinik. Infektionskrankheiten wie Covid-19 betreffen unmittelbar mein Fachgebiet. Der Gesundheitsminister ist von Beruf Bankkaufmann, der Leiter des Robert-Koch-Institutes besitzt noch nicht einmal die Approbation Patienten zu behandeln, er ist Tiermediziner. Der Leiter des Paul-Ehrlich-Institutes, der höchsten Impfbehörde in Deutschland, besitzt ebenfalls keine Approbation. Er ist reiner Theoretiker, ein Biochemiker. Die vielen von den Medien in Talkshows präsentierten Virologen hätte ich als verantwortlicher Arzt für schwerstkranke Patienten nur aus dem Keller geholt – dort residieren diese meist in ihren Labors - wenn ich Aussagen zur Genauigkeit eines Labortests benötigen würde. Diese waren noch nie verantwortlich für einen einzigen Patienten und werden jetzt hofiert bei der Behandlung von Hunderten von Millionen Menschen. Das kann nicht gut gehen. Ich rate jedenfalls von einer sogen. „Booster“- oder Auffrischimpfung ab, solange die Langzeitnebenwirkungen der neuartigen mRNA-Impfstoffe nicht abgeklärt sind. Ausnahmen sind Hochrisikopatienten einschließlich älterer Menschen über 80 Jahre. Impfungen von Kindern und gesunden Menschen unter 20 Jahren sind aufgrund ihres extrem geringen Risikos einer schweren Manifestation von Covid nicht geboten. Wie dumm muss man eigentlich sein, dass bei der offensichtlichen Wirkungslosigkeit der Covid-19-Impfung nach zusätzlichen Impfungen mit den gleichen wirkungslosen Impfstoffen geschrien wird, wobei die am lautesten schreien, die am wenigsten kompetent sind. Leider sind die Journalisten der Massenmedien nicht sorgfältig genug, sonst würden sie solchen Marktschreiern keinen Raum geben. Ein bescheidener Ratschlag: Einfach mal vorher fragen, wieviel Forschungsgelder die übermäßig zu Wort kommenden Virologen von der Pharmaindustrie beziehen oder welche Firma ihre letzten Konferenzreisen bezahlt hat. Oder vielleicht mal Herrn Drosten, den Virologen der Charité Berlin, fragen wieviel Tantiemen aus der PCR-Entwicklung zur Coronatestung an ihn geflossen sind und ob dadurch nicht seine Ansicht motiviert ist alles zu testen, was nur zu testen geht, anstatt wissenschaftlich solide repräsentative Querschnittstestungen durchzuführen, die wirkliche Inzidenzraten ableiten lassen und nicht diese „Hausnummern“ von sogenannten Inzidenzraten, die von inkompetenten Redaktionen der öffentl.-rechtl. Fernsehanstalten gesendet werden, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu halten – könnte man meinen. Wir sollten nüchterner mit dem Corona-Problem umgehen. Militante Einstellungen auf beiden Seiten, pro oder contra Impfung, helfen nicht weiter. Die letztlich erfolglosen Impfkampagnen sollte man auf Hochrisikopersonen vor den jeweiligen Erkältungsmonaten beschränken - wie wir es eigentlich schon immer mit Grippeimpfungen gehandhabt haben. Coronaviren wird man nicht von der Erdoberfläche tilgen können. Dazu sind sie zu zahlreich und zu anpassungsfähig. Im Gegenteil, wir sollten darauf achten, unserer menschlichen Bevölkerung nicht durch unreife, experimentelle Drogen zu schaden.

DIGITALISIERUNG

5/10/2021

Am Montag, den 4. Oktober 2021, brachen weltweit WhatsApp-, Facebook- und Instagram-Dienste zusammen. Betroffen waren auch mobile Telefondienste, und selbst das Telefonfestnetz. Meine Partnerin, die wegen COVID in Italien seit nunmehr zwei Monaten unter Quarantäne steht, konnte mich nicht erreichen. Ich hatte Glück, dass ich sie über meinen Mobilfunk-Anbieter zumindest kurz erreichen konnte. Unsere Stimmen wurden nur verzerrt wiedergegeben, die Verbindung brach dann plötzlich ab.  Wie kann das passieren?

Facebook and digital networks in trouble

War dies eine Cyber-Attacke? Mit erheblicher Verzögerung, erklärte das Facebook Management lapidar, dass eine von ihren Software-Ingenieuren vorgenommene Änderung ihres digitalen Netzwerkes Ursache dieses langandauernden „Blackouts“ war. "Wir möchten klarstellen, dass wir glauben, dass die Hauptursache für diesen Ausfall eine fehlerhafte Konfigurationsänderung war." Während Facebook sich zunächst nicht zu den Ursachen der Störung äußerte, tippten unabhängige IT-Experten auf einen kapitalen Konfigurationsfehler in der Netzwerk-Infrastruktur, der alle Facebook-Dienste unerreichbar machte. Für Web-Experten sah es vor allem nach einem Problem mit dem Domain Name System (DNS)-Service aus. Dieser Dienst sorgt unter anderem dafür, dass die Website-Namen mit den IP-Adressen verbunden werden, damit diese überhaupt angesteuert werden können. DNS-Störungen traten schon zuvor auf. Letzten Juli verursachten diese, dass zahlreiche Websites zeitweise nicht erreichbar waren. Auslöser waren damals Probleme beim Web-Dienstleister Akamai. Die Zentralisierung der Netz-Infrastruktur bei großen Anbietern birgt die Gefahr, dass ein Versagen alle ihre Dienste und Websites vom Netz reißen kann. Im Juni diesen Jahres waren zahlreiche Websites weltweit nach einer Störung beim Cloud-Dienst Fastly rund eine Stunde nicht erreichbar gewesen. Damals betroffen waren unter anderem die Seite der britischen Regierung, die Plattform Reddit sowie die Nachrichtenportale der Zeitungen "Guardian", "New York Times", "Financial Times" und "Le Monde".

Doch nicht nur die sozialen Netzwerke waren von den massiven Störungen betroffen. Nach "allestörungen.de" schienen auch andere Internet-Anbieter Probleme zu haben. Zusätzlich kam es zu Störungen bei Mobilfunkanbietern und selbst im Telefonfestnetz, das nicht mehr wie früher über separate Telefonleitungen, sondern eben auch über IT-basierte Netzwerke (Computertelefonie) abläuft. Vodafone-Nutzer etwa meldeten Probleme mit dem mobilen Internet, aber auch mit Festnetz-Kabel und -DSL. Bei der Telekom und O2 sah es nicht besser aus. Nutzer verzeichneten sogar einen totalen "Blackout". Zwei anonyme IT-Sicherheitsexperten von Facebook erklärten der "New York Times", eine Cyberattacke als Auslöser der Probleme erscheine unwahrscheinlich. Denn die Technologie hinter den einzelnen Apps des Konzerns sei zu unterschiedlich, um sie mit einer Cyberattacke alle gleichzeitig offline zu bringen. Dies erscheint etwas blauäugig zu sein. Über die offensichtliche Fragilität unserer Digitalsysteme äußerten sich diese gläubigen „IT-Nerds“ nicht.

Inzwischen ist klar: Der Black-out betraf nicht nur Nutzer in Deutschland, sondern in ganz Europa, den USA, Australien und Asien und dauerte über 7 Stunden bis er einigermaßen behoben werden konnte. Die lange Verzögerung ergab sich auch durch einen wirklich krassen Umstand. Facebook-IT-Spezialisten kamen nicht in ihre Arbeitsräume, um mit der geeigneten Hardware an dem Problem zu arbeiten, berichtete NBC-Journalist Kevin Collier auf Twitter. Der Zugang zu den Räumen sei demnach an das Internet gekoppelt. Davon war Facebook abgekoppelt wie andere Nutzer auch, d.h. selbst die interne Kommunikation funktionierte nicht mehr. Hier wurde offensichtlich Wirklichkeit, was zuvor im Netz als Witz kursierte: Ein junger Mann konnte wegen der veränderten Sprache nach einer extensiven Zahnbehandlung nicht mehr über sein sprachgesteuerten „Smartkey“ seines „Smartph,one“ sein eigenes Haus betreten. Ein simpler „analoger“ Schlüssel hätte das Problem gelöst. Der ganze Stolz des jungen Mannes, ein „Smart House“ zu besitzen brach auf einmal zusammen. Es ist schier unfassbar, dass diese „Smart Guys“ von Facebook an diese Möglichkeit nicht dachten, keinen Plan B zur Verfügung hatten. Wahrscheinlich haben auch sie in ihre Arbeitsräume brachial einbrechen müssen.

Man kann nur hoffen, dass dieses IT-Desaster ein Weckruf für verantwortliche Politiker und Regierungen ist. Man kann globale Kommunikationssysteme nicht in den Händen von profitgetriebenen Unternehmen lassen. Facebook und sein blasser CEO Mark Zuckerberg haben doch nur eines im Sinn: Geld. Dies geschieht über ein Ausplündern und Weitergabe sensibler Daten - sei es der private Geschmack, Konsumverhalten, politische, religiöse und sexuelle Orientierung. Hier muss ein Riegel vorgeschoben werde. Keiner sollte so blauäugig sein, gute Business-Ideen über „Social Media“ zu kommunizieren bis alles in trockenen Tüchern ist, d.h. vor unberechtigter Kopie umgesetzt und rechtlich geschützt ist. Wie eine Hydra hat Facebook Wettbewerber wie WhatsApp oder Instagram geschluckt, um keinen Wettbewerb zuzulassen. Die US-Kartellbehörden müssen diesen unfähigen Kraken endlich aufteilen.

Der weltweite, überwiegend dümmliche Journalismus, der die noch dümmeren Politiker vor sich hertreibt, muss endlich auf den Boden der Realität zurückgeholt werden. Die ständigen Schreie nach globaler Digitalisierung von Personen, die keine Ahnung davon haben, was sie damit anrichten, müssen aufhören. Wenn man den Angaben des erfahrenen und sehr differenzierten Journalisten Jan Fleischhauer Glauben schenken darf - ich tue dies - sind etwa 80% aller Redaktionsstuben deutscher Zeitungen durchsetzt von Sozialromantikern. Ist diesen Sozialromantikern nur im Geringsten klar, was sie mit ihrem unaufhörlichen Fordern von mehr Digitalisierung fordern: den totalen Überwachungsstaat mit video-assistierter Gesichtserkennung auf öffentlichen Geländen, Amazon-überlassener privater Ausspionierung durch Alexa, und, und, und. Suchmaschinen-Dienste, soziale Netzwerke bilden eine fast nicht mehr zu kontrollierende Marktmacht, wobei jeglicher innovativer Fortschritt gehemmt ist. Die Suchmaschine Google ist unter Profitorientierung von so schlechter Qualität, dass sie für professionelle Nutzer im Grunde nicht mehr zu gebrauchen und eigentlich als neutrale Suchmaschine nicht mehr akzeptabel ist. Soziale Netzwerke wie Facebook verfügen über eine Datensammlung von Milliarden von Menschen, die einen Alptraum, wie es George Orwell in „1984“ beschrieben hat, noch übertreffen.

„1984“ von George Orwell, 1949

Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse. Heute sind dies die Ideen der Digitalisierung vermittelt durch die Oligopole der weltweit operierenden Digitalunternehmen wie Apple, Microsoft, Alphabet (u.a. Google), Facebook (u.a. Instagram, WhatsApp) und Amazon. Sie sind es, die die Multiplikatoren der Kommunikation, die Massenmedien, allein durch ihre Werbevergaben beeinflussen. Es ist in ihrem Interesse die Digitalisierung als eines der Zukunftsaufgaben der Menschheit zu forcieren – ohne Rücksicht auf die gesunde Entwicklung von Kindern und der Einschränkung von Grundrechten wie der Einhaltung der Privatsphäre. Dabei führt die Digitalisierung zur Entmenschlichung noch unbekannten Ausmaßes. Für dieses Anliegen wird der naive Journalismus und die Massenmedien rücksichtslos eingesetzt. Die nachwachsende Generation wird durch Digitalisierung nahezu „automatisiert“. Genauso wie die moderne Massenproduktion die Standardisierung der Industrieproduktion verlangt, fordert auch der postmoderne gesellschaftliche Prozess die Standardisierung der Menschen. „Mainstream“ ist das Maß; Menschen werden austauschbar, zur bloßen Nummer mit der Funktion die ihnen gestellten Aufgaben zu erledigen, welche durch das System vorgegeben werden.

Natürlich brauchen wir vermehrt digitale Lehrangebote für Studenten und Schüler. Wenn man das undifferenzierte Propagieren der Digitalisierung in den Massenmedien und in der Politik verfolgt, kann einem allerdings nur das Grausen kommen. Denn der intellektuellen Entwicklung von Kindern wird sie nicht gerecht. Wie immer ist zu differenzieren: Was in der Oberstufe einer Sekundärschule adäquat ist, kann in der Grundschule schädlich sein. Die kulturelle Evolution hat die biologische bei weitem überflügelt, wobei diese leider auf die technische Revolution fokussiert ist, was sich heute in seinen Auswüchsen im Bereich der Digitalisierung im sogenannten Zeitalter des „Industry 4.0“ zeigt. Sie richtet sich dabei zunehmend gegen den Menschen, sodass Manfred Spitzer sogar die Gefahr einer weit verbreiteten Entwicklung einer „digitalen Demenz“ sieht, die er definiert als Gedächtnis- und Konzentrationsstörung, emotionaler Abflachung und allgemeiner Abstumpfung. Wenn wir uns alles von digitalen Medien abnehmen lassen, werden wir Menschen zunehmend verblöden. Denn das Gehirn muss ständig trainiert werden, wie die Muskulatur, um in Form zu bleiben.

Es kann schon jetzt prognostiziert werden, dass die sich derzeit entwickelnde, zunehmende Digitalisierung im Produktions- und Dienstleistungsbereich zu einer Rezession bisher unbekannten Ausmaßes führen wird, was einhergehend mit der zunehmend politisch instabilen Situation in den westlichen Industrienationen erheblichen Zündstoff für umwälzende gesellschaftliche Veränderungen bereitstellen wird. Die Macht der derzeit herrschenden „Big Five“ der Digitalwirtschaft, Alphabet, Facebook, Amazon, Microsoft und Apple, bestimmen die in den Medien forcierten Gedanken der Digitalisierung als ob dies die alles Heil bringende Religion der Zukunft sei. De facto ist die Digitalisierung gegen den Menschen gerichtet und dient nur der Gewinnmaximierung und Machtausdehnung der schon jetzt allzu mächtigen Digitalwirtschaft, die die Massen manipulierenden und einst unabhängigen Medien, Internet, TV, Rundfunk und Zeitungen, zu ihrem Büttel gemacht haben.

Digitalisierung ist nichts anderes als eine Reduktion des Lebens auf 1 und 0. Das ist die Maschinensprache, die nur mit der Kombination dieser zwei Zahlen arbeitet. Es verbleibt jedem Einzelnen von uns, sich dagegen zur Wehr zu setzen.  Ich habe jedenfalls für mich entschieden, dass ich analoge, reale Liebe der virtuellen, digitalen vorziehe.

Politik

31/8/2021

Eine der Regeln in meinem Unternehmen lautet: keine Politik, keine Religion – d.h. innerhalb des Unternehmens sollte weder über Politik noch Religion gesprochen werden. Denn dies kann nur Probleme verursachen. Jeder soll sich in meinem Unternehmen wohlfühlen unabhängig seiner politischen Anschauung oder Religionszugehörigkeit. In Deutschland befinden wir uns allerdings in einem „Superwahljahr“ mit mehreren bedeutenden politischen Wahlen, darunter die zum Bundestag in diesem Monat. Deshalb will ich eine Ausnahme von der Regel machen, jedoch ohne für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen.

Sitz des deutschen Bundestages: das Reichstagsgebäude (Rückseite) vom Boot auf der Spree aus gesehen.

Von einigen Politikern wird die bevorstehende Bundestagswahl sogar als historische, für die Entwicklung unseres Landes besonders wichtige Wahl bezeichnet. Dies geschieht allerdings bei jeder Bundestagswahl, an die ich mich erinnern kann – und das sind seit 1969 deren mittlerweile 14. Es ist also, wie so häufig bei Politikern, nur eine Sprachhülse, oder platt ausgedrückt – leeres Gerede. Und wie bei jeder Bundestagswahl sind alle wichtigen Straßenverkehrsstraßen „zugepflastert“ mit Plakaten, die das Porträt irgendeiner zur Wahl stehenden Person zeigen - häufig Personen, die man noch nie gesehen hat, die noch nie in irgendeiner Weise durch besondere Verdienste hervorstachen, und die man/frau wahrscheinlich nie wiedersehen wird. Ausgenommen davon sind nur die Spitzenpolitiker:innen, die über die Massenmedien bekannt sind. Im Zeitalter der elektronischen Medien, der ubiquitären „Smartphones* frage ich mich allerdings, ob diese Art der Plakatwerbung aus dem letzten Jahrhundert überhaupt noch zeitgerecht ist. Wie viele Bäume mussten für all das Papier und Holz ihr Leben lassen? Wieviel Müll wird zusätzlich generiert? Als ich an den Wahlstand der Partei kam, die sich besonders für Umweltangelegenheiten engagiert, und die Unmengen von „Flyern“ und Werbematerial auf ihren Tischen vorhielt, konnte ich mich nicht zurückhalten „Und Sie wollen die Umwelt retten? Sie wollen zukunftsweisend sein? Können Sie Ihre Werbung nicht papierfrei, digital gestalten? Wir brauchen jeden Baum zu Verbesserung der Luft in unserer Atmosphäre. Es sind die Bäume und Pflanzen, die das von uns generierte CO2 aufnahmen und dafür O2 ausscheiden, das wir zum Leben brauchen.“ Die Antwort war leeres Gerede…

Die politischen Parteien bekommen das Geld für das ganze Werbematerial aus unseren Steuern. Jede politische Partei erhält aus öffentlichen Mitteln (Stand 2020):

• 0,86 € jährlich für jede für ihre Partei abgegebene gültige Stimme (Zweitstimme). Für die ersten 4 Millionen Stimmen erhöht sich der Wert sogar auf 1,05 €;

• zusätzlich 0,45 €/Jahr für jeden Euro, den sie als Zuwendung (Mitglieds- oder Mandatsträgerbeiträge sowie rechtmäßig erlangte Spenden) erhalten haben. Dabei werden jedoch nur Zuwendungen bis zu 3.300 € je natürliche Person berücksichtigt.

• Um am System der staatlichen Teilfinanzierung teilzunehmen, muss jedoch eine Partei bei der letzten Bundestags-oder Europawahl mindestens 0,5 % oder bei einer der letzten Landtagswahlen 1,0 % der gültigen Stimmen erhalten haben (gilt nicht für Parteien nationaler Minderheiten).

Hinzu kommen indirekte Parteifinanzierungen (für Partei-Stiftungen etc.), die extraorbitante Höhen angenommen haben, so dass eine neue Partei (ÖDP) dagegen vor Gericht zog, jedoch unterlag, da die Parteienfinanzierung durch das Grundgesetz abgesichert ist, welches nur über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament geändert werden kann, was jedoch nie geschehen wird. Denn die etablierten Parteien wollen sich ihre Privilegien nicht nehmen lassen. Die Alimentierung der politischen Parteien belief sich im Jahr 2019 auf 193,6 Mio €, was wegen der zunehmenden Belastung des Bundeshaushaltes gedeckelt werden musste. Wenn der errechnete Gesamtbetrag für alle Parteien die absolute Obergrenze überschreitet, werden die auf die einzelnen Parteien entfallenden Beträge anteilsmäßig entsprechend gekürzt. Die indirekten Parteifinanzierung ist hier jedoch nicht einbezogen und ein gekonnter Schlupfwinkel für die Partien doch mehr Geld aus dem Steueraufkommen der Menschen abzusaugen. Addiert man die Zuwendungen im Rahmen der indirekten Parteienfinanzierung zu den o.gen. direkten Zuwendungen, so fallen pro Wahlperiode von 4 Jahren Kosten für die über unsere Steuergelder erbrachten Mittel in Höhe von ca. 1 Mrd. € an, Geld das für die Sanierung unserer Schulen, z.B. der Ausstattung mit geeigneten Luft- und Virenfiltern für unsere Zukunft viel besser angelegt wäre.

Bundeskanzleramt (Hintergrund). Im Vordergrund, die 5,5 m hohe, 90 t schwere wunderschöne Skulptur von Eduardo Chillida, welche die Wiedervereinigung Deutschlands symbolisiert: verschränkte Hände, die einen neuen Raum kreieren, welchen ich versuche zu erfühlen.

Politische Parteien sind maßlos. Dies zeigt sich auch daran, dass sie der zunehmenden Aufblähung des Parlaments tatenlos oder sogar mit Freude zusehen. Eigentlich sollte der Bundestag 598 Abgeordnete haben. Durch Ausgleichs- und Überhangmandate ist dieser nun auf 709 Abgeordnete aufgebläht (8,53 pro 1 Mio Einw.). Der Bundestag ist das größte Parlament aller westlichen Demokratien. Im Vergleich zu den U.S.A. mit 100 Abgeordneten im Senat und 435 im Repräsentantenhaus (zusammen 1,63 Abgeordnete pro1 Mio Einw.) leisten wir uns mehr als 5x so viel Abgeordnete pro Einwohner. Addiert man unsere EU-Abgeordnete (96) noch hinzu, sind es fast 6x soviel. Nach Aufstellung des Bundesrechnungshofs kostet uns der derzeitige Bundestag pro Jahr knapp € 974 Mio. Jeder Wähler oder Wählerin kann etwas dagegen tun. Splitten Sie nicht! Geben Sie die Erst- und Zweitstimme nur einer Partei. Dann gibt es keine zusätzlichen Ausgleichsmandate. Überhangmandate kommen zustande, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr dort nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Überhangmandate werden durch sogenannte Ausgleichsmandate für die anderen Parteien kompensiert. Erhält eine Partei also ein oder mehrere Überhangmandate, dann wird die Gesamtzahl der Sitze im Bundestag solange erhöht, bis das Größenverhältnis der Fraktionen im Bundestag den Anteil der Zweitstimmen bei der Wahl genau widerspiegelt.

Allein durch konsequentes Nicht-splitting können wir mehr als 152 Mio € pro Jahr einsparen, was wir dringend für Infrastrukturmaßnahmen benötigen und nicht für die viel zu vielen Abgeordneten, die wie Aristokraten wie die Maden im Speck leben und bei der Bekämpfung der Covid19-Pandemie so kläglich versagt haben. Sie handelten zu langsam und schützten nicht unsere verfassungsmäßig zugesicherten Grundrechte. Ein Grundrecht ist ein Recht, das man nicht einschränken kann - sonst ist es kein Grundrecht!

Lassen Sie mich darüber reden, welchen Anforderungen Spitzenpolitiker gerecht werden müssen, damit sie ein hohes öffentliches Amt überhaupt erfolgreich bestreiten können. Dies gilt natürlich auch für alle anderen zur Wahl stehenden Personen, die ja von uns, über unsere Steuern bezahlt werden. Denn sie tun dies nicht selbstlos. Ich kenne keinen Politiker und keine Politikerin, welche ihr Amt ohne Entgelt, ganz zum Wohle der Allgemeinheit ausführen wollen. Ganz im Gegenteil, viele bestehen sogar noch auf das Recht zum Nebenverdienst, welche sie in ihrem Fokus für die Allgemeinheit natürlich beeinträchtigen oder sogar in eine bestimmte, von Dritten beeinflusste Richtung drängen. Welche Eigenschaften sollten eine Führungspersönlichkeit mit sich bringen? Um dies zu beantworten, scheint mir ein Rückblick in die ursprünglichen Demokratien unserer westlichen Welt sinnvoll. Vielleicht können wir daraus lernen.

Cicero definierte den Staat in einem seiner drei Hauptwerke, „De re publica“, als Rechtsgemeinschaft eines Volkes zum gemeinsamen Nutzen.  Dabei hat der Staat nur eine Daseinsberechtigung, nämlich als höchstes Ziel das glückliche Leben all seiner Bewohner zu verfolgen. Denn nur die Glückseligkeit kann das Ziel des menschlichen Lebens sein. Aristoteles führte dies in seiner Nikomachischen Ethik aus: „Zielgut der Staatskunst“ müsse die Glückseligkeit sein, womit „gut leben“ und „sich gut gehaben“ einhergeht. Jeremy Bentham hatte dies sehr viel später in dem von ihm geprägten Utilitarismus noch einmal betont: je mehr Glück durch eine Maßnahme in einer Gesellschaft induziert wird, desto nützlicher ist dies für die Gemeinschaft. Dazu gehören drei Voraussetzungen: die Bildung, die zur Einsicht und Urteilsfähigkeit führt, die Erziehung, die moralische Integrität gewährleisten soll, und die Lebensfreude, die genügend Freizeit zur Voraussetzung hat. Die moralische Integrität wird nach Platon durch vier Kardinaltugenden geprägt: Klugheit, Besonnenheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit, wobei letzteres entscheidend ist, die Beziehungen der Menschen in einer Gemeinschaft reibungsfrei zu ordnen. Aristoteles differenzierte die Verstandestugenden (Klugheit, Auffassungsgabe und Wissen) von den ethischen Tugenden, Großzügigkeit, Maßhalten und Toleranz. Für die Führung oberster Staatsämter setzte Aristoteles neben den Verstandes- und ethischen Tugenden Liebe zur Verfassung und Kompetenz voraus. Cicero, ein Mann der Praxis in höchsten Staatsämtern des Imperium Romanum, übernahm eine Reihe dieser von Theoretikern geforderten Tugenden. Für ihn waren Mut und Tatkraft, Gerechtigkeitswille auf fundierter Rechtskenntnis, Sparsamkeit und Uneigennützigkeit, Bildung und Rhetorik, sowie weise Voraussicht (prudentia) für die Qualität eines Staatslenkers entscheidende Voraussetzungen.

Entscheiden Sie selbst, welche dieser Tugenden und Eigenschaften unseren derzeitigen Politikern in der Exekutive zukommen. Frau Dr. Merkel hat sicher vieles bewirkt, aber nur in Reaktion zu etwas, nie in weiser Voraussicht. Der derzeitige Außenminister, Hr. Maas, hat noch im Juni proklamiert, er sehe keine Gefahr, die von den Taliban ausgehe. Das derzeitige Desaster in Afghanistan zeigt, dass dieser Politiker völlig ahnungslos ist und eigentlich sofort aus seinem verantwortungsvollen Amt entfernt werden muss. Ein politisches System, das solche Versager konsequenzlos agieren lässt, hat eigentlich seine Berechtigung verloren, uns zu regieren. In der heutigen Gesellschaft scheinen mir neben der Gerechtigkeit vor allem die Tatkraft, weise Voraussicht, Toleranz und Mäßigung von besonderer Wichtigkeit zu sein. Daneben vermisst man heute Kernkompetenz in nahezu allen Bereichen der Staatsführung in den meisten Nationalstaaten. Generalisten in Ministerämtern haben so wenig Fachkompetenz, dass diese noch nicht einmal in der Lage sind fachlich adäquate Berater oder Beraterinnen hinzuzuziehen. Und wenn ein früherer, mittelmäßiger Schauspieler (Ronald Reagan) oder ein Showman und Immobilienentwickler (Donald Trump) zum mächtigsten Amt in der westlichen Welt aufsteigen kann, dann sagt dies alles.

Wir schauen derzeit gerade auf die Kandidaten:innen für das Kanzleramt, zumindest die, die sich dafür bezeichnen. Die Einengung auf diese drei Parteien, CDU, SPD und Grüne, halte ich für manipulativ zu Lasten der vielen anderen Parteien, zumal der Kanzler bzw. Kanzlerin bei uns nicht direkt gewählt werden. Wenn ich die oben angeführten Kriterien für ein hohes Staatsamt reflektiere ist keiner der vorgestellten Personen geeignet. Der eine hat bewiesen, dass er mit Krisen in seiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs (G20 Gipfel 2017) nicht umgehen kann. Als zuständiger Finanzminister hat er sich von einer mutmaßlich kriminellen Vereinigung, Wirecard, an der Nase herumführen lassen und hat letztlich den größten Finanzskandal der Geschichte Deutschlands mit zu verantworten. Der andere konnte sich in Anbetracht des Leids so vieler Menschen nicht beherrschen, Witze zu machen oder zu Lachen, just während der Bundespräsident seine Anteilnahme an dem Verlust von 189 Menschenleben und dem Hab und Gut so vieler Tausender in den betroffenen Überflutungsregionen unseres Landes im vergangenen Juli zum Ausdruck brachte. Eine politische Partei, die das C für christlich in ihrem Namen trägt, hat diese Bezeichnung nicht verdient, wenn sie aus reinem Machtinteresse an einem solchen Mann festhält. Die dritte im Bunde, die ihre fehlende Kernkompetenz durch Überhöhung ihres Lebenslaufes und fast krankhaftem Ehrgeiz kompensieren will, ist ebenso wenig geeignet wie die anderen beiden, unabhängig ihrer politischen Ziele, sondern wegen ihrer persönlichen Defizite. Wenn das das Beste ist, was Deutschland zu bieten hat, dann armes Deutschland.

Die großen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Links: Konrad Adenauer (1949-63), der den Wiederaufbau Deutschlands und die Eingliederung in den Westen jedoch auf Kosten der Abtrennung Mittel- & Ostdeutschlands nach dem 2. Weltkrieg organisierte. Mitte: Helmut Schmidt & Willi Brand (1969-82), die die Versöhnung mit dem Osten und die Freundschaft mit Frankreich als Grundlage für den Aufbau der EU vorangetrieben haben. Rechts: Helmut Kohl (1982-98), der die Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland, der ehemaligen DDR, umsetzte (Gemälde im Gang des Bundeskanzleramts).

Mein Resümee: Die Wahl einer der Parteien, die für nachgewiesen unsinnige Grundrechtseinschränkungen während der Corona-Krise in Regierungsverantwortung auf Bundes- oder Länderebene standen, im wesentlichen also CDU/CSU, SPD und Grüne, scheinen mir nicht in Frage zu kommen. Es sei denn man sieht sich identifiziert mit Heinrich Manns „Der Untertan“, der alles abnickt, was von oben kommt. Vielleicht ist es an der Zeit eine wirkliche Änderung herbeizuführen. Wenn viele so denken, ist keine Stimme verloren. Dann werden viele alternative Parteien die 5%-Hürde, um in den Bundestag einzuziehen, passieren. Die Zeit der Volksparteien ist sowieso vorbei. Es gibt genug Alternativen, um wirklich frischen Wind in den Bundestag zu bringen und die Zukunftsaufgaben anzupacken. Lassen Sie sich in jedem Fall nicht von profanen Versprechen irgendwelcher Parteifunktionäre locken. Ohne gleichzeitige Angabe, wie man die versprochenen Vorhaben umsetzen will, wie man maßgebliche Opponenten von ihrer Richtigkeit überzeugen will, ist dies nur leeres Gerede.

Frauen

23/7/2021

Die ehemalige Premierministerin des Vereinigten Königreichs, Lady Margaret Thatcher (1925 - 2013), spätere Baronin Thatcher von Kesteven, sagte einmal: "Wenn Sie etwas sagen wollen, beauftragen Sie einen Mann; wenn Sie etwas tun wollen, beauftragen Sie eine Frau". Ich stimme ihr nicht zu. Die Fähigkeit, Dinge zu erledigen, ist eine Eigenschaft des Charakters einer Person, unabhängig vom Geschlecht. Es gibt viele Menschen um uns herum - Männer, Frauen und Diverse - die nur reden und vielleicht sogar reden, ohne etwas zu sagen. Der Prototyp einer solchen Person ist ein Politiker. Und es gibt Leute unter uns, die Dinge erledigen. Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die sagen: "Ich will dies oder das werden". Aber sie tun nichts, um dorthin zu gelangen. Es ist eine Sache, sich Ziele zu setzen, Wünsche zu artikulieren, aber es ist eine ganz andere Geschichte, Wünsche zu erfüllen oder Ziele zu erreichen. Wenn Politiker während eines Wahlkampfes vor Wahlen etwas versprechen, fragen Sie sie einfach: "Wie wollen Sie das erreichen? Welche größten Probleme sind zu überwinden? Wie werden Sie Ihre Gegner erfolgreich überzeugen?" In den allermeisten Fällen werden Sie nur leere Phrasen als Antworten hören.

Warum ist es so, dass noch viele Menschen denken, dass männliche Personen in Bezug auf Leistung erfolgreicher seien. War es immer so? Definitiv nicht. Vor Tausenden von Jahren gab es in primitiven Gesellschaften mit nur wenigen Stämmen tatsächlich eine Dominanz der Frauen. Es ist eine Frau, die ein Kind gebärt, die Leben zur Welt bringt. Daher hatten ursprünglich Frauen die Führung über das Gemeinschaftsleben inne, wie es immer noch in wenigen, abgelegenen Stämmen im Regenwald der Amazonasregion der Fall ist. Später, aufgrund der Zunahme der Zahl der Stämme und der Entwicklung von Kämpfen zwischen ihnen, entstand aufgrund ihrer körperlichen Stärke die Dominanz der Männer. Der Patriarchalismus ging also ursprünglich von der stärkeren physischen Natur des Mannes aus und wurde von frühen Religionen wie der jüdischen und später vom Christentum manifestiert: "weil er (der Mann) Gottes Bild und Spiegelbild ist, aber die Frau ist die Spiegelung des Mannes. Da der Mann nicht aus der Frau erschaffen wurde, sondern die Frau aus dem Mann gemacht wurde ... Der Mann wurde nicht wegen der Frau geschaffen, doch die Frau wegen des Mannes", so der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther.

Im Jahre 415 n. Chr. konnten fanatische Anhänger des frühen Christentums nicht akzeptieren, eine weibliche Universalphilosophin und Wissenschaftlerin zu sehen, unverheiratet, selbstbewusst und klüger als die meisten Männer in Alexandria zu dieser Zeit. Das war Hypatia (355 - 415), die Tochter des letzten Direktors der Bibliothek in Alexandria, dem wichtigsten Wissensinstitut der Antike.

Die (Philosophie-)Schule von Athen, Fresko von Raffael, 1510/11, Stanze della Segnatura, Vatikan. Dieser außergewöhnliche Renaissancemaler stellte Hypatia (Mitte links) in die Nähe der Gruppe um Pythagoras, einen der größten Philosophen und Wissenschaftler im antiken Griechenland.

Sie fand heraus, dass die damalige „Mainstream“-Auffassung des ptolemäischen geozentrischen Weltsystems falsch war. Stattdessen ist die Hypothese von Aristarch (310 - 230 v. Chr.), dass die Erde um die Sonne kreist, also ein heliozentrisches Weltsystem, richtig. Darüber hinaus gibt es Grund zu der Annahme, dass die erste Beschreibung elliptischer Umlaufbahnen von Planeten um die Sonne anstelle von einfachen Kreisen von ihr stammen. Sie war von einem fanatischen männlichen Mob brutal ermordet worden, der Streifen von Fleisch von ihrem Körper schnitt bis sie tot war.

Später bezogen sich weder Kopernikus noch Galilei auf sie, als sie die "neue" Sicht der Welt etablierten. Selbst der große Philosoph Nietzsche (1844 - 1900), der die Sklavenmoral des Christentums entlarvte, konnte die schreckliche traditionelle Sichtweise über Frauen nicht ablegen. Tatsächlich wurde seine Ansicht durch frustrierte Beziehungen mit Frauen induziert. Er hatte die Geschlechtskrankheit Syphilis im frühen Alter erworben, was bei ihm ein schreckliches Bild von Frauen hinterließ. Er schrieb: "Wenn du zu Frauen gehst, vergiss die Peitsche nicht". Darüber hinaus konnte er nie überwinden, dass Lou v. Salomé (spätere Andreas-Salomé, 1861 -1937), eine außergewöhnliche, hoch gebildete, attraktive Frau, die "russisch-deutsche Schönheit" genannt wurde, seine Heiratsanträge ablehnte. Nietzsche blieb mit der jahrhundertelangen, anhaltenden Unterdrückung der Frauen durch die christliche Kirche im Einklang und erklärte, was für jede Frau demütigend ist: "Der Mann soll zum Krieger erzogen werden, und die Frau zu seiner Entspannung; alles andere ist Torheit".

Legendäre Fotografie von Jules Bonnet, 1882, zeigt Lou v. Salomé, eine Peitsche in der Hand, die die beiden berühmten Philosophenfreunde Paul Rée und Friedrich Nietzsche führte, die beide sie heiraten wollten und nicht erfolgreich waren. Lou folgte keiner Konvention und wollte frei bleiben. Später lebte sie mit dem Dichter Rainer Maria Rilke zusammen und war in enger beruflicher Beziehung zu Sigmund Freud, entwickelte mit ihm die Methode der Psychoanalyse. Sie, und nicht Freud, war die erste praktizierende Psychoanalytikerin.

Bis heute konnten sich Frauen selbst in den meisten fortgeschrittenen Ländern nicht vollständig von dieser Unterdrückung befreien. In einigen rückständigen Ländern der islamischen Welt werden Frauen sogar noch immer als Eigentum von Männern betrachtet. Bis heute ist es Frauen nicht erlaubt, Gottesdienste in der katholischen Kirche zu leiten. Erst vor kurzem (1990) haben Frauen in allen Regionen der Schweiz, einem der reichsten und fortschrittlichsten Länder der Erde, die gleichen Wahlrechte. Das Vorurteil der Minderwertigkeit von Frauen und der Überlegenheit von Männern wurde bis in die Gegenwart weitergegeben. Dies stört permanent die Harmonie zwischen den Geschlechtern und bedroht Liebesbeziehungen und das Glück der Partner. Es ist eine Hauptursache der hohen Scheidungsrate in modernen Gesellschaften. Die Lösung zur Versöhnung zwischen den Geschlechtern kann nur durch echte Partnerschaft und eine gleichberechtigte Erziehung von Jungen und Mädchen erreicht werden. Vergleicht man verschiedene Länder in Europa, wird klar, dass noch ein langer Weg zu gehen ist. In keinem der Mittelmeerländer hatte eine Frau eine führende politische Position inne - bis heute. Gleiches gilt für osteuropäische und alpine Länder. Alle Vorsitzenden der großen politischen Parteien in Finnland hingegen sind Frauen. Finnlands Ministerpräsidentin ist die jüngste Frau, die jemals eine so verantwortungsvolle Position innehatte. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch in anderen skandinavischen und baltischen Ländern. Bundeskanzlerin Angela Merkel regierte 16 Jahre lang in Deutschland. Als sie 2005 ihre Karriere als Kanzlerin begann, behauptete der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Dazu ist sie nicht in der Lage." Es wurde von ihr bewiesen, dass er definitiv falsch lag. Sie vollzog einige wichtige Veränderungen, die Schließung von Kernkraftwerken, die die gesamte Bevölkerung gefährdeten, und den Wandel in eine multikulturelle Gesellschaft, selbst unter Berücksichtigung gesetzlicher Brüche. Dr. Merkel wurde weithin als verlässliche und weise handelnde Staatsfrau anerkannt.

Das letztere Wort existiert nicht einmal in modernen Wörterbüchern; man kann nur den Begriff Staatsmann finden. Daher muss unsere gesamte Sprache angepasst werden, weil die Unterdrückung der Frauen in jedem Teil der Gesellschaft stattfindet, nicht nur in der politischen. Daher ist in Deutschland ein Gesetz über Führungspositionen im Gange. Dieses neuartige Gesetz verlangt, dass in allen börsennotierten Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern und mindestens drei Vorstandspositionen mindestens eine Vorstandsposition von einer Frau übernommen werden muss. Das ist ein sinnvoller Anfang. Derzeit erfüllen nur 2/3 aller großen Unternehmen in Deutschland diesen Mindeststandard. Da die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands weiblich ist (50,7 %), sollte die Hälfte aller Führungspositionen in Unternehmen und im öffentlichen Sektor durch Frauen abgedeckt werden. Und wenn Mitglieder des kulturellen Systems, Künstler, erklären, dass sie die Avantgarde einer Gesellschaft bilden, sollten sie sich bewusst sein, dass weibliche Künstler immer noch keine Chancengleichheit in ihrer künstlerischen Karriere haben (siehe mein Blog "Kunst" vom 27. Juni). Da allein die breite Diskussion über ein strenges Quotensystem von wirtschaftlichen Führungspositionen die Zahl der Großunternehmen, die Vorstandspositionen für qualifizierte Frauen öffnen, von 53 % im Herbst 2020 auf 67 % im Sommer 2021 deutlich erhöht hat, ist jetzt klar, dass nur ein strenges Quotensystem dazu beitragen wird, mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu schaffen. Obwohl der Anteil weiblicher Vorstandspositionen der 30 DAX-Gesellschaften in Deutschland innerhalb des letzten Halbjahres von 12 auf 16 % gestiegen ist, ist es noch ein weiter Weg bis zu 50 %. Das zeigt sich bei den Unternehmen, die von dem neuen Gesetz nicht betroffen sein werden. Dort ist der Anteil der Frauen, die Positionen im Top-Management abdecken, nach wie vor sehr gering und stieg im letzten Halbjahr um weniger als 1 %-Punkt an. Deshalb muss das neue Gesetz auf alle Sektoren unserer modernen Gesellschaften angewendet werden, wenn diese Gesellschaften diese Charakterisierung wirklich verdienen wollen - modern zu sein.

Darüber hinaus muss eine Gesellschaft eine Infrastruktur schaffen, die Frauen überhaupt die Möglichkeit bietet, schon früh eine berufliche Laufbahn zu verfolgen. So müssen Kindergärten und Vorschulen, die sich während eines ganzen Arbeitstages um Kinder kümmern, bundesweit mit einfachem und freiem Zugang für alle Kinder eingerichtet werden. Der antike Philosoph Platon (428 - 348 v. Chr.) hatte bereits vorgeschlagen, Kinder in Kinderheimen direkt nach ihrer Geburt aufzunehmen und großzuziehen (er definierte sie in seinem Buch "Der Staat" als Frauenunterkünfte), um Frauen von ihren Pflichten zu befreien, ihre Kinder selbst zu erziehen und zu ernähren und frei zu sein, selbst Kriegsdienste leisten zu können. Tatsächlich schlug er die Auflösung von Familienverbänden vor. Das war so revolutionär, dass er zögerte, diese Ideen zum Ausdruck zu bringen, als er diese in seinen Dialogen zwischen Sokrates und seinen Anhängern ausführte. Jedenfalls stellte er klar fest, dass Frauen, mit Ausnahme der Tatsache, dass sie Kinder gebären können, sich nur graduell (z. B. körperlich), aber nicht prinzipiell von Männern unterscheiden. Das war eine frühe Erklärung für Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Frauen, die bis heute noch nicht in allen Bereichen erreicht wurde. Im Detail schlug er vor, dass Mütter nur fremde Kinder stillen sollten, wobei sichergestellt werden musste, dass sie ihre eigenen Kinder nicht sehen konnten, um Familienvereinigungen gar nicht erst entstehen zu lassen und selbstsüchtige Familieninteressen von vornherein zu unterbinden. Das öffentliche Interesse sollte im Vordergrund stehen. Er verstand jedoch nicht die Bedeutung einer intakten Familie für das Glück von Kindern und die Funktion einer Familie als Grundelement für jede Gesellschaft. Außerdem zögerte er als Aristokrat, den Frauen in diesen frühen Demokratien das Wahlrecht zu geben.

Zumindest letzteres haben wir bisher erreicht. Mal sehen, wie viele Führungspositionen in unseren zukünftigen europäischen Regierungen von Frauen besetzt sein werden. Dennoch müssen wir weiterhin für die Chancengleichheit von Frauen in unseren Gesellschaften kämpfen. Davon werden wir alle profitieren. Denn der Pool an klugen Menschen für entscheidende Positionen, um in unseren Gesellschaften Fortschritte zu erzielen, wird sich dadurch verdoppeln. Bitte denken Sie daran, dass es in der gesamten Geschichte der Wissenschaft nur zwei Personen gab, die den Nobelpreis in zwei Bereichen erhielten, Linus Pauling und Marie Sklodowska Curie (1867 - 1934). 1903 erhielt sie den Nobelpreis für Physik und 1911 für Chemie. Sie prägte den Begriff "Radioaktivität". Bis 1985 wurde die Aktivität radioaktiver Substanzen durch die Einheit "Curie" gemessen und dann durch "Becquerel" ersetzt, den Namen ihres männlichen wissenschaftlichen Lehrers. Warum?

Die gebürtige Polin, Marie Sklodowska Curie, im Alter von 44 Jahren. Offizielles Foto, als sie 1911 ihren zweiten Nobelpreis gewann.
Kunst

24/6/2021

Das C-Wort, sei es Corona oder Covid, kann ich nicht mehr hören. Verantwortliche Menschen haben zugelassen, dass Kultur und Kunst in den letzten zwei Jahren nahezu völlig zerstört wurden. Kassierer(innen) im Supermarkt wurde als systemrelevant gekürt, während Kulturschaffende ins Abseits gedrängt wurden. Dabei ist es die Kultur, die Kunst, die uns als Menschen auszeichnet. Lassen Sie mich also über Kunst reden. Ich hoffe, Sie können sich trotz aller geschürten Ängste wieder darauf einlassen. Dies ist unabdingbar für unser Fortbestehen als Menschen.

Der „Mainstream“, der durchschnittliche Geschmack, bestimmt, was bedeutende Kunst ist, gemessen an seinem Preis, der von Sammlern, einflussreichen Galeristen und von gezieltem Marketing gesteuert wird. Warum der „Balloon Dog“ eines Jeff Koons 2013 beim Auktionshaus Christies € 43 Millionen Erlös einbrachte, lässt sich aus dem Kunstwerk allein nicht erschließen, im Grunde einfach ein Gag, oder Plagiat von zuvor tausendfach gesehenen, aus Luftballons hergestellten Hundedarstellungen. W er gegen den Strom schwimmt, selbst großartigste Künstler , hat es schwer – und Frauen besonders. Wer in der Kunstgeschichte weibliche Künstler sucht, wird kaum fündig. Und wenn es einmal eine Künstlerin zu breiter Anerkennung geschafft hatte, wurde diese von ihren männlichen Kollegen zurückgedrängt. Ein berühmtes Beispiel ist das der genialen Bildhauerin Camille Claudel und ihres kongenitalen Gegenübers Auguste Rodin Ende des 19. Jahrhunderts. In der Gegenwartskunst ist dies leider nicht viel anders. Obwohl zum Beispiel rd. 60% der Berliner Kunstschaffenden Frauen sind, werden Männer in Einzelausstellungen bevorzugt, werden um ca. 22 % öfter gezeigt als Frauen (Inst. für Strategieentwicklung, Berlin, 2018). Die Toperlöse auf dem Sekundärmarkt werden fast ausschließlich nur von männlichen Kunstschaffenden erzielt. Dabei ist Kunst an sich völlig unabhängig vom Geschlecht.

Was aber ist Kunst? Kunst kommt von „können“. Das ist sicherlich wahr in Bezug auf den perfekt gemachten "Balloon Dog", wie oben zitiert. Doch jeder gute Handwerker(in) hat ausgezeichnete Fähigkeiten, ohne ein Künstler(in) zu sein. Kunst ist viel mehr als das. Selbst nach differenziertester Entwicklung ist das Suchen nach Wahrheit mehr ein ständiges Werden als das Erkennen feststehender Fakten. Es ist lediglich eine Approximation und abhängig von Perspektiven. Auch die Kunst ist ein Abbildungssystem der Wahrheit. Deshalb haben sich bedeutende Philosophen gerade auch mit der Kunst auseinandergesetzt. Denn Kunst ist nichts weiter, aber eben soviel, als die gekonnte Spiegelung der Außenwelt, des Seins, über das Selbst einer kunstschaffenden Person, welche wie ein Medium in Auseinandersetzung mit einem beliebigen Werkstoff ein Objekt, das eine Facette des Lebens in sich trägt, entstehen lässt, welches wiederum eine Spiegelung in der betrachtenden Person induziert. Dies kann die Anteilnahme an der Idee der Schönheit, aber auch der Hässlichkeit, des Guten wie des Bösen sein – eben alles, was das Leben hervorbringt. Kunst ist

also vereinfacht ausgedrückt ein System gekonnter Spiegelungen:

X → Y → Z

wobei X = Außenwelt, Y = Medium (kunstschaffende Person), Z = Betrachtende Person, und → = Spiegelung bedeutet und kunstschaffende wie betrachtende Personen als Spiegel fungieren, oder differenzierter:

Dabei spielt der Zufall als Mittel des Lebens eine bedeutende Rolle. Ich beziehe mich auf die Zufälle bei der Auswahl von Objekten, die einen Künstler oder eine Künstlerin inspirieren, oder beim Gestaltungsprozess an sich. Es ist nicht von ungefähr, dass Gerhard Richter, der wohl bedeutendste Gegenwartskünstler, seine „Rakeltechnik“ entwickelt hat, um dem Zufall bei der Entstehung eines Gemäldes bewusst Raum zu lassen. Denn die durchgreifende Komposition eines Kunstwerkes birgt immer auch die Gefahr einer zu starren Konstruktion, also zu etwas, was das Leben eben nicht ist.

"Lebendes" Gemälde von Gerhard Richter in seiner großen Retrospektive, Museum Barberini, Potsdam, Deutschland, 2018

Modifiziertes Excerpt aus „Die 12 Prinzipien des Lebens“ von Christian Brilla (Amazon eBook)